Die Kamera fliegt über Los Angeles, Las Vegas und New York. Im Berliner Tempodrom wird ein Feuerwerk gezündet, das den Anschein erweckt, als werde man gerade Zeuge eines unfassbaren Spektakels - dem Einmarsch von Dieter Bohlen, Michelle Hunziker und Thomas Gottschalk – jener Jury, die darüber urteilen darf, ob sich ein Mann, der mit den Händen „Cherry Cherry Lady“ furzt, „Supertalent“ nennen darf. Genau: „Das Supertalent“ ist die Show, die RTL in den vergangenen Jahren zuletzt derart ins Extreme gedreht hat, dass das Zuschauen meist unerträglich war.

So gesehen durfte man gespannt sein, wie sie nun aussehen würden, die oft versprochenen Veränderungen bei der „Supertalent“-Suche, zumal Thomas Gottschalk, seines Zeichens langjähriger Samstagabend-Matador des ZDF und gescheiterte Vorabend-Existenz der ARD, im Vorfeld versprach, nicht an einer Freakshow teilnehmen zu wollen. Nun gut: Das hätte er sich besser vorher überlegen sollen, denn auch in der aktuellen Staffel der Castingshow mangelt es nicht an Kandidaten aus dem Kuriositätenkabinett. Und doch scheint es zunächst, als habe RTL die Inszenierungsschraube ein ganzes Stück weit zurückgedreht.

Anders als man es gewohnt war, werden die Auftritte endlich mehr oder weniger vollständig gezeigt – und nicht unterbrochen durch unnötige Zeitlupen oder Rückblenden. Zumindest das muss man RTL hoch anrechnen, auch wenn man in Köln Gefahr läuft, dass einem genau das am Ende zum Verhängnis werden könnte. Durch all die Überinszenierungen der vergangenen Jahre hat man beim Publikum eine derartige Erwartungshaltung aufgebaut, dass es mit dem Gewöhnlichen kaum noch zufriedenzustellen ist. Unfassbare Weltklasse oder das extreme Gegenteil: Dazwischen gab es all die Jahre nichts mehr. Immerhin: Weil die Fernsehkonkurrenz am Samstagabend gegen Gottschalks Einstand beim „Supertalent“ nahezu auf Sparflamme sendete, dürfte aus Quotensicht zumindest diesmal noch nichts schiefgegangen sein.

Bei der Aufzeichnung selbst war das allerdings anders: Beim Bungeesprung eines 87-Jährigen, gehalten nur von „irgendeinem Spinner“, wie Thomas Gottschalk ihn nannte, hätte so manches schiefgehen können. Mehrfach wurde auch noch betont, wie schmerzhaft das dann werden könnte. Und nicht wenige Zuschauer riefen sich in diesem Moment vermutlich noch einmal die Begründung in Erinnerung, mit der Gottschalk vor gut eineinhalb Jahren seinen Abschied von „Wetten, dass..?“ kundtat. Dass Gottschalk nach dem Bungeesprung auch noch mit Dieter Bohlen über die Gefahren dieser – nennen wir sie mal – Außenwette diskutierte, machte es nicht besser. Doppelmoral zur besten Sendezeit, als hätte es Samuel Kochs Unfall auf der großen Show-Bühne nie gegeben.

Und sonst? Am überzeugendsten waren zu Beginn der Sendung ausgerechnet die aus den USA und Großbritannien eingekauften Kandidaten – das erste echte Talent aus Deutschland, ein gefühlvoller Sänger am Flügel, kam erst nach gut 75 Minuten auf die Bühne. Zuvor arbeitete sich RTL an der gewohnten Mischung aus Tieren, Kindern und Kuriositäten ab: Bis zum ersten Herzfehler eines kleinen Jungen vergingen gerade mal zwölf Minuten, danach folgten ein sprechender Papagei und ein Wolfgang-Petry-Imitator, der offensichtlich mehr Wert auf Holzfäller-Hemd und Freundschaftsbändchen legte als auf seine Stimme. Wahnsinn war das, was der gute Mann da zum Besten gab, jedenfalls ganz gewiss nicht.

„Du bist einer der Typen, vor denen ich mich ein bisschen gefürchtet habe“, merkte Gottschalk nach seinem Auftritt an und unterstellte ihm gutgläubig: „Du hast dich schlicht verlaufen.“ Ob das auch für den einstigen ZDF-Star gilt, wird vermutlich nur Gottschalk selbst beantworten können. Fakt ist allerdings, dass RTL zum Ende der ersten Sendung hin zunehmend wieder in alte Muster verfiel. Da wurden den kompletten Abend über gleich mehrere Auftritte angekündigt – nur um am Schluss der Sendung auf die kommende Woche zu verweisen. „Sehen Sie alles über den Unfall von Michelle Hunziker – gleich“, kündigte Moderator Daniel Hartwich vor der letzten Werbung an. Doch davon war später ebenso wenig zu sehen wie von einem amerikanischen Zauberkünstler, dessen „Spektakel“ man angeblich nicht verpassen dürfe.

Das ist, gelinde gesagt, eine Verarschung des Publikums, die vieles von dem mit einem Schlag wieder zunichtemacht, was man zunächst durchaus als positive Veränderungen anerkennen konnte. Am Ende bleibt der Eindruck, dass das „Supertalent“ eben doch nichts anderes ist als eine in weiten Teilen wild zusammengeschnittene Show, in der vor allem Effekthascherei im Mittelpunkt steht und nicht die Freude am Können. Geändert hat sich also nicht viel. So gesehen muss man jetzt erst recht hoffen, dass das ZDF in drei Wochen eine vernünftige Neuauflage von „Wetten, dass..?“ auf die Beine gestellt bekommt. Wenn nicht, dann darf man die Samstagabendunterhaltung nämlich getrost für tot erklären, auch wenn Ausnahmen bekanntlich die Regel bestätigen. Eines ist jedoch gewiss: RTL wird sie mit dem „Supertalent“ kaum noch retten können.