In der Pilotepisode von Amazons "Good Girls Revolt" gibt es zwei Momente, die dem Zuschauer binnen kürzester Zeit alles verraten, was er über diese Serie wissen muss. Zum einen sind es die Rolling Stones, die mit ihrem vielleicht besten Song in die allererste Szene starten: "Gimme Shelter" ertönt und man spürt sie einfach: The 60's, baby! Es ist die Grundlage für eine atmosphärische Zeitreise. Auf der anderen Seite hat die englische Rockband auch etwas mit der zweiten Begebenheit zu tun, die "Good Girls Revolt" durchgehend prägen wird. Die Stones waren nämlich die Band, die genau dann beim Altamont Free Concert 1969 aufgetreten sind, als es zum blutigen Mord an dem afroamerikanischen Zuschauer Meredith Hunter durch einen Hells Angel kam. Dieses Event, um das sich auch das in der Serie im Mittelpunkt stehende News-Team eines wöchentlichen Magazins dreht, gilt als symbolisches Ende der Unschuld der Hippie-Bewegung - und erzeugt damit einen interessanten Kontrast zwischen rockigem 60's Feeling und aufwühlendem Umbruch in eine neue Zeit.

Wo viele Drogen lange für Frieden und Liebe standen, rückten plötzlich immer häufiger Angst und Verunsicherung in den Vordergrund. Meredith wurde nämlich erst dann zur Strecke gebracht, als er vollkommen high inmitten einer Menschenmenge eine Schusswaffe gezogen hat. Und so beginnt sich die Gesellschaft in vielen Facetten neu zu überdenken - vor allem das weibliche Geschlecht, dass sich nicht mehr unterordnen möchte. Dass Männer stets an erster Stelle standen, macht Jim Belushi als William 'Wick' McFadden, dem Chefautoren des Teams, schnell deutlich: "Das machen Frauen hier nicht", antwortet er auf die Frage der Angestellten Nora Ephrom (Grace Gummer), warum sie denn keine Story schreiben dürfe. "Wieso nicht?", will sie wissen. "Ganz einfach: Weil wir das hier so handhaben." Argumente bringen nichts - und selbst ein untergejubelter und als ausgesprochen gut befundener Text, den sie unter dem Namen eines männlichen Kollegen eingereicht hat, können ihn zunächst nicht zum Umdenken bewegen.

Diese Szene steht symbolisch für diese neue Amazon-Serie. Menschen agieren ignorant, die andere Seite reagiert rebellisch. Nicht immer ist es in der heutigen Zeit leicht nachzuvollziehen, wie eine Generation, die mit so viel Peace & Love aufgewachsen ist, plötzlich so dermaßen aneinander vorbeireden kann - insbesondere, wenn man diese Ära nicht selbst miterlebt hat. Dem Zuschauer dennoch einen bleibenden Eindruck zu vermitteln, ist die Aufgabe des Showrunners. Dana Calvo, die das erste Mal als ausführende Produzentin tätig ist und dementsprechend alles nach ihren Gedanken formen könnte, lässt den nötigen Feinschliff leider an manchen Stellen der Serie vermissen. Ob sie die Möglichkeit bekommt, daran zu feilen, ist noch ungewiss - angeblich soll sich Amazon nämlich bereits dazu entschieden haben, keine zweite Staffel zu bestellen.

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Vielleicht mag manch kritischer Blick auf "Good Girls Revolt" auch der Tatsache geschuldet sein, dass die Serie nur kurze Zeit nach dem Ende von "Mad Men" erscheint. Wer AMCs 60-Jahre-Ausflug gesehen hat, weiß, welch gigantisches Erbe die Serie anzutreten hat, die in eine ähnliche Richtung vorstoßen möchte. "Mad Men" zeigte wohl in bester Manier auf, wie man diese Dekade auferstehen lassen kann, ohne sie in ein kitschiges Kostüm-Drama mit Klischee-Charakteren verfallen zu lassen. Wir erinnern uns an Peggy Olsons ersten Arbeitstag und die brillante Inszenierung des unausweichlichen Sexismus - etwas, an dem sich "Good Girls Revolt" wohl oder übel messen lassen muss. 

Doch obwohl die Figuren nicht mehr sympathisch sind und die gelegentlich sehr ausufernden Stelldicheins innerhalb des Reporter-Teams bestens dazu geeignet sind, den Zuschauer zu nerven, kommt die Serie glücklicherweise zügig in einen Rhythmus, der dann doch zum Binge-Watching verführt. Calvo mag zwar einige Probleme damit haben, diese außerordentliche Menge an Protagonisten gleichwertig mit genügend Aufmerksamkeit zu behandeln, schafft es aber letztlich immerhin, vielfältige und interessante Weltansichten gegenüberzustellen und neben seichter Unterhaltung auch einen gewissen Mehrwert zu bieten. Man muss "Good Girls Revolt" schon hoch anrechnen, dass die Serie nicht mit Ach und Krach unter der Last der "Mad Men"-Vergleiche zusammenbricht. Zum Denkanstoß über das noch immer präsente Sexismus-Dilemma lädt sie in jedem Fall ein.

Die erste Staffel von "Good Girls Revolt" ist ab sofort mit deutscher Tonspur auf Amazon Prime Video verfügbar