Bildschirmsex hat abseits vom Jugendschutz eigentlich nur zwei Gesetze, deren Missachtung praktisch auf jedem Kanal unter Strafe steht: Film-Männer können immer, Film-Frauen kommen immer. Woody Allen oder Bridget Jones bestätigen da nur eine Regel, die mittlerweile sogar im Vorabendprogramm gilt. Was Damian Hardung zu Beginn der RTL+-Serie „Softies“ macht, verstößt deshalb nicht nur gegen die Fernsehverfassung; es verdient auch – Waschbrettbauch hin, Womanizerblick her – höchsten Respekt: Sein Film-Mann kann nicht und die Film-Frau kommt nicht.

Erst kriegt Marvin die ärztliche Diagnose einer erektilen Dysfunktion. Danach lässt er sie sich im Bett seiner Liebsten auch noch praktisch bestätigen. Und weil das Mindset dieses Mittzwanzigers aufs reibungslose Gelingen sämtlicher Alltagsprozesse konditioniert wurde, versucht er sich mit Potenzpillen buchstäblich auf Vordermann zu bringen. Damit packt der bildhübsche Berliner das Problem zwar – Achtung Kalauer – an der Wurzel, aber nicht jener allen Übels.

Die steckt tief im Boden einer Gesellschaft mit weitaus größeren Sorgen als sexuellen. Ihr Leistungsdruck macht besonders Männer zu emotionalen Zombies auf dem Prüfstand digitaler Medien und leibhaftiger Menschen. Verkrampfte Perfektionisten wie Marvin etwa oder seine zwei Mitbewohner. Denn Joshi (Oskar Redfern) legt am Ende jeder durchfeierten Nacht zwar Frauen flach, betäubt damit allerdings nur die Leere in Herz und Seele. Hassan (Samir Salim) dagegen ist so schüchtern, dass er sich nach jedem Korb vor die Spielkonsole verzieht oder noch schlimmer: auf den Youtube-Kanal des misogynen Influencers Charismaking.

Es sind armselige Typen, denen Jonathan Westphal und Yves Guillaume ihr Streamingdebüt widmen. Nach eigenem Drehbuch beschränken sich die beiden Babelsberger Filmhochschüler jedoch nicht darauf, ihre Geschlechtsgenossen tragikomisch bloßzustellen. Im komplizierten Kommunikationsgehege der Generation Z vollführen ihre „Softies“ ein Rodeo moderner Cowboys, die zwischen analoger Vergangenheit und digitaler Zukunft um ihren Platz als Individuen, Männer, Freunde reiten.

Weil ihnen dazu das sprachliche Rüstzeug fehlt, flüchten sich die drei Adoleszenz-Verweigerer jedoch in Kiffer-Gespräche wie dieses: „Wer sollte euch spielen, wenn euer Urlaub verfilmt werden würde?“, will Joshi mit Joint im Mund wissen. Das Angebot reicht von Brad Pit über Til Schweiger bis Timothy Chalamet, schüttet also viel Testosteron in den Fünfteiler. Damit sich das dritte Format der RTL-Talentschmiede Storytellers nach „Hübsches Gesicht“ und „Angemessen Angry“ nicht noch weiter in Buddy-Movies hedonistischer Jahrzehnte erschöpft, haben die Regisseure dem männlichen Hauptpersonal deshalb weiblichen Ausgleich angedichtet.

Zum einen Linda (Aysha Joy), die den konfliktscheuen Marvin mit liebevoller Verbissenheit zum Reden bringt. Zum anderen Lotte (Carmen Redeker), die ebenso fürsorglich Stöcke aus Hassans Hintern zieht. Zusammen sind sie das Beste, was ihren Freunden, vor allem aber der Serie passieren konnte. Denn die hat ausgerechnet an der Besetzungsspitze ein Problem. So löblich es von Damian Hardung ist, seine Makellosigkeit aus „Maxton Hall“ im Teufelskreis aus Panikattacken, Kontrollsucht, Tinnitus und den White Tears privilegierter Cis-Männer zu versenken – er neigt fünfmal 20 Minuten furchtbar zum Overacting.

Aber auch Samir Salims Dackelblick und Oskar Redferns Partymodus untermalen all die Eskalationsspiralen ein bisschen zu ausdrucksstark, bis sie in ein geradezu lächerlich kathartisches Happyend münden. Zum Glück überwiegen bis dahin die klügeren Dialoge eines insgesamt sehenswerten Erstlingswerks, an denen meist Carmen Redekers hinreißender Freigeist Lotte beteiligt ist. Wenn sie Hassan mit der Frage überrumpelt, ob er küssen wolle, „du bist vertraut mit dem Konzept?“, klingt das auf ebenso organische Art plausibel wie die kritische Reflexion, „es kostet mich eine Menge Planung und Energie, um so zu wirken, als wenn mir immer alles egal ist“.

Mit etwas Wohlwollen macht sie „Softies“ dadurch zu einer emanzipierten Serie übers urbane Geschlechterverhältnis von heute. Umso mehr überrascht es, dass hinter ihr zwei junge Männer stehen. Ungefähr mittig zwischen dem präpubertären Prime-Unfall „Sex Zimmer, Küche, Bad“ und WG-Studien von „Druck“ über „Wir“ bis hin zur Neo-Groteske „Jugend“, fügen Westphal und Guillaume dem Genre verspäteter Coming-of-Age durchaus frische Facetten hinzu. Und nebenbei blicken sie auch noch unter die Oberfläche der Selbstdarstellungsgesellschaft, ohne den Zeigefinger zu heben.

Ihr Publikum darf demnach allein entscheiden, was Schein ist, was Sein. Das gilt auch für die Frage, worin genau denn nun guter Sex besteht. Während Marvins Antwort „Rammeln wie ein Tacker“ auf Ecstasy und Viagra lautet, sieht Linda das weit weniger leistungsorientiert. Schön, dass ein Unterhaltungsformat diese Diskrepanz mal ergebnisoffen ausdiskutiert. In der nächsten WG-Serie für Young Adults dürfen Männer und Frauen gewiss wieder ohne Hilfsmittel immer können oder kommen. Aber hier stammt der erotischste Satz von Lotte. Hassan, sagt sie zum korpulenten Selbstzweifler, „ich find dich schön“. Je länger die Serie dauert, desto eher denkt man als Zuschauer: Wir dich auch!

"Softies" steht komplett bei RTL+ zum Abruf bereit