Genie und Wahnsinn war selten so sympathisch wie Anke Engelke beim deutschen Vorentscheid für den Eurovision Song Contest in Malmö am Donnerstagabend. Sie führte mit einer schon beim ESC in Düsseldorf vor zwei Jahren gefeierten Mischung aus gut einstudierter und manchmal eher perplex spontaner Moderation durch die große Show aus Hannover und sprach mehr als einmal dem TV-Publikum aus dem Herzen - etwa mit einem Seitenhieb gegen das doch überraschende Juryvoting für eine Dance-Nummer.



Contest statt Casting war das Motto in diesem Jahr und sorgte für reichlich ESC-Fieber schon beim Vorentscheid. Dazu trug die große Halle, die Off-Stimme von Peter Urban beim Einspieler und am Ende beim Radio-Voting eine Punktevergabe nach ESC- bzw. BuViSoCo-Tradition bei. Doch das Ende verblüffte dann so manchen Fernsehzuschauer: Radiohörer, Jury und Fernsehpublikum, die nach neuem System je ein Drittel zum Endergebnis des Vorentscheids beitrugen, hatten völlig verschiedene TopTen. So verschieden können Geschmäcker sein. Am Ende aber hatte Cascada die Nase vorn. Das Ergebnis dieses dreiteiligen Votings dürfte noch für so manche Diskussion sorgen. Was wäre es für ein Vorentscheid, wäre es nicht so.

Aber die Show aus Hannover machte aus dem deutschen Vorentscheid in Liedermacher-Format der vergangenen Jahre auf jeden Fall wieder einen Event. Raus aus dem Studio, rein in die Halle. Ganz nach schwedischem Vorbild. Anders als dort, wo der Vorentscheid über Wochen läuft, musste bei uns die Vorfreude und ESC-Stimmung jedoch auf Anhieb an einem Abend aufkommen. Ob sie bei ausreichend vielen Zuschauern aufkam, wird erst die Quote zeigen. An einem ESC-typisch breiten Musikangebot, von Dance bis zu den zwischenzeitlich ebenfalls führenden kurios-volkstümlichen La BrassBanda, mangelte es jedenfalls nicht. Grund zur üblichen Aufregung darüber gab es also auch. 

Aber davon abgesehen hat die von NDR und Brainpool produzierte Show nach drei Jahren eher intim-beschaulicher Beitragssuche mit Stefan Raab den Vorentscheid wieder einmal neues Leben eingehaucht. So groß wurde er noch nie gefeiert. So richtig, wichtig und unvergleichlich es war, dass Stefan Raab den Wettbewerb wieder zu neuer Ernsthaftigkeit und damit verbundenem Interesse beim Publikum geführt hat, so gut war jetzt die Überraschung mit neuer Form. Auch wenn gemessen an der Größe der Halle noch etwas mehr Show und Spektakel denkbar gewesen wäre. Bleibt jetzt jedoch im nächsten Jahr abzuwarten, ob sich das Interesse am Eurovision Song Contest als Event auch unabhängig von unseren Beiträgen für den Wettbewerb hält.

Wir haben also Cascada als deutsche Vertreterin in Malmö - die Nr.1 der TV-Zuschauer und die Nr. 2 der Radiohörer und Nr. 3 der Jury. Es ist eine Dance-Nummer nah, sehr nah, am Vorjahres-Siegersong von Loreen. Charttauglich und mit größter europäischer Fanbase aller angetretenen Kandidaten - wer die Musik nicht mag, kann sich also möglicherweise damit trösten, dass es damit theoretisch gute Voraussetzungen gibt. Wenn der Trost nicht reicht, bleibt immer noch Anke Engelke als Siegerin der Herzen. Sie darf, ganz ohne Aufschrei, gerne noch einmal antreten beim Vorentscheid.