Klare Regeln erfordern klare Worte. Regel Nr. 1: Du saufsch heit Obend nix. Regel Nr. 2: Außer dir fahrt niemand mit dem Wage, besonders ned dei Tante. Regel Nr. 3: Boim Hoimweg farsch du nit üba Bixenweiler, wege der Wildunfälle. Für Norddeutsche könnte das Vokabular der vier väterlichen Grundsätze, die Carlo mit auf den Weg in Papas Oldtimer zum Abiball kriegt, zwar kaum unklarer klingen. Als Oberschwabe ist der 18-Jährige mit Idiom und Sitten seiner Region aber bestens vertraut.

Deshalb befolgt er natürlich – nein, keine von Vatis Mercedes-Regeln. Beim erwartbaren Wildwechsel lenkt Carlo (Jeremias Meyer) dessen Strich-Achter folgerichtig mit Promille im Blut und Tante an Bord Höhe Bixenweiler gegen den Baum. Er ist halt ein „Tschappel“. So nennen Südwestdeutsche leicht grobmotorische Tölpel wie ihn. So heißt auch eine ZDF-Serie, in die er mit besagtem Unfall einsteigt und nicht mehr rauskommt. Aus der Bredouille.

Denn statt mit seiner heimlichen Langzeitliebe Pia (Mina-Giselle Rüffer) ein Jahr lang Work & Travel durch Australien zu verbringen, muss er im Gasthof von Vater Rainer (Bernd Gnann) und Mutter Sabine (Bärbel Stolz) fortan die Autoreparatur abarbeiten. Immerhin kann er seine Zeit nach Feierabend wie in den 17 Jahren zuvor seinen zwei Kumpels Aydin (David Ali Rashed) und BlaBla (Sebastian Jakob Doppelbauer) verbringen. Ein denkbar provinzielles Trio Landeier, das Rainers zügellose Schwester Gabi (Nina Gnädig) zu einem Quartett der absurderen Art komplettiert.

Tschappel © ZDF/Conrad Lobst BlaBla (Sebastian Jakob Doppelbauer), Carlo (Jeremias Meyer) und Aydin (David Ali Rashed) bei der Arbeit

Es verbindet regionale Mundart mit dörflichen Klischees zu einer achtteiligen Milieustudie, die oft zum Fremdschämen ist – aber immer auf liebenswürdige Art und Weise. Aber der Reihe nach. Zunächst mal erleben wir hier nämlich vier Teenager dabei, Fluchtinstinkte und Bodenhaftung zu vereinbaren. Zugleich abgestoßen und festgehalten von dem, was sie ihr Leben lang schon lieben und hassen, ertragen und beklagen, gerät besonders Carlo in eine achtmal 25-minütige Eskalationsspirale provinzieller Alltagshavarien.

Mal spielt er den vermeintlichen Sohn der promiskuitiven Gabi und verscherzt sich dabei Pias Zuneigung. Mal fälscht er Getränkegutscheine der 1000-Jahr-Feier seiner Gemeinde und fliegt vom Gelände. Mal besetzt er das leere Haus eines gestorbenen Altnazis und kriegt es mit der Polizei zu tun. Meistens jedoch verschlimmern die artverwandten Blabla und Aydin alles nur weiter, weshalb jedes Desaster immerhin der Teambildung dient. Das alles ist oft auf landestypische Art ulkig, wozu der bäuerliche Banjo-Soundtrack einer gewissen „Hochzeitskapelle“ ihr Übriges tut.

Atmosphärisch mag „Tschappel“ daher an das alberne Dorfbashing „Smeilingen“ oder den missratenen Personalwechsel im Mord-mit-Aussicht-Nest Hengasch erinnern. Zum Glück allerdings stammt dieser Ausflug ins Grüne von zwei Neulingen im Fernsehserienfach: Carly Coco und Marc Philip Ginolas, der mit Showrunner Marius Beck (Appolonia Film) auch die Bücher geschrieben hat. Als Trio sind sie ein Glücksfall fürs Genre wie zuletzt nur Oliver Bukowskis Brandenburg-Skizze „Warten auf’n Bus“! Dank kreativer Gimmicks, pfiffiger Flashbacks und einer wohldosierten Portion Aberwitz im Alltagsallerlei schwäbischer Spießbürgerlichkeit, erspart der feine Spott sich (also uns) gottlob jede Zeigefinger-Didaktik.

Von Fußball in Eier bis Wasser aus Steckdose kommt zwar bisweilen billiger Slapstick zum Einsatz. Und nicht nur, aber gerade der Titelheld neigt mitunter zum Overacting. Die Dialogregie holt ihn jedoch stets auf den Heuboden der Realität zurück. Selbst Harald Schmidts Gastauftritt als Urologe beim Hodensackcheck wirkt eher skurril als infantil. „Wenn ich Essen auf Rädern will“, bringt Rainer den erdigen Humor beim Klagen über Foodtruck-Konkurrenten zum Ausdruck, „ruf ich die Caritas an“. Analog zu Mamas Frage „wie komsch hoim?“, die Carlo mit „bsoffe“ beantwortet, ist das sehr süffig getextet. Nur leider buchstäblich. Wenn der Serie nämlich irgendwas vorzuwerfen ist, dann ihr lässiger Umgang mit einem Alkoholismus, der nicht lustig, sondern tödlich ist.

In „Tschappel“ wird bei nahezu jeder Gelegenheit so regelhaft gesoffen, dass es fahrlässig, ja zynisch wirkt, reale Rauschkonsequenzen von der verprügelten Frau bis zum getöteten Radler einfach mal heiter wegzugrunzen wie Didi Hallervordens geriatrischen Rechtsruck. Falls das ZDF damit die sprichwörtliche Trinkfestigkeit bäuerlicher Gemeinwesen persiflieren will, hat es die Ironie jedenfalls gut versteckt. Umso besser ist dagegen, wie selbstbewusst all die „Tschappel“ der Serie beim Bechern Dialekt abseits anbiedernder Heimattümelei schwätzen.

Seit Marcus H. Rosenmüllers oberbayerischer Hinterland-Schwank „Wer früher stirbt, ist länger tot“ vor fast 20 Jahren die Saat schwer verständlicher, aber eigensinniger Provinzialität gelegt hat, wurde selten so beiläufig Lokal-Idiom gesprochen wie hier. Und kleiner Service für Ortsfremde: Marius Beck lässt obendrein gelegentlich Untertitel einblenden. „TZK“ zum Beispiel steht für „Taktischer Zwischen-Kotzer“ und „Peng“ für Weinbrand mit Cola. Na dann: Prost!

"Tschappel" steht bereits komplett beim ZDF zum Streamen bereit. ZDFneo zeigt die acht Folgen ab dem 3. Juni, 21:45 Uhr im Doppelpack