Vor dem Start der Sendung war ich in Berlin-Mitte, habe mit dem Team und auch Gottschalk über die Sendung gesprochen. Schon damals konnte aber niemand so recht erklären, wie die Sendung genau aussehen soll. Doch ich dachte: Die werden schon wissen, was sie tun. Und als Prestige-Projekt der ARD wird man klotzen statt zu kleckern. Doch diese Hoffnung wurde bereits in der ersten Sendung nach wenigen Minuten zerstört: "Gottschalk Live" hatte in der Premieren-Sendung eine große Chance, sich als Must-See-TV zu etablieren, doch entweder wollte man nicht oder konnte es nicht: Statt Gottschalks Geplauder darüber, wie er einst Heidi Klum entdeckt hat, wäre eine Live-Schalte zu ihr mit den ersten Aussagen zur damals frischen Trennung von Seal der Coup zum Start gewesen. Chance verpasst. Das hätte sitzen müssen - koste es, was es wolle. Doch auch danach machte "Gottschalk Live" nicht mit seinen Inhalten große Schlagzeilen.

Jetzt soll Markus Peichl helfen und die Sendung retten. Seine Qualitäten sollen hier nicht bezweifelt werden, aber es ist gleichzeitig die Kapitulation der Produzenten und derer, die täglich an der Sendung arbeiten. Sie hätten es in der Hand gehabt. Jetzt kommt Peichl und zieht in seinem Antritts-Interview mit "Spiegel Online" eine Bilanz mit banalen Erkenntnissen ("Klares Konzept"), die eher kleine Fernsehkunde denn höhere Wissenschaft sind und man weiß gar nicht, was schlimmer wäre: Wenn man bei "Gottschalk Live" erst durch Peichls Anmerkungen aufgeweckt wurde oder das schon selbst erkannt hatte, aber nichts unternahm. Doch irgendwie verdienen sich "Gottschalk Live" und Markus Peichl gegenseitig. "Bis zur Sommerpause sitzt das Konzept. Ab Herbst wird sich das auf die Quoten auswirken", kündigt der designierte Gottschalk-Retter an.

Da reibt man sich dreimal die Augen und die Fernsehbranche war selten so wortreich sprachlos wie an diesem Wochenende: An Häme für Peichls Aussagen mangelte es nicht. "Tatendrang klingt anders", war noch die höflichste Form der Kritik an der zeitlichen Perspektive. Eine Redaktion, die schon bisher nicht übermäßig engagiert war und ein neuer Berater, der sich noch so 60 oder 70 Sendungen erbittet, bis mal das Konzept sitzen soll. Willkommen auf dem Planeten "Gottschalk Live", wo sich alles etwas langsamer bewegt. Über diese Behäbigkeit müsste sich ein Thomas Gottschalk viel mehr aufregen als über seine Einschaltquoten. Dekadent an "Gottschalk Live" ist nicht das Format, sondern die Gemütlichkeit, mit der da jetzt eine Experimentierfläche vertrödelt wird.

Auch wenn es manche Beobachter anders sehen mögen: Einen spannenderen Job als den bei "Gottschalk Live" kann es momentan nicht geben, egal in welcher Position man an dem Projekt beteiligt ist. Wo sonst gibt es eine solche Spielfläche, die vom Sender aus auch so schnell nicht in Frage gestellt wird. Mit einem Protagonisten, der im ersten Monat bewiesen hat, dass es ihm ernst ist. Ja, die Branche erzählt sich von Gottschalks Unlust nach Woche 1. Doch er ist immer noch da und könnte in den kommenden Monaten seine Karriere krönen: Ein Samstagabendshow zu hinterlassen, deren Zukunft immer noch fraglich ist, hilft nur dem Mythos Gottschalk. "Gottschalk Live" als Beispiel für Ausdauer, den Glauben an eine Idee und den Mut zu Experimenten - das hingegen wäre ein wirkliches Vermächtnis. Deshalb eine Bitte: Aufwachen, anpacken.