Bild vom 29. Dezember 2009Und deshalb ist die Kampagne gegen die "Tagesschau"-App, die mit dem Titelthema in der "Bild"-Zeitung ihren neuesten Höhepunkt findet, nur mit sehr viel Humor zu ertragen. Mit welcher Berechtigung stellt sich ein einzelner Verlag samt Sympathisanten hin und verwehrt einem Medium seine Existenz? Nachrichten-Apps für das iPhone sind nichts anderes als eine andere Ausgabeform einer Website. Deswegen wächst sich diese Debatte zu einer Debatte um kostenlose oder kostenpflichtige Internet-Angebote aus. Vermutlich aus der blanken Hoffnung oder Gier, bald vor jeden Inhalt eine Bezahlschranke zu installieren, werden jetzt kostenlose Internetangebote ins Visier genommen und mit Kampagnen-Journalismus bekämpft. Besonders dreist ist dabei der Versuch der "Bild" an diesem Dienstag, die Leser zu instrumentalisieren. Denn die wahren Beweggründe für das Titelthema verschweigt die "Bild".

Auf Seite 2 wird zwar auf die App-Diskussion eingegangen. Sogar mit einem eigenen Info-Kasten, der jedoch sehr oberflächlich bleibt. Die Überschriften vermitteln ohnehin etwas anderes. Da heißt es auf der Titelseite etwa "Immer mehr Kosten, die wir alle bezahlen". Das ist Populismus der feinsten Art: Obwohl es dem Axel Springer Verlag eigentlich um die Frage geht, ob die "Tagesschau.de"-App einen neuen Markt zerstört, argumentiert man auf der Titelseite mit dem banalen Argument der unsinnigen Ausgaben, für die wir als GEZ-Gebührenzahler aufkommen sollen. Dummerweise wird diese Argumentation zum doppelten Boomerang für "Bild": Zunächst einmal sind die Kosten der Programmierung einer iPhone-App im Vergleich zu dem, was ARD und ZDF an anderer Stelle ausgeben - ob berechtigt oder nicht - minimal. Viel gravierender aber ist eine andere Heuchelei der "Bild".
 

 
Es ist so absurd, dass einem beinahe die Worte dafür fehlen. "Bild" hetzt seine Leser gegen die Öffentlich-Rechtlichen und ihre Gebühren auf; spielt die Kosten- und Verschwendungskarte. Und gleichzeitig müsste der "Bild"-Leser nach dem Willen des Axel Springer Verlages auch noch für die "Tagesschau"-App zahlen. Sich als Anwalt des Gebührenzahlers zu inszenieren und gleichzeitig zu fordern, dass die Gebührenzahler für "Tagesschau.de" nochmal Geld auf den Tisch legen sollen, ist der Gipfel der Verlogenheit in dieser Debatte, die eigentllich viel sachlicher und vorallem mit einem völlig anderen Fokus geführt werden sollte. Denn mit seinen technisch hervorragenden Apps von "Bild" und "Welt" hatte der Axel Springer Verlag ein aus sich heraus attraktives kostenpflichtiges Angebot gestartet.

Doch offenbar ist das Vertrauen in das eigene Angebot, seine Qualität und Attraktivität nicht sehr groß. Denn statt sich im Wettbewerb mit dem besten Angebot durchzusetzen, wird schon vor einem überhaupt existierenden Wettbewerb eine Kampagne gefahren, die völlig an dem vorbei geht, um den es eigentlich gehen sollte: Den Leser. Wie dünnhäutig sind die Verlage bloß geworden, wenn sie nicht mehr allein an ihre eigenen Stärken und Produkte glauben. Dabei wirkte es gerade noch sehr souverän wie entschlossen und umfangreich Axel Springer für seine Bezahloffensive trommelte - bis dann auf einmal die Ankündigung der "Tagesschau"-App kam und die Nerven von heut auf morgen blank lagen. Nicht zum ersten Mal wurde da die Schnellwahltaste 1 gewählt. Selten zuvor wirkte die Print-Branche mit ihren Hilfeschreien in Richtung Politik so bemitleidenswert wie in diesem Jahr. Deshalb am Schluss ein Rat, frei nach John F. Kennedy: "Frage nicht, was die Politik für Dich tun kann. Frage, was Du für Deine Leser tun kannst."