Werbebuchungen im deutschen Fernsehen basieren bislang allen voran auf dem sogenannten Spot-by-Spot-Modell. Dabei entscheiden Werbekunden bzw. ihre Agenturen, wo einzelne TV-Spots zu sehen sind - also nicht nur auf welchen Sendern, sondern ganz konkret in welchem Werbeblock. Hier zählt vor allem das Umfeld, also die jeweiligen Sendungen, die von der Werbung unterbrochen werden. Der Kunde kann selbst entscheiden, wie viele Spots er bucht - so hat er eine gute Kostenkontrolle. Die Vermarkter haben seit vielen Jahren exorbitant lange Preislisten, in denen sehr detailliert geregelt ist, wie teuer ein Spot in einem bestimmten Werbeblock ist.
Und dieses Modell soll bald der Vergangenheit angehören.
Im März hat die Ad Alliance angekündigt, ein neues Abrechnungsmodell auf TKP-Basis einzuführen. Contact+ TV heißt das Modell, das lineares Fernsehen mit digitalen Buchungslogiken verbindet. Von einem "Meilenstein" sprach der Vermarkter. Die Kunden erhalten dabei garantierte Kontakte in ihrer gewünschten Zielgruppe - und das zu einem fixen Tausend-Kontakt-Preis (TKP). Der Vorteil liegt auf der Hand: Planungssicherheit für die Kunden - und mehr Automatisierung auf beiden Seiten. Der Einkauf der linearen TV-Werbung werde "einfacher, effizienter und zielgerichteter", hieß es damals von der Ad Alliance. Die Preise richten sich bei diesem Modell nach Spotlänge, Zielgruppe, Buchungszeitpunkt, Auslastung und Saisonalität – und nicht mehr nach starren Platzierungen.
Damals hieß es aber noch, dass man mit Contact+ nach einem erfolgreichen Test nun in die Skalierung gehen wolle. Es sah also so aus, als würde es sich um ein zusätzliches Abrechnungsmodell handeln. Eins, das übrigens in vielen anderen Ländern schon weit verbreitet ist. Im Sommer ließ Carsten Schwecke, Chief Commercial, Technology & Data Officer bei RTL Deutschland, jedoch die Bombe platzen und kündigte in einem Interview mit "Horizont" an, dass man ab 2028 nur noch auf das TKP-Abrechnungsmodell setzen werde.
Seither sind vor allem Mediaagenturen in Aufregung. Ganz neu ist der TKP-Ansatz freilich nicht, bislang war es nur oft so, dass die großen Agenturnetzwerke diese Garantien selbst gegenüber den Werbekunden abgegeben hatten - sie waren in der Folge verantwortlich für das Erreichen der Ziele. Wenn nun die Ad Alliance selbst diesen Part übernimmt, würde das die Mediaagenturen in diesem Bereich überflüssig machen.
Viel Kritik, aber auch viele Fragezeichen
Doch es gibt auch Kritik, die über diesen Punkt hinausgeht. So befürchten Agenturvertreter, dass die Stärken des linearen TV, unter anderem der schnelle Aufbau einer hohen Nettoreichweite, untergehen könnten, wenn das Umfeld plötzlich keine Rolle mehr spielt und alles nur noch nach Kontakten abgerechnet wird. Beobachter fürchten außerdem steigende Preise und mehr Intransparenz.
Viele Details des neuen Modells sind aktuell noch nicht ausgearbeitet, weshalb sich einige Agenturvertreter nicht dazu äußern wollen. So garantieren viele Agenturen ihren Kunden heute viel mehr als nur reine TKPs, das geht bis hin zu harten Verkaufszahlen oder Klicks. Übernimmt die Ad Alliance solche Garantien ebenfalls? Ungeklärt bislang ebenfalls ist, ob die garantierten TKPs der Ad Alliance netto oder brutto sind - eine durchaus wichtige Frage. Hier wird letztlich auch entschieden, ob die Vermarkter von den Rabatten wegkommen, die sie seit vielen Jahren in teilweise extremer Höhe vergeben.
Klar ist aber auch: Beim aktuellen Modell kann es nicht bleiben, das wirkt im Jahr 2025 noch überholter als es schon vor einigen Jahren war. Bereits 2019 fordert die Organisation Werbungtreibende im Markenverband (OWM) eine "konsistente Leistungsmessung und -abrechnung über alle Bewegtbildformate und -kanäle hinweg". Das Problem liegt vor allem darin, dass große US-Konzerne fast vollständig auf einfache TKP-Modelle setzen und die TV-Vermarkter so unter Druck setzen, sich zu bewegen. Bei den Werbekunden ist das Modell auf den Online-Plattformen längst akzeptiert - im linearen TV fällt das aufgrund der jahrelang anders gehabten Praxis nun womöglich schwerer.
Das TKP-Modell und ein "großes Missverständnis"
Als ein "großes Missverständnis" in der Diskussion um das TKP-Modell bezeichnet Ad-Alliance-Geschäftsführer Frank Vogel gegenüber DWDL.de die Frage nach der möglichen Abschaffung der Umfeldlogiken. Daran habe man "null Interesse", so Vogel. "Primetime bleibt Primetime, große Shows und Sender behalten ihre Strahlkraft. Aber wenn wir künftig einen TKP garantieren, der mit Nettoreichweite verknüpft ist, müssen wir unser Inventar effizienter und intelligenter steuern. Wir sehen, wo Flächen frei sind und wie sie in einen Mediaplan einzahlen. Diese Freiräume werden besser genutzt. Das heißt: Reichweite aufbauen, ohne die Qualität zu opfern. Wer spezielle Umfelder liebt, wird sie auch künftig buchen können – dann aber zu einem entsprechend angepassten TKP."
Gegenüber den Kollegen von "Horizont" sagte Vogel bereits vor einigen Wochen, dass die Wunschumfelder vieler Kunden und Agenturen "nicht immer perfekt für eine hohe Netto-Reichweite" arbeiten würden. "Oft wären beispielsweise kleinere Sender viel interessanter." Es gehe aber nicht darum, nur noch Spots in die Nachtschiene zu packen. "Vielmehr geht es darum, Inventar intelligenter einzusetzen, ohne Qualitätsmaßstäbe aus den Augen zu verlieren", so Vogel, der Nachrichten als mögliche Werbeumfelder nannte. Gegenüber DWDL.de wird Frank Vogel noch einmal grundsätzlich und erklärt: "Wir können nicht länger in alten Denkmustern verharren, während überall sonst längst auf TKP-Basis gearbeitet wird. Schon heute fußen sämtliche Diskussionen auf digitalen Logiken – wir müssen endlich eine gemeinsame Sprache sprechen."
"Wer spezielle Umfelder liebt, wird sie auch künftig buchen können – dann aber zu einem entsprechend angepassten TKP."
Ad-Alliance-Geschäftsführer Frank Vogel
Befürwortet wird von allen Seiten, dass die harte Umstellung nicht sofort kommt, sondern erst 2028. Das lässt für die kommenden Monate und Jahre genügend Zeit, um die genauen Details des neuen Abrechnungsmodells zu erarbeiten. Und nicht nur das: Entsprechende Forecast-Modelle zur genauen Planbarkeit von Kampagnen müssten wohl erst programmiert werden, auch das wird dauern. Man sei offen für jede Art von Diskussion, sagt Frank Vogel gegenüber DWDL.de. "Unser Modell ist keine deutsche Sonderlösung, sondern längst internationaler Standard. In einer konvergenten Welt reicht das Spot-by-Spot-Modell nicht mehr aus." Am Ende gehe es darum, den Kunden ein System zu bieten, "das Wirkung, Transparenz und Vergleichbarkeit schafft."
Auch P7S1 strebt eine Veränderung an
Spannend ist bei dem Thema auch die Frage, wie sich die Konkurrenz verhält. Wenn die Ad Alliance bei der TV-Werbeabrechnung einen kompletten Wechsel wagt, müssten die anderen Vermarkter wohl mitziehen, damit das neue Modell flächendeckend akzeptiert wird. Absprechen kann man sich aus kartellrechtlichen Gründen aber wohl nicht. Im Detail würden die Modelle also vermutlich leichte Unterschiede haben, generell aber ähnlich funktionieren.
Beim ProSiebenSat.1-Vermarkter Seven.One Media signalisiert man jedenfalls ebenfalls Interesse an einem Wechsel des Abrechnungsmodells. "Die heutige Welt mit getrennten Abrechnungsmodellen für TV und Video ist nicht mehr zeitgemäß. TV wird darin operativ und abrechnungstechnisch komplett anders behandelt als digitale Videowerbung. Digital kann man heute mit wenigen Klicks buchen. Das ist auch das Ziel für unsere Bewegtbildangebote", sagt Markus Messerer, Chief Commercial Officer bei ProSiebenSat.1, gegenüber DWDL.de. Man wolle bei dem Thema "gemeinsam mit dem Markt und damit auch den Agenturen vorangehen". 2028 erscheine ihm, so Messerer, angesichts der zahlreichen Veränderungen und notwendigen Anpassungen ein "realistischer Zeithorizont für die Umstellung".
Auch in Unterföhring hat man bereits Erfahrungen gesammelt mit TKP-Modellen. Bereits seit mehr als zwei Jahren hat man entsprechende Produkte im Angebot, etwa bei "Total Video – based on CFlight" oder auch bei "Programmatic TV". Das neueste Produkt aus dem Hause Seven.One Media aus diesem Bereich heißt Audience TV, auch hier werden TV-Kampagnen nach erreichter Zielgruppe abgerechnet. Das sei "sehr erfolgreich" und man erziele damit schon "nennenswerte Umsätze", so Messerer. "Es wird häufig von internationale Kunden genutzt, die TKP-Modelle aus ihren Heimatmärkten kennen. Aber auch nationale Kunden, insbesondere Kunden die in der Vergangenheit sehr stark auf Digital gesetzt haben, zeigen Interesse."
Verlieren TV-Quoten weiter an Bedeutung?
Ein bislang weitgehend unbeachteter Teil der Debatte rund um die Einführung eines TKP-Abrechnungsmodell für TV-Werbung ist die Frage nach der künftigen Relevanz von Einschaltquoten. Diese haben schon in den vergangenen Jahren massiv ein Stellenwert eingebüßt, weil andere Erfolgsfaktoren wichtiger wurden - etwa die Performance von Formaten auf den Online-Plattformen der Sender.
Ein TKP-Abrechnungsmodell könnte diesen Trend beschleunigen, denn dadurch werden bestimmte Umfelder für Werbungtreibende tendenziell uninteressanter, auch wenn bestimmte Buchungsmöglichkeiten, beispielsweise zur Primetime, erhalten bleiben sollen. "Quoten bleiben wichtig – genauso wie Reichweite. Aber sie sind künftig nicht mehr das alleinige Maß der Dinge, sondern Teil eines größeren, crossmedialen Modells", sagt Ad-Alliance-Geschäftsführer Frank Vogel. Entscheidend sei vor allem, dass man Wirkung nachweise und Reichweiten über alle Screens hinweg vergleichbar mache.