Dass sich die ARD im Serien-Fieber befindet, wurde an dieser Stelle bereits vor wenigen Monaten geschrieben. Tatsächlich ist es durchaus beachtlich, welche Schlagzahl der Senderverbund inzwischen an den Tag legt, um sein fiktionales Angebot zu erweitern – gerade im Hinblick auf ein jüngeres Publikum, das möglichst in die Mediathek gelockt werden soll. Was bei aller Serien-Euphorie jedoch oft in den Hintergrund gerät, ist eine perfekte Strategie, von der auch das lineare Programm profitieren könnte, auch wenn Degeto-Chef Thomas Schreiber gerade erst im DWDL.de-Interview anmerkte: "Die Startseite der ARD Mediathek ist unsere Primetime."

Damit hat Schreiber einen Punkt. Denn klar, nicht alle Serien, die in erster Linie für die Mediathek produziert wurden, eignen sich für einen Sendeplatz um 20:15 Uhr. Und doch wirft so manche Serien-Ausstrahlung im Ersten Fragen auf – ganz besonders dann, wenn die ersten Folgen zur besten Sendezeit laufen, der Rest dann aber eher verschämt am späten Freitagabend zu Ende gebracht wird. Gleich mehrfach ist der Sender in der zurückliegenden Saison so verfahren, etwa bei "Schnee", "Wer wir sind" und "Haus aus Glas". Und ein ums andere Mal zeigte die lineare Reichweite kräftig nach unten. Mag sein, dass viele die Produktionen in der Mediathek zu Ende sahen, doch ganz sicher wurden auf diese Weise auch einige Zuschauerinnen und Zuschauer im Ersten aufgrund der wirren Programmierung vor den Kopf gestoßen.

Dazu kommt, dass das Versenden guter Serien auf Rand-Sendeplätzen ohnehin nicht so recht zur oft geäußerten Aussage passen möchte, wonach man sich nicht mehr so viel leisten kann. Weshalb man dann vielen Primetime-tauglichen Programmen die Primetime-Bühne verwehrt, ist vor diesem Hintergrund nur schwer nachvollziehbar. Gleiches gilt im Übrigen auch für den erneut bloß am späten Abend versendeten Vorentscheid für den Eurovision Song Contest: Dass an diesem Abend um 20:15 Uhr zunächst noch eine neue Romanze gesendet werden musste, verträgt sich nicht mit den angeblichen Sparbemühungen. Und für die "Beatrice Egli Show" wollte sich angeblich überhaupt kein Sendeplatz im Ersten finden, weshalb die Show nach ihrem erfolgreichen Ausflug ins Hauptprogramm zuletzt wieder in die Dritten zurückbeordert wurde.

Suche nach dem richtigen Sendeplatz

Mit Blick auf die Serien stellt sich indes die Frage, ob der späte Freitagabend der richtige Sendeplatz ist – das Zusammenspiel aus leichter Film-Kost, "Tagesthemen" und ambitionierten Serien-Stoffen wollte zuletzt jedenfalls nahezu nie aufgehen. Ob "Oderbruch", "Testo" oder "Die Zweiflers": Viele schöne Produktionen wurden zu der Uhrzeit, zu der dem Publikum erkennbar der Kopf eher nach zugänglicher Unterhaltung steht, schlicht nicht gefunden. "Die Zweiflers" erreichten durch die bis in die Morgenstunden angesetzte Binge-Programmierung am Ende übrigens gerade mal noch 40.000 Zuschauerinnen und Zuschauer im Ersten. Wie schade.

"Davos 1917", eine Schweizer Event-Serie, war dagegen auf einem prominenteren Sendeplatz zu sehen, erwies sich kurz vor Weihnachten aber ebenfalls nicht als durchschlagender Erfolg. Ungleich besser kam dagegen die Krimi-Reihe "Die Saat – Tödliche Macht" an, wie überhaupt nahezu alle Krimis im Ersten eine sichere Bank sind. Während "Tatort" und "Polizeiruf 110" nach wie vor sonntags die Marktführerschaft bei Jung und Alt sichern, fahren auch die Donnerstags-Krimis regelmäßig Marktanteile von deutlich mehr als 20 Prozent beim Gesamtpublikum ein. Das reichte sogar, um dem starken ZDF-"Bergdoktor" regelmäßig die Stirn zu bieten.

Am Dienstagabend wiederum sorgt "In aller Freundschaft" weiterhin für Einschaltimpulse – und zwar auch dann, wenn die Fans der Krankenhausserie mit den zuvor gezeigten Serien eher wenig anfangen können. Um 20:15 Uhr feierte "Die Notärztin" in der zurückliegenden Saison einen ordentlichen Einstand und auch "Mord mit Aussicht" schlägt sich weiterhin sehr passabel, auch wenn die Neuauflage zuletzt regelmäßig daran scheiterte, ihr Publikum über die kompletten 45 Minuten zu halten, und noch dazu im Vergleich zur Staffel von 2022 fast zwei Millionen Fans einbüßte. Größter Serien-Flop der Saison war fürs Erste – neben "Kafka", das zeitweise kaum mehr als eine Million Menschen erreichte – aber die Zukunfts-Staffel von "Charité", auf die sich das Publikum weder im Linearen noch im Streaming dauerhaft einlassen wollte.

Talks und Daytime mit Fragezeichen

Ähnlich wie bei mancher Serien-Programmierung fehlte es dem Ersten zuletzt auch an anderen Stellen im Programm an Verlässlichkeit, etwa im Hinblick auf die Daytime, wo man mit "Hofgeschichten", einem neuen Quiz und aktuell dem Servicemagazin "Leben Live" experimentiert – ohne erkennbaren Erfolg. Ob zudem gerade mal zwei Wochen ausreichen, um stichhaltige Erkenntnisse darüber erlangen, ob sich die Quiz-Schiene und "Brisant" um jeweils eine Stunde vorziehen lassen, bleibt ebenso unklar wie der Ausgang des angekündigten Experiments, die beiden - in der Mediathek ausgesprochen beliebten - Telenovelas in Zukunft nur noch als Halbstünder fortzusetzen. Immerhin: Mit "Gefragt – gejagt" und "Wer weiß denn sowas?", aber auch mit Serien wie "Morden im Norden" und dem "Großstadtrevier" war Das Erste in der vergangenen Saison in der Zeit ab 18:00 Uhr erneut ausgesprochen erfolgreich.

Besonders aufmerksam dürfte ARD-Programmdirektorin Christine Strobl außerdem auf die Entwicklung der Talkshows blicken, allen voran von "Hart aber fair", wo – je nach Quotenverlauf – schon zum Jahresende Schluss sein könnte. Die Neupositionierung des Talks mit Louis Klamroth hat bislang jedenfalls noch keine nennenswerten Impulse geliefert, während Sandra Maischberger auf Anhieb zeigte, dass ihre Sendung auch mit drei Ausgaben pro Woche funktioniert. Und dann ist da auch noch Caren Miosga: Die Nachfolgerin von Anne Will schlägt sich am Sonntagabend bislang wacker, musste zuletzt aber rückläufige Quoten hinnehmen. Ob das bisherige Konzept, den Fokus auf nur einen Gast zu legen, auf Dauer aufgeht, muss sich erst noch zeigen.

Es gibt also viel zu tun für Strobl und ihr Team – allen voran gilt es, die richtige Balance zu finden zwischen dem Ersten und der ohne Zweifel immer wichtiger werdenden Mediathek. Es ist ein Spagat, der dem ZDF bislang augenscheinlich besser gelingt. Denn während die Mainzer ihre linearen Marktanteile zuletzt sogar noch leicht ausbauen konnten, fiel Das Erste nach einem zwischenzeitlichen Januar-Hoch jüngst wieder auf weniger als zwölf Prozent zurück. Das Erste dürfte daher auf absehbare Zeit weiterhin nur Zweiter bleiben.