Medien-Albanien. So wurde Österreich lange bezeichnet, wenn es um Funk und Fernsehen ging. Die wenig charmante Bezeichnung war darauf zurückzuführen, dass Österreich eines der letzten Länder der westlichen Welt war, das sich für den privaten Rundfunk geöffnet hat. Erst 2001 trat ein Privatfernsehgesetz in Kraft, das nationales Privat-TV ermöglichte. Bis heute spotten Medienmanagerinnen und Medienmanager über die einst so rückständige Medienpolitik, die nach wie vor Auswirkungen hat. Im Jahr 2024 kommt nun zu so tiefgreifenden Veränderungen in der österreichischen Medienlandschaft wie schon lange nicht mehr. 

Geldscheine © Chobe / photocase.com
Über allem schwebt, wie so oft in Österreich, der ORF. Weil der Verfassungsgerichtshof vor wenigen Jahren Teile des ORF-Gesetzes als verfassungswidrig erklärt hat, musste der Gesetzgeber ran - und hat zum Beginn des Jahres die neue Haushaltsabgabe eingeführt. Wie in Deutschland müssen nun also alle Haushalte für den ORF zahlen - egal ob sie das Programm sehen oder nicht. Bislang gab es eine geräteabhängige Gebühr. Für die, die bislang schon gezahlt haben, wird es künftig teils deutlich günstiger. Der ORF erhält nur noch 15,30 Euro pro Haushalt, bislang waren es 18,59 Euro. Weil trotzdem deutlich mehr Menschen (und Unternehmen) zahlen müssen, springt dabei mehr Geld als bislang heraus. 

Weil die genauen Einnahmen aus der Haushaltsabgabe wohl erst im Laufe der ersten Monate zu beziffern sind, ist ein Sperrkonto eingerichtet worden. Alle Beiträge, die über eine gewisse Summe hinausgehen, liegen dort und können nicht vom ORF genutzt werden. Und weil es hier und da bereits Kritik gab, der ORF würde durch die Reform deutlich mehr Geld erhalten als künftig, bemüht man sich der öffentlich-rechtliche Rundfunk zu betonen, dass man nur das Geld erhält, was man auch wirklich zur Erfüllung des gesetzlich festgelegten Auftrags benötigt. Bis 2026 sind das netto jährlich rund 710 Millionen Euro. Hinzu kommt noch Werbung, durch die der ORF auf ein Budget von rund einer Milliarde kommt. 

Auch am Auftrag des ORF hat sich einiges geändert: Nach zähen Verhandlungen hat sich die Politik darauf geeinigt, dem ORF ab diesem Jahr mehr Spielraum im Digitalen zu geben. Die 7-Tage-Regelung fällt weg, die On-Demand-Inhalte sind künftig deutlich länger verfügbar. Außerdem darf der ORF künftig nicht nur Inhalte online vorab zur Verfügung stellen, sondern auch Online-Only-Inhalte produzieren, allerdings nur nach einer Vorprüfung. "Online only ist noch nicht vorgesehen. Aber wir denken es für die Zukunft an", sagte ORF-Chef Roland Weißmann kürzlich gegenüber der Nachrichtenagentur APA, als es um den neuen Streamingdienst ORF On ging, der am 1. Januar gestartet ist. 

Jahr der Veränderung für den ORF

ORF On © ORF/Roman Zach-Kiesling
Dieses ORF On soll mittelfristig das neue Herzstück des ORF werden und ab April auch die TVthek ablösen, in der bislang alle On-Demand-Inhalte des Senders gebündelt waren. Auf ORF On betreibt man auch seit dem Jahresbeginn einen 24-stündigen Online-Kindersender (DWDL.de berichtete). Die Inhalte dieses Angebots sollen auch verstärkt auf Social Media ausgespielt werden. Eigene Youtube-Kanäle darf der ORF aber auch weiterhin nicht betreiben. 

Für den ORF sind es also vergleichsweise viele Änderungen, die rund um den Jahreswechsel schlagend wurden. Diese Veränderungen musste man sich zum Teil erkaufen: So willigte man auf Druck der Verleger ein, das News-Angebot auf seiner Online-Newsseite, der reichweitenstärksten des Landes, spürbar herunterzufahren. Künftig soll es mehr Audio- und Video-Inhalte geben. Inwiefern sich das als praktikabel erweist, wird sich wohl erst im Betrieb nach einigen Wochen zeigen. Zugleich sieht das ORF-Gesetz neue Einschränkungen im Bereich der Werbung vor, allen voran im Radio und Online. Diese zusätzlichen Einschränkungen könnten den ORF bis zu 30 Millionen Euro kosten. Die Privaten allerdings glauben, dass das viel zu optimistisch gerechnet ist. Sie gehen davon aus, dass der ORF viel weniger Geld verlieren wird. Geld, das sie gerne abgreifen würden. 

Viel Aufsehen dürfte es im Laufe des Jahres ebenfalls geben, wenn der ORF, wie gesetzlich inzwischen fixiert, eine Liste seiner Spitzenverdiener öffentlich machen muss - mit namentlicher Nennung der Personen, die mehr als 170.000 Euro verdienen. Es ist ein Thema, das im Dezember schon einmal kurz in Boulevardmedien hochkochte, weil vermeintliche Gehälter genannt wurden. Absehbar ist, dass die Gehaltsliste für Schlagzeilen sorgen wird - und wohl auch als Wahlkampfthema missbraucht wird. 

Was passiert, wenn die FPÖ die Wahl gewinnt? 

Herbert Kickl, Sommergespräch ORF 2023 © ORF/BFILM Herbert Kickl
Im Herbst 2024 wird in Österreich nämlich ein neuer Nationalrat gewählt. Und auch wenn sich die ORF-Führung nach den zahlreichen Debatten in den zurückliegenden Monaten endlich etwas Ruhe wünscht, ist nicht davon auszugehen, dass es so kommen wird. Die rechtspopulistische FPÖ wird den ORF wohl ziemlich sicher zum Wahlkampfthema machen - und hat das auch schon getan. FPÖ-Chef Herbert Kickl kündigte bereits an, die Haushaltsabgabe wieder abschaffen zu wollen, sollte man es in die Regierung schaffen. Seine Chancen stehen nicht schlecht: Aktuell führt die FPÖ in allen Umfragen mit einem komfortablen Vorsprung vor ÖVP und SPÖ. Ein größerer, von der FPÖ vorangetriebener Umbau der ORF-Finanzierung scheiterte vor wenigen Jahren nur wegen der Veröffentlichung des Ibiza-Videos und dem folgenden Aus der damaligen Regierung. Fest steht: Der ORF ist und bleibt für die FPÖ ein Dorn im Auge. Das wird auch weiterhin für Unruhe sorgen. 

Spannend wird, ob die Politik schon in den kommenden Monaten tätig wird. Weil nämlich weitere Teile des ORF-Gesetzes verfassungswidrig sind, müssen diese bis März 2025 neu geschrieben werden. Im ORF hätte man gerne, dass das noch die aktuelle Regierung übernimmt. Auch die Grünen wollen das. Ob es tatsächlich so kommt, ist auch deshalb unklar, weil alles, was den ORF betrifft, ein riesiges Politikum in Österreich ist. Bei dem nun betroffenen Teil geht es um die Aufsichtsgremien des ORF, die unter einem zu großen Einfluss der Regierung stehen. Expertinnen und Experten fordern schon seit ewiger Zeit eine Entpolitisierung des mächtigen ORF-Stiftungsrates. Viele Branchenbeobachter gehen aber davon aus, dass es schlicht eine Minimal-Korrektur geben wird, durch die die Politik auch künftig weite Teile des Gremiums dominieren wird. 

Corinna Drumm © VÖP/Michael Gruber Corinna Drumm
Aber auch im privaten Medienbereich wird es 2024 zu Veränderungen kommen. Zuletzt hatten sich viele Unternehmen auf den ORF als Gegner eingeschossen. Den Begriff des öffentlich-rechtlichen Rundfunks als "Massenvernichtungswaffe", den Alexander Mitteräcker, Geschäftsführer der Tageszeitung "Der Standard" im vergangenen Jahr nutzte, will man bei den Privatsendern zwar nicht in den Mund nehmen, zu groß sind die Kooperationen inzwischen mit dem ORF, aber aus Sicht des Privatsenderverbands VÖP gibt es einige drängende Themen - und die haben zum Teil auch mit dem ORF zu tun. Dort sieht man sich durch das ORF-Gesetz benachteiligt und kritisiert, dass der ORF schon heute das mit Abstand größte Medienunternehmen im Land sei - und die Dominanz nehme noch so, so die Befürchtung. "Die geplante Stärkung seiner Dominanz schadet der Medienvielfalt in Österreich, vor allem mit Blick in die Zukunft", sagt Corinna Drumm, Geschäftsführerin des VÖP, die das auch demokratiepolitisch für problematisch hält.

Private wollen mehr Förderung

Nun ist der VÖP ein Lobbyverband, dem es naturgemäß immer um die eigenen Interessen geht. Und dennoch trommelt der Verband in den zurückliegenden Monaten deutlich lauter als in den letzten Jahren, die Stimmung ist deutlich angespannter. Allen voran fordert man eine spürbare Erhöhung des Privatrundfunkfonds, der aktuell 20 Millionen Euro schwer ist und der seit 2019 nicht mehr erhöht wurde. Durch die zuletzt stark gestiegene Inflation ist die Förderung also längst nicht mehr so stark wie damals. Der VÖP fordert daher eine Verdopplung auf 40 Millionen Euro - und argumentiert immer wieder damit, dass private Medien ein starkes Gegengewicht zu Desinformationen im Netz seien. 

Bislang ist man damit bei der Politik aber auf taube Ohren gestoßen. Das ist vor allem deshalb erstaunlich, weil die Politik in Österreich zuletzt einige Medien-Förderungen erhöht oder gänzlich neu eingeführt hat. Die Privatsender aber müssen mit dem leben, was sie seit 2019 bekommen. Förderungen sind auch deshalb so nötig, weil die Privatsender in Österreich auf wirtschaftlich deutlich wackeligeren Beinen stehen als in Deutschland. Das hat auch mit der späten Öffnung des Marktes für Privatsender zu tun, Medien-Albanien lässt grüßen.

Gleichzeitig ist es so, dass der Werbemarkt in Österreich für die TV-Vermarkter nicht ganz so schwierig ist wie in Deutschland. Das hat mehrere Gründe: Weil die Öffnung für Privatsender so spät stattgefunden hat, gibt es hier noch immer Nachholeffekte. Also Unternehmen, die verstärkt in TV-Werbung investieren. Außerdem war und ist Österreich ein Print-Land, die Werbegelder tropfen nur langsam über in andere Mediengattungen. Auch hier ist die Politik ein entscheidender Faktor: Mit hohen Werbegeldern stützt man etliche Blätter indirekt. Diese würden gewaltige Probleme bekommen, würde die Politik ihre Inseratenvergabe zurückfahren. So entstehen Abhängigkeiten. 

Werbung ist für die Privaten naturgemäß ein wichtiges Thema - und auch hier sieht man sich durch den ORF bedroht. Die durch das neue ORF-Gesetz eingezogenen Werbebeschränkungen hält man beim VÖP nicht für ausreichend und fordert striktere Verbote und Einschränkungen. In einem solchen Fall würde ein Großteil der Werbegelder zu den US-Riesen wandern, warnt der ORF in schöner Regelmäßigkeit. Die Privaten wollen gar nicht verneinen, dass auch Amazon, Google, Facebook & Co. Gelder abgreifen könnten - aber ein gewisser Teil dürfte eben auch auf die klassischen TV-Sender entfallen. Darauf haben sie es abgesehen. 

P7S1P4 hat Joyn, ServusTV die Fußball-EM

Und doch wird 2024 auch inhaltlich für die Privatsender ein möglicherweise entscheidendes Jahr. ProSiebenSat.1Puls4 hat unter großem Getöse seine Streamingplattform Joyn an den Start gebracht und dabei das geschafft, was in Deutschland wohl unmöglich ist: Alle relevanten heimischen Angebote an Bord zu holen. Sowohl der ORF als auch ServusTV sind mit ihren On-Demand-Inhalten als auch ihren Live-Signalen auf Joyn vertreten. Der Konzern wird versuchen, Joyn als Stand-Alone-Angebot weiter zu pushen, während die anderen Sender ihre eigenen Angebote ausbauen und Joyn wohl eher nicht als ihre Haupt-Plattform sehen. Dass ProSiebenSat.1Puls4 eine gemeinsame Plattform geschaffen ist, ist dennoch eine erstaunliche Leistung. Nun muss man den Beweis antreten, dass diese von einem breiten Publikum genutzt wird.

Und auch ServusTV steht vor weitreichenden Veränderungen: Im November war man noch so stark wie kein anderer Privatsender zuvor in der Geschichte des Landes (DWDL.de berichtete). Ob man dieses Quoten-Niveau aber mittelfristig wird halten können, darf zumindest hinterfragt werden. Im Sommer zeigt man noch weite Teile der Fußball-EM und hat auch die österreichische Nationalelf im Programm. Ab dem Herbst aber dürfte ein Stück weit Ernüchterung einkehren, denn Champions- und Europa-League-Rechte hat man ab der kommenden Saison nicht mehr. Hier ist neben Sky ab 2024/25 Canal+ am Zug, das erst noch den Beweis antreten muss, dass wenige Spiele pro Woche reichen, damit sich die Zuschauerinnen und Zuschauer ein Abo holen.

Viel los also in Medien-Österreich im Jahr 2024, das in mehrerlei Hinsicht ein entscheidendes für die Branche werden könnte. Und ganz egal was die kommenden Monate bringen, fest steht schon jetzt: Langweilig wird es der Branche wohl nicht werden, zu groß sind die Herausforderungen und Fragezeichen für gleich mehrere Sender.