Was hat mich hart genervt in der letzten Woche?

Der sogenannte Kiss-Cam-Skandal beim Coldplay-Konzert in Boston. Die Einzelheiten dürften mittlerweile hinlänglich bekannt sein. Da halten sich zwei Menschen offensichtlich verliebt im Arm und genießen ein Konzert, und dann ist auf einmal ihr Leben und möglicherweise das ihrer Angehörigen zerstört. Vom Jobverlust will ich gar nicht erst anfangen. Ein Beispiel für eine unfreiwillige öffentliche Hinrichtung, und es stellt sich die Frage, welche Verantwortung Veranstalter und Social Media bei der Verbreitung solcher Szenen tragen? Und woher so viel Häme, so viel moralische Überlegenheit bei der potenziell millionenfachen Rezeption kommt? Würde ich versuchen neutral zu formulieren würde ich sagen: die anhaltenden Diskussionen (Bild schlachtete das tagelang aus) zeigen, wie sensibel das Gleichgewicht zwischen Unterhaltung, Privatsphäre und öffentlicher Moral in unserer vernetzten Gesellschaft geworden ist. Da ich aber stets Haltung beziehe sage ich: so menschlich Schadenfreude im ersten Moment sein mag, es sollten sich die Marken, die schnell auf den Marketing-Zug aufgesprungen sind, und diejenigen Menschen, die sich am Unglück Anderer laben, weil es sich so herrlich bequem vom eigenen Sofa spotten läßt, vielleicht mal zur Abwechslung ein bißchen schämen?

Mit wem stimme ich überein?

Mit Netflix Co-CEO Ted Sarandos zur Verwendung von KI in Filmproduktionen. Er betont, dass KI für Netflix nicht bloß ein Mittel zur Kostensenkung ist, sondern Kreativen neue Möglichkeiten im Erzählen ihrer Geschichten eröffnet. „Wir sind weiterhin überzeugt, dass KI eine unglaubliche Chance ist, dabei zu helfen, Filme und Serien besser – nicht nur günstiger – zu machen“, so Sarandos. Konkreter Anlass war die argentinische Science-Fiction-Serie „Eternauta“. In dieser Produktion wurden erstmals Visual Effects mit generativer KI umgesetzt, etwa bei der Animation eines Gebäudeeinsturzes. Sarandos widerspricht der Sorge, dass KI menschliche Kreativität verdränge. Er sieht die Technologie als „bessere Werkzeuge für echte Menschen, die echte Arbeit leisten.“ Dem kann ich nur zustimmen. Als jemand, der sich intensiv mit dem Thema beschäftigt, kann ich bestätigen: es braucht echte menschliche Kreativität und echtes, neuerlerntes Handwerk, z.B. beim Erstellen eigener, proprietärer Workflows, um mit den unzähligen KI Tools filmisch erstklassige Ergebnisse zu erzielen. Meine Prognose: die Studios, die heute hier Avantgarde sind, sind die, die auch 2030 noch die Nase vorn haben werden.

Mehr dazu findet ihr hier

Welchen Podcast wollte ich hier schon lange einmal empfehlen?

„The Town“, von Matt Belloni. Er erscheint mehrmals wöchentlich, gestaltet vom renommierten Branchenjournalisten und Partner bei Puck News, ein sehr interessantes, digitales Medienunternehmen, das 2021 gegründet wurde und sich auf exklusive Berichterstattung und Analysen aus den „vier Machtzentren“ der USA spezialisiert hat: Hollywood, Silicon Valley, Washington D.C. und Wall Street. Der Podcast widmet sich den wichtigsten Entwicklungen, Trends und Insider-Themen rund um Hollywood, die Unterhaltungsindustrie und das Mediensystem in den USA. Was für ein wunderbares, unterhaltsames Format mit sehr viel einordnendem Tiefgang. In der Episode, die ich hier verlinke, spricht Belloni mit dem für Medieninteressierte ebenfalls sehr folgenswerten Bloomberg-Journalisten Lucas Shaw über die Netflix-Herausforderungen trotz starker Zahlen, den Colbert-Fallout sowie die Zukunft von FOX, nachdem Donald Trump Rupert Murdoch und dessen Wall Street Journal wegen vermeintlich verleumderischer Berichterstattung verklagt hatte.

Einfach mal reinhören hier

An welcher Liste kann man sich wieder einmal herrlich reiben?

An der von der New York Times veröffentlichten „100 Best Movies of the 21st Century.” Bereits im Juni erschienen befragte die Zeitung über 500 einflussreiche Regisseur*innen, Schauspieler*innen, Kritiker*innen und Branchenexpert*innen. Jede*r von ihnen sollte die zehn besten Filme nennen, die seit dem 1. Januar 2000 veröffentlicht wurden. Die TOP 3, finde ich, kann man machen („Parasite“, „Mulholland Drive“ und „There will be Blood“). Auch viele weitere Filme sind zurecht benannt. Aber, dass sich mit „Toni Erdmann“ und „Das Leben der Anderen“ nur zwei deutschsprachige Produktionen unter den Contendern befinden, finde ich dann doch etwas traurig. Was ist mit Michael Hanekes „Das weiße Band?“ Oder Uli Edels „Der Baader-Meinhof-Komplex?“ Oder Hans Weingartners „Die fetten Jahre sind vorbei?“ Ein Erklärungsversuch: ist deutschsprachiges Kino oft gut gemacht, relevant und preisgekrönt, aber nicht ausreichend strategisch gedacht? Fehlt es vielleicht manchmal an internationaler Vision (sicher nicht an Talent)? Ich habe das Gefühl, da sind die Franzosen, Südkoreaner oder Skandinavier mit ihren Filmen oft besser unterwegs. Und vielleicht auch mutiger.

Die ganze Liste zum diskutieren gibt es hier

Und was für mich der TV-Moment der letzten Woche?

Natürlich, all die spannenden Spiele bei der Frauen EM, aber insbesondere „unsere“ DFB-Torhüterin Ann-Katrin Berger nach dem unglücklichen EM-Aus (0:1 nach Verlängerung) gegen Spanien im Halbfinale. „Der Gegentreffer geht auf meine Kappe, die kurze Ecke muss zu sein. Ich bin umso enttäuschter von mir selber. Das tut mir unfassbar leid für die Mannschaft", sagte sie inmitten der eigenen Enttäuschung am Sportschau-Mikrofon. Was für eine Reflexion, was für eine Größe! Und die Reaktion: ebenso Gänsehaut, wie Mannschaft und Trainer ihr beisprangen. „Anne muss die Schuld nicht auf sich nehmen. Sie hat uns in genug Szenen gerettet und im Spiel gehalten", sagte Coach Christian Wück. Das ist so vorbildhaft in so vielerlei Hinsicht. Verantwortung übernehmen, Fehlerkultur leben, gemeinsam in Sieg und Niederlage zusammen stehen, Charakter zeigen. Ich feiere dieses deutsche Team sehr und wünsche mir mehr von diesem Geiste in Politik und Wirtschaft. To whom it may concern: einfach mal Frauenfußball schauen. Und dazulernen.