Was hat mich wirklich gefreut?
Menschen gehen wieder - dem Herbstwetter sei dank - gerne und viel ins Kino. Das letzte Wochenende war wie gemalt für die Kinokasse. „Die Schule der magischen Tiere 4“ legte am zweiten Wochenende kräftig zu (Bogey Bronze, 570.000 Tickets) und „Das Kanu des Manitu“ bleibt als Langläufer eine Macht (160.000 am WE, gesamt 4,45 Millionen). Selbst die einmalige Taylor-Swift-Party füllte Säle. Unterm Strich eines der besten Wochenenden 2025, mit breiter Spitze statt Einzel-Tentpoles. Was folgt daraus bis Silvester? Der Kalender ist diesmal familiär und premiumlastig: „Zoomania 2“ (ab 26.11.), „Five Nights at Freddy’s 2“ (ab 05.12.) und „Avatar: Fire and Ash“ (ab 17.12.) liefern drei klar getrennte Nachfragewellen. Gegenüber dem Vorjahr, das vom Disney-Doppel „Vaiana 2“/„Wicked“ getragen wurde, verschiebt sich der Mix. Weniger Musical-Spitzen, dafür größere Breite (Familie, Teens/Horror) und ein einmaliger Dezember-Hebel durch „Avatar“, der sicher auch in teureren Premium-Sälen (IMAX etc.) erfolgreich sein wird. Mein Fazit: 2025 könnte das Vorjahr im Umsatz übertreffen (durch Premium, Eventisierung) und bei den Tickets nahe Vorjahr landen, mit möglichem Upside, wenn „Magische Tiere 4“ und das „Kanu“ ihre Strahlkraft behalten und „Zoomania 2“ zur Familien-Routine wird. Vielleicht kein Rekord, aber ein Schritt in die richtige Richtung, nachdem 2024 wieder ein Rückschritt in der Pandemie-Erholung war. 2025 hat die Chance, uns positiv zu überraschen. Ich wünsche es mir sehr.
Mehr zum Fakten zum fast perfekten Wochenende hier
Was finde ich eine interessante und richtige Entwicklung?
Den Weg weg von der Exklusivität von Inhalten, hin zur Rendite-Optimierung einer Programm-IP. Erinnert ihr auch noch, wie zu Beginn der sogenannten „Streaming Wars“ Exklusivität das Nonplusultra für alle Services zu sein schien? Diese Zeiten sind vorbei. Und wie immer kommt der Trend aus den USA. Dort sind laut einer Ampere-Studie ca. 40 % der Titel auf mindestens zwei Diensten, 21 % auf mindestens drei. In Europa ist das noch deutlich weniger: UK 13 %, Frankreich 8 % (Anteil aller VoD-Titel, die gleichzeitig auf mindestens zwei Diensten verfügbar sind). Selbst 41 % der Premium-Titel findet man in den USA mehrfach. Die Treiber dieser Entwicklung lauten AVOD-Bibliotheken, Longtail-Lizenzen, also Rechtepakete für ältere oder weniger gefragte Katalogtitel, Katalog-Fusionen und sogenannte Co-Exklusives. Das neue Spiel heißt also IP-Rendite. Genauer: eine IP über SVOD/AVOD/FAST staffeln, und so Reichweite und Erlöse maximieren. Wahrhaft exklusiv bleibt zumeist der Live-Sport im jeweiligen Spiel, und wenige, echte Anker-Originale. Für Deutschland ermittelt die Studie leider keine Zahlen. Aber ein Beispiel der jüngsten Vergangenheit zeigt, auch hier wird fleißig übers Teilen nachgedacht. Im DWDL-Interview sagte der geschätzte Kollege und ProSieben-Chef Hannes Hiller zuletzt zur Auswertung der Serie „Cooking Academy“ auf Disney+ und Joyn/ProSieben: „Wie bekommt man genug Aufmerksamkeit für den Start neuer Programme? (…) Sharing ist auf jeden Fall ein Schlüssel für die Zukunft. (…) Smartes Windowing ist sicherlich eine Währung, mit der wir uns in Zukunft noch intensiver beschäftigen müssen.“ Und ich füge hinzu, Back-Kataloge sind ein Schatz und ein wichtiger Erlösstrom für die Zukunft. Denn die richtigen IPs werden zunehmend wichtiger, als einzelne Plattformen und Kanäle.
Mehr zum Paradigmenwechsel lest ihr hier
Was hat mich diese Woche wirklich geärgert?
Dass „woke“ oder „un-woke“ scheinbar zu einem neuen KPI bei US-amerikanischen Streamern wird. Was ist passiert? Aufmerksamkeitsträchtig hat Elon Musk Anfang Oktober sein Netflix-Abo gekündigt. Er behauptet, er habe sein Abo beendet und rufe andere dazu auf, dasselbe zu tun, weil in Zeichentrick-Serien, die vor Jahren erschienen und teils schon ausgelaufen sind, Transgender-Charaktere vorkommen. Musk forderte auf seiner Plattform X, auf der er 227 Millionen Follower hat, mehrfach: „Cancel Netflix for the health of your kids.“ Der Hashtag #CancelNetflix trendete umgehend, zahlreiche Nutzer posteten Storno-Screenshots auf X. Und die Netflix-Aktie fiel um grob zwei bis vier Prozent in den ersten Tagen (teils waren das mehr als 15 Milliarden US-Dollar Market-Cap minus an anderthalbTagen). Auch wenn die Kausalität unklar ist, und sich die Aktie inzwischen wieder erholt hat, wurde Musks Kampagne in der Berichterstattung als Faktor genannt. Ist das nun primär Kulturkampf-Kommunikation mit Kurs-Nebenrauschen, aber die langfristige Netto-Kündigungswirkung bleibt offen? Egal wie, Musk zeigt einmal mehr, wie seine Einlassungen Auswirkungen haben. Und welches verquere Verständnis der Multimilliardär und selbsterklärte „free speech absolutist“ von der Vielfalt und Meinungsfreiheit hat. Und Netflix? Hat sich bis Donnerstag offiziell nicht zu Musk und seinen Vorwürfen geäußert. Vermutlich hofft man auf ein Abebben des Hashtags und will sich vor der Veröffentlichung der nächsten Quartalszahlen am 21. Oktober durch eine schwelende Diskussion keinen Splitter einreißen. Ich aber hoffe, sie bleiben standhaft und verbitten sich Musks Äußerungen. Denn die Meinungsfreiheit stirbt in den USA derzeit nicht im Verbot, sondern im vorauseilenden Gehorsam der Studios.
Mehr zur Causa gibt es hier zu lesen
Über welche Company muss ich hier schon wieder berichten?
Über OpenAI. Genau, die Firma mit ChatGPT und so. Dort hat der „DevDay 2025“ stattgefunden. Und der war nicht nur ein Produktfeuerwerk, sondern eine Machtdemonstration. CEO Sam Altman eröffnete, Greg Brockman, Mitgründer und President von OpenAI (er verantwortet die Produkt/Engineering-Themen) und Olivier Godement (Head of Product für die OpenAI-Plattform) lieferten das „Developer State of the Union.“ Der ehemalige iPhone Designer Jony Ive setzte schließlich den Hardware-Akzent. Und OpenAI zeigte mit „Apps in ChatGPT“ (ein Software Development Kit wird für Partner mitgeliefert) und „AgentKit“, wie ChatGPT zur obersten Plattform-Schicht, zum universalen Operating System werden soll. Die Strategie ist nichts anderes als eine parallele Attacke auf alle Big Tech-Burggräben: Apple/Google beim App-Store & Search (Apps im Chat statt App-Wechsel, einer der ersten Partner ist hier z.B. Spotify), Meta bei In-Feed-Transaktionen. Und über Compute-Deals samt Stargate & AMD-Partnerschaft auch ein Schlag gegen Nvidias Dominanz. Ives’ noch etwas geheimnisvoller Gerätekurs schließlich zielt zusätzlich auf die Interface-Kontrolle jenseits des Smartphones. Wenn das funktioniert, könnten letztere möglicherweise bald verschwinden. Soll heißen, wenn Apps und AgentKit in der Breite zünden und die Compute-Kostenkurve hält, baut OpenAI die erste „Post-Smartphone-Plattform.“ Software, Hardware, Distribution aus einer Hand. Oder wie Zukunftsforscherin Amy Webb formuliert: „Die LLM-Ära dreht sich nicht mehr um offene Suche, sondern um Lock-in.“ Kann es also sein, dass OpenAI mit seiner KI-Heritage die anderen Big Tech Todessterne (zer-)schlägt? Oder übernimmt sich Sam Altman hier? Die Zukunft wird es zeigen.
Alle Infos zum „DevDay“ gibt es hier
Und welche Kampagne finde ich sehr gelungen?
Die Deutsche Bahn macht etwas, das ich ihr lange nicht zugetraut hätte: eine eigene, gut gemachte Mockumentary. „Boah, Bahn! – Wir sitzen alle im selben Zug“ ist kein beschönigender Werbespot mit Rollkoffer und Sonnenuntergang, sondern eine kurze, pointierte Webserie über den ganz normalen Bahnsinn. Mit Anke Engelke als ICE-Zugchefin „Tina“, Regie führt Arne Feldhusen („Stromberg“, „Tatortreiniger“), produziert vom Storytelling-Studio wtf GmbH, dem Joint Venture aus btf (bildundtonfabrik) und Elastique. Die Folgen sind Social-first gedacht (YouTube/Instagram/TikTok), drei bis vier Minuten lang, und fühlen sich an wie das, was die DB seit Jahren kommunikativ sucht: Humor mit Herz, ohne den tristen Alltag zu verklären (die Berliner Verkehrsbetriebe lassen grüßen). Die Initialzündung kam von Anke selbst. Sie hat bei der Bahn hospitiert, mehrere Bereiche kennengelernt und die Idee gemeinsam mit DB und wtf entwickelt. Das erklärt den Ton. Die Gags kommen nicht von außen aufgesetzt, sondern aus Situationen, die Personal und Fahrgäste kennen: Kaffeekannen-Dramaturgie, Funkdurchsagen, Mikro-Konflikte im Gang. Die Serie ist damit eine humorvolle Liebeserklärung an alle Zugteams, die auch meiner Meinung nach die tragischen Helden aller Bahn-Missstände sind. Ich finde gut, dass die DB damit nicht einfach „noch eine Kampagne“ startet, sondern ihren „Owned Content“ serialisiert. Mit brillanten Figuren, die man wieder erkennt, und Konflikten, die sich weiterdrehen. Ob das Format wirkt, wird sich entscheiden. Die ersten Abrufzahlen sind laut wtf sehr gut. Gute Kommunikation ersetzt zwar keine Pünktlichkeit, aber sie kann Haltung zeigen. Nochmal: „Boah, Bahn!“ ist nicht die Lösung für kaputte Weichen, verwirrende Zugfolgen oder andere strukturelle Mängel. Aber es ist die bislang stimmigste Erzählung der DB über sich selbst: nah, schnell, selbstironisch, und mit einem Profi-Team, das Comedy kann, weil es sich seit Jahren kennt. Wenn schon nicht jeder Zug pünktlich ist, dann sollte wenigstens der Witz sitzen. Und genau das schafft diese Serie erstaunlich oft.
Mehr zur Webserie gibt es hier