Wenn Sie in den kommenden Wochen und Monaten Filme und Serien auf verschiedenen Plattformen sehen, achten Sie mal drauf: Wo wird Musik, also klassische Songs von bekannten Interpretinnen und Interpreten, eingesetzt und in welchem Umfang? Bei Produktionen für klassische TV-Sender sind in der Regel viele sogenannte Source-Stücke eingesetzt, bei Filmen und Serien von Streamingdiensten wie Netflix und Prime Video oder Produktionen fürs Kino eher weniger. Das ist kein Zufall, das Zauberwort heißt: Gema Rahmenvertrag.

Diese Verträge hat die Verwertungsgesellschaft über diverse Verbände mit klassischen TV-Sendern abgeschlossen, damit diese dann ohne großen Aufwand und finanzielle Mittel musikalische Werke in ihren Produktionen nutzen können. Es ist eine Art Flatrate für Musik. Dafür haben die Urheber der Gema die Rechte zur treuhändischen Wahrnehmung eingeräumt. Eine wichtige Bedingung ist: Die Produktionen, in denen die Musik eingesetzt wird, müssen im linearen Fernsehen ausgestrahlt werden. Bei Serien oder Filmen für Streamer oder solchen, die im Kino erscheinen, müssen die Musikrechte individuell mit den Urhebern abgeklärt werden. Hintergrund dieses Senderprivilegs ist die Tatsache, dass die linearen Sender täglich eine Vielzahl von Inhalten produzieren und sich die Urheber deshalb auf eine Vereinfachung der Rechteeinräumung entschieden haben.

Diese Rechtslage führt dazu, dass in der Vergangenheit so ziemlich alle für die Mediatheken produzierten Inhalte auch linear gesendet wurden – weil nur dann die Rahmenverträge greifen. Inzwischen bietet die Gema entsprechende Verträge auch für Online-Only-Inhalte an – aber nur, wenn diese vor der Paywall stehen. Das trifft also nicht auf RTL+ zu – und so werden die Serien dort wohl auch künftig in schöner Regelmäßigkeit auf einem der TV-Sender der Gruppe zu sehen sein

Disko 76 © RTL / Florian Kollmer Disko 76
Ein aktuelles Beispiel, bei dem RTL Deutschland musikalisch aus dem Vollen geschöpft hat, ist die Serie "Disko 76", produziert von UFA Fiction. Darin war Musik von Boney M, Donna Summer, Abba und anderen großen Stars der 70er zu hören. Und weil die Serie zwar eigentlich für RTL+ produziert wurde, im Frühjahr aber auch bei Nitro lief, griff der Gema Rahmenvertrag. Die Musikstücke waren so vergleichsweise kostengünstig zu haben. Hätte man die Rechte einzeln abklären und bezahlen müssen, hätte das wohl ziemlich sicher das Produktionsbudget gesprengt. Auch in Dokus, gerade auch von öffentlich-rechtlichen Anbietern, gibt es immer wieder viel Einsatz von Musikstücken. Von "Terra X" bis hin zu kleineren Reihen der ARD-Dritten, oder zuletzt ganz massiv: Bei einer ARD-Doku rund um Angela Merkel (DWDL.de berichtete).

DWDL.de hat in den vergangenen Wochen und Monaten mit vielen Personen in der Branche gesprochen, sie arbeiten bei großen Produktionsfirmen, Sendern, Vertriebsunternehmen oder sind als Musik-Supervisoren und Komponisten selbstständig unterwegs. Sie alle sagen: Musikrechte können sehr schnell sehr teuer werden. Da geht’s in der Regel mit ein paar Tausend Euro los und nach oben hin gibt es praktisch keine Grenze. Es kommt immer darauf an, wie bekannt der Song ist, den man nutzen will – und wie lange er zu hören sein soll. Also wohl dem, der von den Gema Verträgen profitiert.

Alle anderen budgetieren ihre Musik-Etats in der Regel. Da geht es dann um die Frage, ob es wirklich der bekannte Song von Sänger oder Sängerin XY sein muss – oder ob vielleicht nicht doch ein Stück aus einer offenen Library der Musikverlage reicht. Die sind in den vergangenen Jahren immer besser geworden, nur erreicht man damit im Zweifel weniger Impact, weil dahinter eben nicht Taylor Swift oder Michael Jackson steht. Was die Musik-Experten gegenüber DWDL.de aber auch sagen: Das Musik-Budget ist in der Regel eins der ersten, das abgeschmolzen wird, wenn man während der Produktion auf der Suche nach Geld ist. Dadurch läuft es am Ende, wenn man sich mit der Musik beschäftigt, oft ganz automatisch auf Library-Stücke hinaus, die nur einen Bruchteil kosten.

Viel Musik = schwieriger Weltvertrieb

Die Gema Rahmenverträge haben übrigens einen entscheidenden Nachteil: Sie gelten nur in Deutschland. Wenn eine Produktion also mit Source-Stücken vollgestopft ist, wird es im Zweifel schwer, sie an interessierte Abnehmer ins Ausland zu verkaufen. Die müssen nämlich entweder die einzelnen Songs bezahlen, sie durch Library-Stücke ersetzen oder Komponisten beauftragen, die dann eigene Stücke für die betroffenen Stellen schaffen. Das sind eher keine Verkaufsargumente – und vielleicht ist das auch ein gewichtiger Grund, weshalb "Disko 76" noch nicht ins Ausland verkauft wurde.

All You Need © ARD Degeto/Andrea Hansen All You Need
Bei der ARD-Serie "All You Need", ebenfalls eine UFA-Produktion, hat derweil ein Austausch stattgefunden. Statt "Fade Away" von Susanne Sundfor gibt's im Intro der Netflix-Version The Twins of Franklin mit "Better Me" zu hören, auch die Source-Stücke innerhalb der Folgen wurden ausgetauscht. Interessant ist die Sache bei der ARD-Serie "Höllgrund", die ebenfalls bei Netflix zu finden ist – da aber in der gleichen Version wie beim öffentlich-rechtlichen Anbieter. Das liegt daran, weil sich Netflix für diese Serie, anders als bei vielen anderen, nur die Rechte für Deutschland gesichert hat. Daher mussten die Musikrechte nicht auch für andere Territorien abgeklärt werden und die Stücke dementsprechend nicht ausgetauscht werden.

Für Netflix-Maßstäbe ist das ziemlich ungewöhnlich, normalerweise zeigt der Dienst Serien immer weltweit. Bei Eigenproduktionen sowieso, aber oft eben auch bei eingekauften Produktionen. Von DWDL.de mit Fragen zu den Gema Rahmenverträgen konfrontiert, verweist ein Netflix-Sprecher darauf, dass man vor einer anderen Ausgangssituation stehe als lokale Angebote, da man in den meisten Fällen Inhalte eben global verwerte und damit auch direkt bei den Rechteinhabern die globalen Nutzungsrechte einhole.

Etwas anders ist die Situation bei Prime Video, wo eine Serie wie "Wir Kinder vom Bahnhof Zoo" zunächst nur in Deutschland, Österreich und der Schweiz zu sehen war. Die Streamingdienst von Amazon will sich aber nicht zum Thema der Musikrechte im Allgemeinen und den Gema Rahmenverträgen im Speziellen äußern. Ein weiteres Beispiel zeigt aber sehr gut, dass bei Streamingdiensten weniger, aber dafür gezielter auf Source-Stücke gesetzt wird. Bei der Serie "Perfekt verpasst" mit Bastian Pastewka und Anke Engelke, produziert von der btf, gab es über acht Folgen hinweg praktisch keine Musik zu hören. Erst ganz am Ende "Africa" von Toto - inhaltlich war das ein Volltreffer. btf bzw. Prime Video mussten die Nutzungsrechte für dieses Stück einzeln erwerben, der Rahmenvertrag der Gema war aus den genannten Gründen nicht anwendbar.

"Erhebliche Effizienzsteigerung möglich"

Für die Sender, die in den Genuss der Gema Rahmenverträge kommen, sind diese extrem wichtig. "Der Stellenwert für unsere VAUNET Mitglieder und die Verwertungsgesellschaften ist hoch. Mit den VAUNET Gesamtverträgen werden erhebliche Effizienzsteigerung möglich und entstehen die damit verbundene Kostenvorteile", erklärt ein VAUNET-Sprecher gegenüber DWDL.de.

"Wir versuchen damit, einheitliche Standards zu setzen", sagt Jochen Berg, bei der Gema zuständig für juristische Grundsatzfragen und Geschäftsentwicklung in den Bereichen Sendung und Online, im Gespräch mit DWDL.de über die Rahmenverträge. Der Weg über die Gema ist ein recht einmaliges Vorgehen, dass die Arbeit der Produzentinnen und Produzenten erleichtert – in vielen anderen Ländern ist das so nicht üblich. Wichtig ist in jedem Fall zu wissen: Die Gema deckt lediglich die Seite der Urheber und Musikverlage ab. Wer die Rechte mit der Gema geklärt hat, muss in den allermeisten Fällen noch weitere Rechte klären, beispielsweise die Leistungsschutzrechte der Tonträgerhersteller und Interpreten.

Music Supervisoren sind der Schlüssel

Henning Kamm © Marc Meyerbroeker Henning Kamm
"Ich liebe Filmmusik und es ist ein ganz essentieller Teil von dem, was wir tun. Wenn das richtige Stück zur richtigen Zeit an der richtigen Stelle in einem Film oder einer Serie platziert wird, geht mir immer wieder das Herz auf. Zur Wahrheit gehört aber auch: Zum schlimmsten Teil meines Jobs gehört das Klären von Musikrechten", sagt Henning Kamm, Geschäftsführer von Real Film Berlin, gegenüber DWDL.de. Die Produktionsfirma verantwortet Serien und Reihen wie "Praxis mit Meerblick", "SOKO Wismar", "Everyone is f’cking crazy" oder auch "Krank Berlin", "Schlafende Hunde" und "Viktor bringt’s". Musikrechte würden im Zweifel viel Geld kosten und der ganze Prozess der Rechteklärung könne kompliziert sein, so Kamm, der diese Arbeit gerne an einen sogenannten Music Supervisor weiter gibt, dessen Job es ist, sich um alle Angelegenheiten rund um Musik-Themen zu kümmern. Diese Musik-Experten sind meist selbstständig unterwegs. Kleine Produktionsfirmen können sich eine solche Person oft aber nicht leisten, da muss der Chef oder die Chefin dann persönlich ran. 

"Zum schlimmsten Teil meines Jobs gehört das Klären von Musikrechten."
Henning Kamm, Geschäftsführer Real Film Berlin


Die Gema Rahmenverträge, die die Situation bei rein deutschen Produktionen erheblich vereinfachen, bezeichnet der Produzent als "komfortabel-pragmatische Situation", die aber zu Problemen in der internationalen Auswertung führen könne. "Man stellt also für Deutschland eine tolle Serie her und benutzt viele Musikstücke, aber wenn es dann in Richtung Vertrieb geht, muss man noch einmal eine internationale Fassung herstellen, weil man die genutzte Musik im Zweifelsfall so nie lizenzieren wird können." Greift der Rahmenvertrag nicht, werde die Musik in Deutschland schnell zu einem budgetären Thema, sagt Kamm. "Die Budgets hierzulande sind im Vergleich deutlich geringer als die im angelsächsischen Bereich. Dementsprechend gibt es eher selten große Musikbudgets." 

Einen Music Supervisor gibt’s auch bei Studio Zentral, also der Produktionsfirma, die für Serien wie "Höllgrund", "Angemessen Angry" oder auch "Love Sucks" steht. Dieser schaut sich Serien auf ihre internationale Verwertbarkeit an. Also konkret: Welche Stücke müssen für einen Verkauf ins Ausland lizenziert werden und gibt es vielleicht auch andere Möglichkeiten? Seit etwas mehr als einem halben Jahr arbeitet man bei Studio Zentral aber auch mit einer KI, die die Arbeit in diesem Bereich massiv vereinfacht.

KI mischt schon kräftig mit

Lasse Scharpen © Kirstin Schmitt Lasse Scharpen
"Die KI macht uns für alle Stellen Vorschläge für alternative Songs und checkt dabei auch direkt, ob das neue Musikstück vom Takt und der Tonalität her passt", sagt Geschäftsführer Lasse Scharpen im Gespräch mit DWDL.de. Verknüpft ist die KI mit den Production Libraries der Musikverlage, die nicht nur immer weiter wachsen, sondern die auch immer besser werden, wie mehrere Gesprächspartner gegenüber DWDL.de bestätigen. Damit hat man eine große Zeitersparnis, aber nicht nur. "Man kann mit der KI ziemlich gut die Qualität halten", sagt Scharpen. Als man die Funk-Serie "Druck", in der es in allen Folgen viel populäre Musikstücke gibt, nach Schweden verkaufte, hat man in kleinteiliger Arbeit und ohne viel Budget eine internationale Sendefassung herstellen müssen. "Natürlich hat die Qualität da gelitten, sowas geht heute durch die KI viel besser", sagt Scharpen.

Auch wenn es nicht immer den Eindruck macht, wenn ein bekannter Song durch eine Serie oder einen Film dudelt: Damit das möglich ist, waren vorher einige Arbeitsschritte nötig. Im Zweifel langwierige Verhandlungen mit den Rechteinhabern, denen man viel Geld zahlen muss für die Nutzung ihres Werkes. Weil es so viel zu beachten gibt und alles sehr juristisch ist, ist der Job der Music Supervisors kein besonders beliebter – aber alle anderen sind froh, dass es ihn gibt und sie sich nicht selbst um die Musikrechte kümmern müssen. Manchmal können aber auch die Experten nicht mehr weiterhelfen, etwa dann, wenn aus Budgetgründen ein bestimmter Song ausgetauscht wird. Oder wie es Lasse Scharpen formuliert: "Da bricht es dir das Herz, wenn du ‚Eye of the Tiger‘ für eine Szene haben willst und das muss dann umgebaut werden."