Schüsse fallen in einem Einkaufszentrum, mehrere Menschen sterben. Quälend lange herrscht Unklarheit und selbst an vermeintlich sicheren Orten macht sich plötzlich Panik breit. Wer nach der Attacke von München schnelle Antworten suchte, der wurde enttäuscht. Keine leichte Aufgabe also für all jene, die am Freitagabend über Stunden hinweg vor laufender Kamera erklären mussten, was zunächst einmal nicht zu erklären war. Viel zu erklären hatte auch der Sprecher der Münchner Polizei. Marcus da Gloria Martins heißt der Mann mit dem Namen, der auch eine Hollywood-Karriere ermöglichen könnte. Tatsächlich wurde er zumindest für eine Nacht zum Star, weil es ihm in all dem Trubel schon früh gelang, so etwas wie ein Gefühl der Sicherheit zu vermitteln. In bewundernswerter Gelassenheit lieferte er Fakten und stellte sich auf gleich mehreren improvisierten Pressekonferenzen jeder noch so blöden Frage der nervösen Journalisten.
Ob das denn nun ein Terroranschlag gewesen sei, will einer von ihnen wissen. Martins schaut erst irritiert, lacht etwas verzweifelt und klärt dann auf: "Wenn in einem Einkaufszentrum mit einer Schusswaffe geschossen wird und mittlerweile acht Tote zu beklagen sind, müssen wir doch in jedem Fall im Grundsatz davon ausgehen, dass das nicht ein einfaches Gewaltdelikt ist." Kurz darauf wird er von einer Reporterin gefragt, ob die Aufforderung der Polizei, die eigenen vier Wände nicht zu verlassen, nach wie vor gilt. Wieder herrscht Ungläubigkeit auf Seiten des Polizeisprechers, wieder antwortet er gelassen. "Überall in der Stadt sind polizeiliche Maßnahmen in Gange und die haben natürlich eine gewisse Außenwirkung", erklärt er und schiebt schnell hinterher, dass doch schon der gesunde Menschenverstand empfehle, zu Hause zu bleiben. "Spät genug dafür ist es mittlerweile."
Ähnlich souverän gibt sich Marcus da Gloria Martins wenig später, als er noch einmal von einem sichtlich aufgeregten Reporter des Bayerischen Rundfunk einzeln befragt wird, auch wenn kaum davon auszugehen war, dass er nun mehr sagen konnte als wenige Momente zuvor auf der Pressekonferenz. Ob sich die Täter noch in München befinden, will der Mann mit dem blauen Mikofon wissen und bekommt für diese Frage eine freundlich verpackte ironische Antwort: "Wenn Sie eine Kristallkugel haben, die mir das beantwortet, würde ich sie sofort nehmen." Doch besagte Kugel besaßen erwartungsgemäß weder der BR-Reporter noch all die anderen Journalisten, die sich daran versuchten, die diffuse Situation zu deuten. Freilich ging das nicht immer gut. So warnte N24 zu Beginn des Abends in großer Schrift vor einer angeblichen Schießerei am Stachus, obwohl die Polizei diese längst dementiert hatte. Und ein RTL-Reporter mahnte, die Abschirmung der Menschen zu respektieren, obwohl er selbst kurz zuvor genau das nicht getan hat.
Wie gut, dass an diesem turbulenten Abend nicht nur der Sprecher der Münchner Polizei die Ruhe bewahrte. Einmal mehr stellte Peter Kloeppel über Stunden hinweg unter Beweis, wie wichtig er für RTL ist. Konzentriert und souverän deutete er in zumeist bewundernswerter Sachlichkeit die Ereignisse oder zumindest das, was davon bislang bekannt war. Nur schade, dass ihn die Redaktion immer wieder in undankbare Situationen brachte – so wie jene, in der ganz unvermittelt das Bild zweier verdeckter Leichen über den Sender ging. Da fehlten dann auch einem erfahrenen Mann wie Kloeppel für einen kurzen Moment die Worte. ZDF-Kollege Claus Kleber wiederum gab sich Mühe, auch die sozialen Netzwerke in seine Sondersendung einzubeziehen. "Mich erreichen Meldungen der Polizei am schnellsten über Twitter", sagte er schon sehr früh am Abend und machte damit deutlich, wie wichtig die so genannten neuen Medien inzwischen geworden sind.
In der Tat machte die Polizei auch im Netz eine gute Arbeit, mahnt und warnte frühzeitig, auch wenn längst nicht jeder der Aufforderung nachkam, keine Bilder oder Videos von Polizeikräften im Einsatz zu veröffentlichen, um damit nicht den Tätern zu helfen. Besonders ein Video hatte im Laufe des Abends für Aufsehen gesorgt: Es zeigte einen etwas wirren Dialog zwischen einem Mann und dem mutmaßlichen Täter, das in den kommenden Tagen womöglich noch zur Aufklärung der Umstände beitragen könnte. Schon sehr bald und lange vor der ARD ordnete Claus Kleber das, was dort zu sehen und vor allem zu hören war, souverän ein. Dass sich das ZDF immer wieder dazu entschied, auch auf Kosten einer möglicherweise starken Quote die Live-Berichterstattung zu unterbrechen, erwies sich zudem keineswegs als Nachteil, konnte die Redaktion die Pausen doch offensichtlich dafür nutzen, um selbst ein wenig besser zu verstehen, was sich in München eigentlich ereignete.
"Tagesthemen"-Moderator Thomas Roth kam dagegen nur selten zur Ruhe, doch an eine Verschnaufpause war für ihn während der Sondersendung, die im Übrigen auch das BR Fernsehen übernahm, über Stunden hinweg nicht zu denken. Besonders am späten Abend bot die ARD aber eine gute Alternative, insbesondere zu all den wackeligen Handy-Videos, die man als Zuschauer an diesem Abend im Überfluss zu sehen bekam. Geradezu tiefgründig analysierte Georg Mascolo im Gespräch mit Roth die Unterschiede zwischen Terror, Amok und Krieg. Nur ärgerlich, dass man sich zuvor in den "Tagesthemen" womöglich etwas zu einseitig auf einen islamistischen Hintergrund stürzte.
Das ist Elmar Theveßen diesmal übrigens nicht passiert. Mitten in der Nacht erinnerte sich der Terrorismusexperte des ZDF an die genau fünf Jahre zurückliegenden Anschläge von Anders Breivik in Norwegen, wo Theveßen – wie er heute sagt – "falsche Möglichkeiten erörterte" und zunächst eher an einen islamistischen als an einen rechtsextremistischen Hintergrund glaubte. Dieses Beispiel zeigt im Übrigen sehr gut, weshalb es insbesondere vor der Kamera dringend geboten ist, sich an einem Abend wie diesem in München mit Spekulationen zurückzuhalten. Erklären, was bekannt ist – immer und immer wieder. Niemand verlangt von den Sendern zu diesem Zeitpunkt ein gutes Storytelling. Es geht um Taktgefühl und seriöse Information, um das rat- und womöglich auch rastlose Publikum auf dem Laufenden zu halten. Wie gut, wenn es dann auch noch einen wie Marcus da Gloria Martins gibt.