Die Umbrüche auf dem deutschen Medienmarkt haben in diesem Sommer eine atemberaubende Geschwindigkeit aufgenommen. Kein Stein bleibt auf dem anderen - und fast alle sind betroffen. Verdächtig ruhig war es in den zurückliegenden Wochen und Monaten allerdings um die Öffentlich-Rechtlichen, doch der Fokus wird sich nun bald wohl auch wieder auf ARD und ZDF richten: Läuft alles nach Plan, tritt zum 1. Dezember der Reformstaatsvertrag in Kraft - und mit ihm einige wesentliche Veränderungen, etwa die Reduktion von Hörfunkwellen und die Neuordnung der Digitalkanäle, auch diese müssen reduziert werden und sollen perspektivisch nur noch online zu sehen sein.
Was sich nicht verändert, ist jedoch die Tatsache, dass ARD und ZDF in ihrem Mediatheken nicht werben dürfen. Anders übrigens als der ORF in Österreich, wo entsprechende Spots in einem eng gesteckten Rahmen seit mehr als zehn Jahren erlaubt sind. Mit Ausnahme von Produktplatzierungen ist und bleibt Werbung in den Mediatheken der deutschen öffentlich-rechtlichen Sendern dagegen auch weiterhin verboten.
Dass ist einerseits konsequent, andererseits überraschend: Die Politik trommelt seit vielen Jahren für eine umfassende Reform des öffentlich-rechtlichen Systems und plädiert für Einsparungen. Immer wieder gibt es auch Forderungen nach einem stabilen oder sogar sinkenden Rundfunkbeitrag. Dass eine Öffnung der Mediatheken für Werbung hier einen Beitrag leisten könnte, ist kein Geheimnis. Doch die Politik hat sich dagegen entschieden.
Die Politik stellt sich damit auch gegen den Willen von Werbekunden und Mediaagenturen, die das Werbeverbot in den Angeboten lieber gestern als heute aufgehoben gesehen hätten. Das damalige Führungsduo der Organisation Werbungtreibende im Markenverband (OWM), Uwe Storch und Susanne Kunz, machten zuletzt vor einem Jahr in einem "Horizont"-Interview klar, was die von dem Verbot halten.
"Wir alle wollen den Qualitätsjournalismus haben, aber die Öffentlich-Rechtlichen dürfen Mediatheken nicht vermarkten. Wir Werbungtreibende brauchen dabei diese wertvolle Zielgruppe", so Storch damals. Und OWM-Geschäftsführerin Kunz bemühte einen Vergleich, der die Dimensionen klarmachen sollte: "Die Öffentlich-Rechtlichen und die Privaten sitzen im Sandkasten und streiten um die Förmchen, während von hinten der große Bagger, die Plattformen, im Begriff ist, alles umzuschaufeln." Die Zukunftsfähigkeit des Medienstandortes sei in Gefahr, wenn man nicht das große Ganze sehe. Die Öffnung der Mediatheken für Werbung sei "eines der relevanten Themen", so Kunz damals, die eine Liberalisierung bereits 2021 forderte.
Und tatsächlich ist es ja so, dass viele Marktteilnehmer die wachsende Macht der Big Techs und US-Streamingdienste kritisieren, weil hier, vor allem durch Google, Meta & Co. viel Geld aus dem deutschen Markt abgezogen wird. Kultur- und Medienstaatsminister Wolfram Weimer hat sogar eine Plattform-Abgabe ins Spiel gebracht, die Streamingdienste sollen mit einer Investitionsverpflichtung verpflichtet werden, verstärkt auch deutsche Inhalte zu produzieren - letztere würde auch deutsche Anbieter treffen. Gleichzeitig sinken lineare Reichweiten - und damit die Möglichkeiten für Werbekunden und Agenturen, schnell viel Reichweite aufzubauen.
ARD und ZDF halten sich zurück
Auch die Mediaagenturen fordern daher schon lange ein Aus des Werbeverbots in den öffentlich-rechtlichen Mediatheken. Als die Interessensgemeinschaft Die Mediaagenturen vor mehr als zwei Jahren forderte, das "duale System neu zu denken", forderte man auch ein Umdenken in Sachen Mediatheks-Werbeverbot. Wenn das Potenzial dieser Angebote für den Werbemarkt freigegeben werden würde und in die audiovisuelle Produktion reinvestiert würde, könnte das "den Medienstandort Deutschland maßgeblich stärken", so die Analyse damals. Die Rechnung ist einfach: Mit Werbung in den Mediatheken von ARD und ZDF könnte man die Nettoreichweiten von Kampagnen erhöhen, weil man hier Menschen erreicht, die nicht mehr oder nicht mehr so viel lineares Fernsehen schauen. Ausweichmöglichkeiten gäbe es natürlich bei RTL+ und Joyn - oder aber bei diversen TV-Streamern (Zattoo o.Ä.) und eben den großen Streamingdiensten.
Auffallend in der ganzen Debatte: ARD und ZDF sagen dazu fast gar nichts. Auf Anfrage von DWDL.de hält ein ZDF-Sprecher lapidar fest, dass eine Änderung des Werbeverbots die Sache des Gesetzgebers sei. Von der ARD heißt es: "Die ARD kennt die aktuelle Rechtslage und die wachsenden Umverteilungen von Werbebudgets ins Digitale. Sie beschäftigt sich mit den Argumenten der Werbetreibenden." In der Vergangenheit hat sich zumindest die ARD-Werbetochter ARD Media schon deutlich offensiver positioniert: 2024 plädierte Co-Geschäftsführer Tobias Lammert für eine moderate Vermarktung der Mediathek. 2021 startete ARD Media schon einmal eine Debatte und nahm die Werbekunden in die Pflicht, geändert hat es nichts.
Von der Staatskanzlei Rheinland-Pfalz, hier ist die Rundfunkkommission der Bundesländer angesiedelt, heißt es gegenüber DWDL.de, dass man sich immer wieder mit der Frage beschäftige, inwieweit öffentlich-rechtliche Medien kommerziell tätig werden dürfen. Dabei wiege man verschiedene Aspekte ab: "Die Werbefreiheit der Mediatheken, zur Primetime im Fernsehen oder auch in ganzen Programmen, stärkt für viele Menschen die Attraktivität der Angebote von ARD, ZDF und Deutschlandradio." Gleichzeitig müsse man die Refinanzierungsgrundlagen der privaten, werbefinanzierten Anbieter im Blick behalten. "Dies aufs Spiel zu setzen, um möglicherweise ein paar Cent beim Rundfunkbeitrag einzusparen, schien den Ländern im Ergebnis nicht sinnvoll. Insofern ist es durchaus bezeichnend, dass ARD und ZDF selbst diese Forderung nie erhoben haben."
VAUNET lehnt Lockerungen kategorisch ab
Diese Aussage könnten ARD und ZDF möglicherweise zu einer verstärkten Lobbyarbeit in der Sache verstehen. Bei den privaten Medienanbietern ist die Sache ohnehin klar, sie lehnen eine Öffnung der Mediatheken für Werbung kategorisch ab. Der Privatmedienverband VAUNET argumentierte bereits bei der Anhörung zum Reformstaatsvertrag gegen einen solchen Schritt. Und auch in den zurückliegenden Jahren vertrat man nicht nur die Auffassung, dass die Mediatheken werbefrei bleiben sollen, sondern dass Werbung im öffentlich-rechtlichen Rundfunk generell stärker beschnitten werden sollte.
Gegenüber DWDL.de unterstreicht ein VAUNET-Sprecher jetzt noch einmal die aktuellen Forderungen des Verbands: Es soll ein Einstieg in den Ausstieg aus Werbung und Sponsoring in den ARD-Radiosendern gelegt werden, gleichzeitig will man auch ein werbefreies TV-Angebot von ARD und ZDF. Der Fortbestand des Werbeverbots in den Telemedien dürfe auch nicht durch kommerzielle Tochtergesellschaften umgangen werden, warnt VAUNET. "Die Argumentation für eine Öffnung der öffentlich-rechtlichen Telemedienangebote hin zur Werbevermarktung sind bekannt und verfangen nicht. Jegliche Kommerzialisierung von öffentlich-rechtlichen Angeboten verzerrt zunehmend eine klare Abgrenzung beider Säulen im dualen Mediensystem und ihren Wettbewerb zueinander."
Der VAUNET-Sprecher verweist auch noch einmal darauf, dass Werbekunden auf die Online-Angebote und Streamingplattformen der privaten Medien zurückgreifen könnten, um bestimmte Zielgruppen zu erreichen und ihre Nettoreichweite zu steigern. Nur: Das wissen die Werbekunden natürlich auch - und fordern nichtsdestotrotz eine Öffnung des Mediatheken von ARD und ZDF. Die wird vorerst nicht kommen, die Debatte aber wird bleiben.