Wer in diesen Tagen in der ARD-Mediathek zufällig auf die "Werwölfe" trifft, der könnte "das Spiel von List und Täuschung" auf den ersten Blick für eine plumpe Kopie der "Verräter" halten. In Wirklichkeit spricht jedoch einiges dafür, dass sich die Erfinder des international erfolgreichen TV-Rätselformats, hierzulande bei RTL zu sehen, an den "Werwölfen" orientiert haben – die treiben schließlich schon seit über 20 Jahren im "Düsterwald" als Gesellschaftsspiel ihr Unwesen.
Doch ganz egal, ob Original oder Kopie – die gute Nachricht: Trotz erkennbarer Parallelen haben beide Shows gleichermaßen ihren Charme. Hier die "Verräter", die sich im Schlossturm des Nachts zum Konklave treffen, um ihren nächsten Mord an den Loyalen zu schmieden; dort die "Werwölfe", die sich im Dunkeln versammeln, mit dem Ziel, die unschuldigen Dorfbewohner zu verspeisen. Und überall wilde Spekulationen, taktische Spielchen und knallharte Lügen, weil sich keiner der Spieler sicher sein kann, mit wem er es gerade eigentlich zu tun hat.
Für die ARD ist der Start von "Werwölfe" ohne Zweifel ein Risiko, weicht die Show, produziert von ITV Studios Germany, doch erkennbar ab von jenen Unterhaltungsformaten, die der Sender für gewöhnlich im Programm hat. Mutig auch, dass es in der ARD keine Prominenten sind, die sich dem Spiel stellen, sondern Normalos – gut gecastete allerdings, weil sich schon in ihre Berufe allerlei hineininterpretieren lässt. Ob Schauspieler, Psychologe, Schachspielerin oder Mentalist: Da wird mancher Kandidat bereits verdächtigt, obwohl das Spiel noch nicht einmal begonnen hat.

Und anders als bei den "Verrätern" kann im ARD-Neustart auch das Publikum miträtseln. Allenfalls sporadisch werden die Zuschauerinnen und Zuschauer eingeweiht, wer welches Spiel spielt. Ein geschickter Schachzug, weil man dadurch vor dem Fernseher nicht nur Beobachter des Geschehens ist, sondern ganz nebenbei auch seine eigene Menschenkenntnis unter Beweis stellen kann. Dazu kommt, dass "Werwölfe" über einen beachtlichen Spannungsbogen verfügt, weil nach und nach weitere Rollen verteilt werden – von der Seherin, die mehr weiß als die anderen, bis hin zum kleinen Mädchen, das einen Blick durch den Briefkastenschlitz werfen kann, während sich draußen die Werwölfe ihren Speiseplan für die Nacht zurechtlegen.
Überhaupt weiß das Setting zu überzeugen: Mit dem Glanz des herrschaftlichen "Verräter"-Schlosses hat die Ansammlung von Holzhütten im Stile finnischer Saunen zwar nicht viel gemein, doch insbesondere in der Nacht, wenn das Lagerfeuer lodert und die Häuschen fast schon romantisch beleuchtet werden, entfaltet die Kulisse ihren Charme. Dazu kommt, dass Michael Kessler als Erzähler die ominöse Geheimniskrämerei noch weiter verstärkt.
Sender und Produktionsfirma haben bei diesem in vielerlei Hinsicht ungewöhnlichen Show-Projekt also vieles richtig gemacht. Nun bleibt abzuwarten, wie groß die Lust des ARD-Publikums an der Jagd nach den "Werwölfen" ist. Ein Erfolg wäre aber schon alleine deshalb wünschenswert, weil er ein Türöffner sein könnte für eine weitere neue Formen öffentlich-rechtlicher Unterhaltung.
"Werwölfe - Das Spiel von List und Täuschung", donnerstags mit jeweils vier neuen Folgen in der ARD-Mediathek. Das Erste zeigt die ersten beiden Folgen außerdem am Donnerstag, den 2. Oktober ab 22:50 Uhr.