Gäbe es für jede Panel-Diskussion in der ein Wandel beschworen wird, einen Cent - man wäre nach mehr als zwanzig Jahren in dieser Branche vermutlich reich. Oft ist es arg strapziert, doch zur Stimmung der diesjährigen Content London passt es, wenn es um das Geschäft mit non-fiktionaler Unterhaltung geht. Fremantle, ITV Studios, Universal, Talpa Studios und Banijay gaben in London Einblicke in ihre Sicht auf die aktuelle Marktlage.

Dass Streamingdienste, auch aus Kostengründen, immer häufiger non-fiktionale Unterhaltung für sich entdecken beschleunigt eben jenen Wandel, bei dem manche Produktionsfirma erst einmal Schritt halten muss. Nachdem kommerzielle Sender weltweit unter Druck kamen durch den neuen Wettbewerb, ließen sich Margen meist nur durch Volumen erhalten. Gewinn wurde mit Masse gemacht; Strukturen in den Unternehmen entsprechend aufgebaut. Doch die Streamer investieren weitaus selektiver, zwar mit mehr Budget pro Sendeminute für den ganz großen Aufschlag, aber eben mit weit weniger Folgen.

Fremantle war gerade Koproduzent der spannenden Idee, das James Bond-Franchise mit „007: Road to a Million“ für Prime Video zu einer Reality-Gameshow zu machen. ITV Studios produzierte - zusammen mit All3Media - für Netflix gerade „Squid Game: The Challenge“. Zwei ganz aktuelle Beispiele, die ähnlich wie anhaltende Verkaufserfolge von „Destination X“ oder „The Traitors“ durchaus Rückenwind geben für die non-fiktionale Unterhaltung. Und doch: „Es ist unglaublich hart im Moment“, sagt Vasha Wallace, EVP Global Acquisitions and Development bei Fremantle. „Es werden keine Ideen gesucht. Wir sollen Probleme lösen“, beschreibt sie das Geschäft insbesondere mit linearen Sendern.

Der Aufwand ein Format verkauft zu bekommen wird größer, die Produktionsvolumen kleiner. Das Butter & Brot-Geschäft nimmt ab. Um Risiken zu minimieren seien bei Fremantle von Sendern aus gerade Klassiker gefragt - oder eben große IPs wie James Bond oder aber „Mammia Mia“: In Großbritannien produziert Fremantle eine neue Castingshow für zwei Rollen in der Londoner Produktion des ABBA-Musicals. Es ist auch ein neuer Spin für ein ausgereizt geglaubtes Genre: Zur Abwechslung verspricht ein Castingshow-Gewinn mal wieder eine reale Karriere. „Es war einfach die richtige Zeit für die Show“, sagt Vasha Wallace auch angesichts des Erfolgs von ABBA Voyage in London.

 

"Die Kosten liegen nur bei einem Bruchteil einer Drama-Serie"
Mike Beale, ITV Studios

 

Einer großen IP hat sich auch ITV Studios angenommen, zusammen mit Konkurrent All3Media: „Squid Game: The Challenge“ ist neben James Bond derzeit die zweite global bekannte fiktionale Marke, die um non-fiktionale Unterhaltung verlängert wurde. Eine Gameshow mit 456 Teilnehmerinnen und -teilnehmer: Ein Mammutprojekt schon in der Redaktionsarbeit, aber immer noch lägen die Kosten nur bei einem Bruchteil einer Drama-Serie“, so Mike Beale, Managing Director, Globale Creative and Production Support, bei ITV Studios. 

Einst nach Genre getrennt, machen sich inzwischen alle fast mit allem Konkurrenz. „Streamer werden Broadcaster, Broadcaster werden Streamer“, sagt Mike Beale. Und wenn Netflix nun auch die Latte im Non-Fiktionalen immer häufiger höher legt, „muss sich das Free TV international zusammenreißen, um auch ein solches Produktionslevel stemmen zu können.“ Doch das sei ja nicht immer nötig. Maarten Meijs, CEO Talpa Studios, sieht die Situation entspannter: „Eine Idee wie ‚Squid Game‘ sättigt ja nicht den Appetit. Es braucht immer und immer wieder auch lokale Ideen.“ 

Und die kamen - zur sichtbaren Freude bei Talpa-Manager Meijs - zuletzt oft aus kleineren Ländern, was nach wie vor beweise: Am Ende zählt auch heute noch die Grundidee und nicht vom Fleck weg die Budgetfrage - ein gutes Signal für alle Kreativen. „The Masked Singer“ kam aus Südkorea, „The Traitors“ aus den Niederlanden, „Destination X“ gerade aus Belgien. Ed Havard, SVP Unscripted Programming bei NBC Universal International Studios, sieht sein Distributionshaus in diesem Marktumfeld in einer guten Position als Partner für lokale Kreative. Er meint damit ein Szenario, für das sich auch Fremantle in Stellung gebracht hat.

 

"Wir erleben eine Renaissance des Long Tail of Content"

Maarten Meijs, CEO Talpa Studios

 

Die meisten Ideen entstehen im Kleinen, aber es waren, so führt Fremantle-Managerin Vasha Wallace aus, die englischsprachigen Adaptionen, die dann für den Durchbruch sorgten. NBC Universal tat dies zusammen mit der BBC bei „The Traitors“. Für Kreative bedeutet das anders als in der Zusammenarbeit mit Streamern keinen unmittelbaren Global Buy Out. Es überlasse mehr Freiheit. Ohnehin spricht Ed Havard vom „großen Comeback von Distribution, Windowing und Licensing“. 

Talpa-Kollege Maarten Meijs stimmt dem energisch zu: „Wir erleben eine Renaissance des Long Tail of Content.“ Denn die Verwertung von produziertem Content lasse sich viel effektiver gestalten. Gerade die Streamingdienste stehen hier vor elementaren Fragen: Wie lange will man seinen Content exklusiv horten - und wie lange kann man sich das leisten? Eine Frage bei der Banijay-CEO Marco Bassetti froh ist, im Content-Geschäft und - abgesehen von FAST-Channels - nicht im Channelö oder Streaminggeschäft zu sein. 

Marco Bassetti © DWDL
Während Fremantle weiterhin eine - mit Ausnahme von Asien - weltweit hohe Nachfrage nach Reality bemerkt und bei der MIPCOM erstmals alle in den Mittelpunkt gestellten Formate aus dem Genre kamen und sich auch NBC Universal in Cannes mit „The Underdog“ ein neues Reality-Format für die Distribution gesichert hat, identifiziert Marco Bassetti für Banijay ein unerwartetes, aber spannendes Wachstumsfeld: Den Sport, auch getrieben durch die Streamingdienste.

 

"Die brauchen aber mehr als nur die Rechte, die brauchen Programm"
Marco Bassetti, CEO Banijay

 

Amazon, Apple und jetzt auch Netflix investieren in diversen Märkten bereits in Sportrechte und stoßen damit in ein weiteres Feld vor, in dem sich einst lineare Sender einst sicher fühlten. „Die brauchen aber mehr als nur die Rechte, die brauchen Programm“, sagt der Banijay CEO auf der Bühne der Content London. Deswegen investiere man in den neuen Bereich des „Sportainment“. In den Niederlanden hat man mit Southfields bereits eine Produktionsfirma mit dem Fokus, in Spanien wurde zuletzt LaLiga Studios gegründet. Eine strategisch durchaus interessante Entwicklung.

Nicht frei von Sorgen und wirtschaftlichen Zwängen zeigt sich nach dem ersten Tag der Content London: Neue Geschäftsfelder, neue Partnerschaften und mehr Flexibilität statt Dogmatismus gerade bei globalen Playern eröffnen Möglichkeiten. Gepaart mit der Erkenntnis, dass eine zündende Idee allein erstmal kein Budget braucht und - angesichts der jüngsten Formathits - von überall kommen kann, gibt das Hoffnung für das non-fiktionale Geschäft in 2024.