Für 2,60 Euro bekommt man an hessischen Kiosken seit vergangenem Freitag zwei Revolutionen auf 188 Seiten. Die erste Testausgabe von „Spiegel Fernsehen“ liegt vor. Das neue Magazin aus dem Spiegel Verlag will gleich zwei Dinge: Kulturpessimisten unter den „Spiegel“-Leser davon überzeugen, dass das Medium Fernsehen gar nicht so schlimm sein muss, wie es unter „Spiegel“-Lesern vielleicht en vogue war zu behaupten und die schon überzeugten Serienjunkies bei der Navigation durch die immer größere Fernseh- und Streamingvielfalt unterstützen. Beide Ansätze sind gleichermaßen reizvoll und ehrenwert, in der Kombination aber eine sehr große Herausforderung bei der sich die Frage stellt, wie groß die Schnittmenge der beiden angepeilten Zielgruppen ist.



Serien-Fans bekommen bei „Spiegel Fernsehen“ den ausführlichsten Mantelteil aller Programmzeitschriften, der sich neben der Titelstory - einem Interview mit Nora Tschirner - inhaltlich auch ausschließlich mit neuen Produktionen befasst. Es bleibt ein Rätsel warum sich der anhaltende Serien-Boom bisher - von erfolglosen Versuchen abgesehen - kaum in begleitenden Print-Titeln niederschlägt. „Spiegel Fernsehen“ kann das ändern, allerdings verrät das Cover der Erstausgabe nichts davon. Auf der am Kiosk wichtigen Seite 1 wird eine Doku über Benno Ohnesorg, ein Film von Brad Pitt und eben Nora Tschirner angepriesen. Der vermutlich leichter verkäufliche Serienkult spielt im Abverkauf am Kiosk also keine Rolle. Das muss man sich leisten können.

Kultur-Pessimisten, die sich dank „Spiegel Fernsehen“ dem Medium und Genre der Programmzeitschriften nähern, werden im hinteren Teil des Hefts überrascht: Auf der ersten Doppelseite der Programmlistings eines jeden Tages finden sich neben ARD und ZDF zunächst Arte und 3sat vor RTL und ProSieben. Sat.1 folgt erst auf Seite 3 der jeweils sechsseitigen Listings. Wenn sich das Magazin als Ratgeber für gutes Fernsehen versteht, hätte man die Daytime-Listings der Sender allerdings ruhig kürzen können, um der Primetime mehr Raum zu geben. Hier wäre mehr Unterscheidung zum Herkömmlichen denkbar gewesen. Es wirkt lust- und ohne Bewertungen zahnlos. Haltung gibt es nur im Mantelteil der neuen Programmzeitschrift.

Spiegel Fernsehen© Spiegel Verlag


„Fernsehen ist wieder wichtig geworden. Aufregend. Überraschend. Unberechenbar“, schreiben Markus Brauck und Christian Buß in ihrem Editorial. So bringt das Magazin auch eine gehaltvolle Tonalität in die Betrachtung von guten Fernsehinhalten und das zumindest ein Stück weit auch losgelöst von der Frage, ob es nun linear oder non-linear verbreitete Inhalte sind. Ganz gelungen ist es auch hier noch nicht, weil das lineare Programm zwar in seiner Gänze über die bekannten Programmlistings dargestellt wird, aber das non-lineare Programm nur selektive Tipps spendiert bekommt. Es fehlt analog zu Programmlistings der linearen Sender das Gefühl, eine vollständige Übersicht über das zu haben, was die Streaming-Anbieter wann online nehmen werden. Eine zusätzliche Seite mit einem „SVoD-Listing“ bzw. Startkalender wäre von hohem zusätzlichem Nutzwert.

Ohnehin: Konkret werden. Etwas plakativer sein. Das wäre schön gewesen. In dem vermuteten Wunsch sich möglich weit zu entfernen von dem, was die bekannten Programmzeitschriften bieten, ist „Spiegel Fernsehen“ vielleicht ein Stück weit zu sehr übers Ziel hinaus ins Feuilleton geschossen. Auch wenn sich das gesamte Heft als Empfehlung von gutem Fernsehen versteht und damit jede vorgestellte Produktionen quasi per Erwähnung als gut verstanden werden kann, würde ein Wertungssystem oder optisch abgehobenes Fazit ein bisschen mehr Struktur und Orientierung in die zahlreichen Empfehlungen des Magazinteil bringen.

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Auch so liest man aber mit großer Freude aus den Texten, den Kolumnen und schönen Ideen wie „Das Krimi-Gericht“ und „Das Serien-Gericht“ die ehrliche Lust aufs Fernsehen heraus. Dass im Programmlisting hinten täglich ein „alternativer Tagestipp“ aus dem Streaming erwähnt wird, ist schön. Zum Einstieg ins Heft gibt es „Das Beste in 14 Tagen“ mit der nicht neuen aber schönen Empfehlungslogik „Wer XY gut findet, wird auch YZ mögen“. Die Optik ist hier wie auch im restlichen Heft sehr aufgeräumt und ruhig. Fast schon nüchtern. Dass die Testausgabe kaum Werbeseiten beinhaltet, trägt beim Durchblättern zu dem sehr ruhigen Gesamteindruck bei. Ein bisschen mehr Bildgewaltigkeit bei der Berichterstattung über ein visuelles Medium wäre vielleicht stimmungsvoller.

Leider gibt es auch ein paar Logikfehler. Das Heft unterteilt sich abseits der Programmlistings in fünf Segmente. Die umklammernden Rubriken „Einschalten“ bzw. „Abschalten“ beinhaltet kurze Tipps, News und Kultur abseits vom Fernsehbild. Den Kern des Mantelteils bilden die drei Rubriken „Filme und Serien“, „Dokumentationen“ und „Streaming“ - eine merkwürdige Wahl. Zwei inhaltliche Unterscheidungen treffen auf eine technische Definition. Als würde die Logik nicht schon genug hinken, wird es dann noch verwirrender wenn ein Text zur Serie „4 Blocks“, die beim linearen Pay-TV-Sender TNT Serie läuft, unter Streaming zu finden ist. Eine Gliederung des Heftes in Serie, Film und Dokumentation erscheint vielleicht sinnvoller. Denkbar auch: Serien, Filme und Non-Fiktion.

Spiegel Fernsehen© Spiegel Verlag


„Spiegel Fernsehen“ ist auch smarte Eigenwerbung für die Crossmedialität der Marke Spiegel. So werden vorne Programm-Highlights von Spiegel TV vorgestellt und im hinteren Teil der Programmlistings sind Spiegel TV Wissen und Spiegel Geschichte die beiden einzigen PayTV-Kanäle - versehen mit einem Sternchen und dem Hinweis „Nur im seperaten Abo verfügbar“. Sky fehlt bei den Listings hingegen völlig. Irgendeinen Tod muss man wohl sterben, wenn aus einer Programmzeitschrift kein zum Mordwerkzeug tauglicher Katalog werden soll. Schließlich könnte jemand anderes auch fragen: Warum nicht noch Kino/DVD einbeziehen?

Diesen Ansatz hatte vor zehn Jahren, vor dem Streaming-Boom, schon einmal „Cinema filmcompact“ aus dem Hause Burda. TV, DVD und Kino in einem Heft. Auch damals war die Idee: Inhalte plattformunabhängig zu bündeln. Es ging jedoch nie über einen Testlauf hinaus. Vielleicht ist Fernsehen - linear und non-linear - eine sinnvollere Kombination. So lang die Liste an Details, die sich kritisieren oder möglicherweise verbessern lassen, auch sein mag: Die Erstausgabe von „Spiegel Fernsehen“ ist auf jeden Fall schon eine Bereicherung für alle, die sich gerne Geschichten in bewegten Bildern erzählen lassen.

Auf Anhieb hochwertig umgesetzt und weitgehend schlüssig - das macht „Spiegel Fernsehen“ zu einer dankbaren Innovation in einem Markt der kopierten und gleichgeschalteten Programmzeitschriften bei der man sich wünscht, sie möge bitte nicht in Schönheit sterben. Auf dass es mehr als die bislang nur zwei Testausgaben in Hessen geben möge. Unser Fernsehen hätte es verdient.