Die deutsche Wirtschaft schwächelt nun schon im dritten Jahr in Folge, was nicht zuletzt auch dazu führt, dass viele Unternehmen ihre Marketingausgaben spürbar reduzieren. Bei verschiedenen Medien und ihren Vermarktern übt man sich in Zweckoptimismus: Wenn sich die Situation wieder bessere, profitiere man als erstes davon. Nur: Wann das sein wird, kann niemand seriös sagen. Entsprechend viele Fragezeichen stehen über dem OWM Summit, der am Mittwoch, den 5. November, in Berlin über die Bühne geht. Bereits am heutigen Dienstag trifft sich das Who’s Who der Branche zu einem lockeren Auftakt im Rahmen der Advertisers' Night.
Die Organisation Werbungtreibende im Markenverband (OWM) hat ihren Summit in diesem Jahr unter das Motto "Future Ready?!" gestellt. Und tatsächlich sind die allgegenwärtigen Zukunftsfragen aktueller denn je: Es geht um Brand Safety, das Open Web (hier hatte man zuletzt bereits einige Forderungen aufgestellt), Transparenz in der digitalen Werbung, ein neues Abrechnungsmodell im TV, Künstliche Intelligenz, Reichweiten und deren Preise, die Zukunft von Search und SEO in einer Zeit, in der ChatGPT den gesamten Bereich auf links dreht - und generelle Marketingstrategien, die es braucht, um in der Zukunft erfolgreich zu bleiben.
"Die momentan größte Herausforderung ist sicherlich die schwierige gesamtwirtschaftliche Situation und das bereits im dritten Jahr. Marketinginvestitionen stehen stärker denn je auf dem Prüfstand", sagt OWM-Geschäftsführerin Susanne Kunz gegenüber DWDL.de. Kunz war bis Oktober 2020 Senior Brand Director Marketing-Media DACH bei Procter & Gamble und verantwortete den Bereich Marketing-Media. Größte Aufgabe sei unter anderem, die Effizienz und Effektivität der Marketinginvestitionen zu steigern, so die OWM-Geschäftsführerin. Auf der Roadmap der Organisation würden sich daher Themen wie die integrierte Crossmedia-Messung, aber auch Dinge wie Ad Fraud, Ad Verificiation und KI befinden.
Zumindest in Sachen eines übergreifenden Crossmedia-Messstandard ist die Branche zuletzt einen gewaltigen Schritt vorangekommen: Prime Video lässt sich ab sofort durch die AGF Videoforschung messen, die Nutzungszahlen auf Formatebene werden dadurch erstmals für alle Interessierten sichtbar. Das ist nichts weiter als ein Meilenstein, weil die Sendungen des Streamers so vergleichbar werden zu denen klassischer TV-Sender. Es ist eine Forderung, die Werbungtreibende schon lange vor sich hertragen. Nun geht hier tatsächlich etwas voran. Zusätzlich dürfte der Druck auf andere Streamer steigen, sich ebenfalls der unabhängigen AGF-Messung zu unterwerfen.
"KI nicht nur als Effizienzhebel sehen"
Und auch das ganze Thema KI ist für die werbungtreibenden Unternehmen heute schon ein sehr wichtiges - und es wird wohl noch an Bedeutung zunehmen. "Ich wünsche mir, dass wir KI nicht nur als Effizienzhebel sehen, sondern als Chance, unser gesamtes Ökosystem aus Konsumentensicht zu verbessern", sagt Kunz und ergänzt: "Wer will schon zehn Mal mit der gleichen Werbung innerhalb einer Stunde konfrontiert werden?"
An das, was die Politik leisten soll, hat man bei der OWM klare Vorstellungen. "Wir erwarten vor allem eines: verlässliche und klare Rahmenbedingungen sowie effektive Umsetzungen der bestehenden Regulierungen. Die werbungtreibende Wirtschaft braucht Planungssicherheit, nicht zusätzliche Verunsicherung durch Werbeverbote oder überzogene Regulierungspläne", sagt Susanne Kunz. Damit spielt sie auch auf die Pläne der alten Ampel-Regierung an, die in Person des damaligen Ernährungsministers Cem Özdemir ein Verbot von Werbung für ungesunde Lebensmittel, die sich an Kinder richtet, einführen wollte. Die aktuelle Regierung verfolgt diese Pläne nicht.
Forderungen an die Politik
In Deutschland habe sich in vielen Bereichen Selbstregulierung bewährt, so die OWM-Geschäftsführerin. "Werbung ist kein Selbstzweck, sondern ein wichtiger Wachstumsmotor für Wirtschaft und Innovation, für Medienvielfalt und letztlich auch für den Wirtschaftsstandort Deutschland. Politik und Wirtschaft sollten hier gemeinsam an zukunftsfähigen Lösungen arbeiten, die sich an den momentanen Gegebenheiten und Herausforderungen orientieren. Ein Beispiel hierfür ist die Öffnung der Mediatheken von ARD und ZDF für Werbung." Eine entsprechende Öffnung der Angebote für Werbung ist seit Jahren eine Forderung der werbungtreibenden Unternehmen - wird aber wohl so schnell nicht kommen.
2025 wird die OWM übrigens 30 Jahre alt. Ist der Geschäftsführerin der Organisation angesichts der wirtschaftlichen Lage aber überhaupt zum Feiern zumute? Kunz: "Natürlich war die wirtschaftliche Gesamtsituation schon einmal besser. Aber wir finden, die OWM hat trotzdem Grund zu feiern – nicht im Sinne von Champagner und Konfetti, sondern im Sinne von Stolz und Perspektive." Seit 30 Jahren stehe man für klare Positionen, verbindliche Standards und einen starken Zusammenhalt unter Werbungtreibenden - "gerade auch in schwierigen Zeiten". Natürlich sehe man die Herausforderungen am Markt. "Aber genau deshalb ist es wichtig, an dem festzuhalten, was funktioniert und was wir schon immer fördern: Dialog, Orientierung und der gemeinsame Wille zur Weiterentwicklung."
"Vielleicht haben wir auch zu lange einen Fokus auf Performance gelegt und dabei Branding ein wenig vergessen."
OWM-Geschäftsführerin Susanne Kunz
Doch wo hat die Branche in den zurückliegenden drei Jahrzehnten Fehler gemacht und wie ist es generell um die Selbstkritik der Unternehmen bestellt? "Selbstkritik ist immer notwendig, gerade wenn man gestalten will", sagt Kunz gegenüber DWDL.de. Und weiter: "Natürlich hat auch unsere Branche Fehler gemacht." Vielleicht habe man zu lange an alten KPIs festgehalten, eine Vielzahl von KPIs hinzugefügt und einen zu geringen Fokus auf das Wesentliche und die Wirkung gelegt. "Vielleicht haben wir auch manchmal zu spät auf gesellschaftliche Entwicklungen reagiert. Vielleicht haben wir auch zu lange einen Fokus auf Performance gelegt und dabei Branding ein wenig vergessen." Entscheidend sei aber, dass man lerne und sich verändere. "Und wir fördern diese Reflexion aktiv – mit Studien, im Austausch mit Marktpartnern, Forschung, Medien, Politik und Gesellschaft, und nicht zuletzt mit unseren eigenen Formaten wie dem OWM Summit oder dem OWM Connect Day."
TKP-Ansatz der AdAlliance beschäftigt die Branche
In einen Austausch wird man in den kommenden Wochen und Monaten auch mit der Ad Alliance und anderen TV-Vermarktern gehen. Köln hatte kürzlich bekanntermaßen angekündigt, ab 2028 auf ein TKP-Abrechnungsmodell umsteigen zu wollen. Auch andere Vermarkter liebäugeln mit einem solchen Schritt. Aktuell würden hierzu noch wichtige Informationen fehlen, sagt Susanne Kunz. Ein pauschaler TKP-Ansatz könne unter Umständen sinnvoll sein, aber nur, wenn er auf nachvollziehbaren, überprüfbaren Leistungsdaten basiere und sich auf die gleiche Umfeldqualität beziehe. "Wir sind aber bereits in der Planung eines Round Tables, um hier in den Austausch zu gehen. Was wir vorab bereits sagen können, ist, dass Transparenz über den Einsatz der Werbeinvestitionen, Steuerung durch Werbungtreibenden und die Messbarkeit essentiell sind."
Zum 30. Geburtstag der OWM sind die Probleme und Fragestellungen der Branche also offensichtlicher denn je. Und während es in einigen Bereichen nach einem teils jahrelangen Ringen mittlerweile vorangeht, ist woanders die Zukunft unklarer. Die wirtschaftliche Gesamtsituation wird sich vermutlich nicht von heute auf morgen verbessern, aber vielleicht gibt es an diesem Mittwoch auf dem OWM Summit in Berlin ja zumindest auf einige noch offenen Fragen zufriedenstellende Antworten. Die Messung von Prime Video durch die AGF war jedenfalls ein dickes Brett, das gebohrt wurde. Das gibt die Hoffnung, dass die Branche auch andere Herausforderungen meistert.
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