„Das ist wie Dschungelbuch“: Der Respekt steht den Kandidaten ins Gesicht geschrieben, als sie zum ersten Mal die kleine Insel Gibraléon vor Panama betreten. Ausgestattet mit nicht viel mehr als Wechselkleidung, Machete und Trinkwasser für einen Tag stürzen sich 14 Kandidaten – acht Männer und sechs Frauen – ins Abenteuer ihres Lebens. Was zunächst mal ziemlich abgedroschen klingt, erweist sich schnell als bittere Realität, denn „Wild Island“, so der Titel der neuen Realityshow, die an diesem Sonntag bei ProSieben startet, ist nicht vergleichbar mit ähnlich angelegten Shows, von denen es in den vergangenen Jahren schon einige gegeben hat. 

Vor allem aber ist „Wild Island“ nicht vergleichbar mit dem Dschungelcamp. Gegen den Promi-Zirkus, den RTL Jahr für Jahr in Australien veranstaltet, wirkt die ProSieben-Show ungleich härter, denn während die Dschungelcamper im sicher abgesteckten Terrain ihr Dasein fristen, sind die Protagonisten auf Gibraléon vollkommen auf sich alleine gestellt. Ein Kamerateam gibt es jedenfalls nicht – und auf einen Dr. Bob, der sich mal eben um jedes Wehwehchen kümmern kann, hat ProSieben auch verzichtet. Stattdessen filmen und behandeln sich die Kandidaten von „Wild Island“ selbst. Das funktioniert auch deshalb, weil sich unter ihnen drei professionelle Kameraleute und ein Arzt befinden. Einmischung von außen gibt es nur im äußersten Notfall.

Es ist eine Stärke dieser Produktion von Endemol Shine, dass die in vielerlei Hinsicht ungewöhnliche Konstellation zu Beginn der Show sehr ausgiebig erklärt wird. So erfährt das Publikum auch, dass die Abenteurer ihr gefilmtes Material Tag für Tag in eine Dropbox legen müssen, wo es später von Mitarbeitern der Produktion abgeholt wird – ohne dass es Kontakt zwischen Team und Kandidaten geben würde. Durch diese Transparenz-Offensive sollen Zweifel an der Authentizität von Anfang an zerstreut werden, was dann auch erstaunlich gut funktioniert. Als Zuschauer kann man sich jedenfalls sehr schnell in die Lage versetzen, in der sich die Kandidaten von „Wild Island“ befinden. Die werden in zwei Gruppen irgendwo im Nirgendwo ausgesetzt, müssen sich erst durchs Dickicht des Dschungels schlagen und dann vier Wochen lang selbst ernähren. 

Das ist leichter gesagt als getan, denn das Trinkwasser muss erst mühsam gesucht werden – und der Wildschweinbraten wird auch nicht mundgerecht serviert. Dass die Abenteurer Tiere töten müssen, um an Nahrung zu kommen, hat bereits vor der Ausstrahlung für reichlich Aufregung in den sozialen Netzwerken gesorgt, der ProSieben nach Kräften entgegenzutreten versuchte. Dass Tiere bei „Wild Island“ zur Belustigung gequält würden, wies der Sender ebenso zurück wie den Vorwurf, man töte bedrohte Tierarten. Tötungsszenen gibt es allerdings ohnehin nicht zu sehen, dafür aber Szenen, in denen Tiere gefangen werden. „Das mag in Zeiten, in denen sich viele Menschen von Tiefkühlkost ernähren, den ein oder anderen verstören“, gibt ProSieben zu.

Gleichzeitig verweist der Sender auf das Survival-Training, dem sich alle Kandidaten im Vorfeld der Show unterziehen mussten. Das ist im Übrigen bitter nötig, denn ungefährlich ist „Wild Island“ nicht, wie gleich mehrere Beispiele aus den bereits ausgestrahlten amerikanischen Version recht eindrucksvoll vor Augen führen. Dort bekam einer der Kandidaten einen Hitzschlag und ein anderer drohte gar damit sich umzubringen, nachdem er von seinen Kinder sprach, die er nach dem Krebstod seiner Frau alleine zu Hause gelassen hatte, um sich dem Insel-Abenteuer zu stellen. Auch in der deutschen Show, die ProSieben eine Woche lang am späten Abend ausstrahlen möchte, wird schnell deutlich, dass „Wild Island“ weit mehr ist als lockerer Campingausflug mit Freunden.

Die Kombination aus tropischen Temperaturen und überschaubarer Flüssigkeitsaufnahme führt schnell zu Leichtsinn – und erhöht dementsprechend das Risiko für die Beteiligten. Trashig kommt „Wild Island“ glücklicherweise zu keinem Zeitpunkt daher. Stattdessen entwickelt sich die Show schnell zur spannenden Charakterstudie, die sehr eindringlich zeigt, wie Menschen in Extremsituationen reagieren. „Wild Island“ ist deshalb überraschend spannendes Fernsehen – vorausgesetzt, man lässt sich darauf ein. Der Gedanke ans Dschungelbuch ist dann jedenfalls ganz schnell verflogen.