„Ich hasse es, das zuzugeben, aber ich verstehe diese Situation überhaupt nicht.“ Regisseur David Lynch sagt diesen Satz in seiner Rolle als schwerhöriger FBI-Mann am Ende der vierten Folge der neuen „Twin Peaks“-Staffel, und man möchte ihm da spontan entgegnen: Willkommen im Klub.
Nichts ist wie es irgendwer erwartet hat bei „Twin Peaks“. Lynch unterläuft alle Erwartungen. Das beginnt schon bei dem Umstand, dass die ersten vier Folgen allenfalls am Rande mit jenem idyllischen Ort zu tun haben, der dieser Serie einst ihren Namen gab.
„Twin Peaks“ war 1990 neu in allem. Diese Serie brach mit Konventionen. Es ging um alles und um nichts. Es begann wie ein stinknormaler Kriminalfall mit der Frage, wer die hübsche Laura Palmer ermordet hatte. Es endete in einem heillos surrealistischen Chaos und einem hingerotzten Kinofilm, der so unterirdisch schlecht war, dass man geneigt war, sich zwischen die Stühle im Vorführraum zu erbrechen. Schon damals wusste man: Nicht alles, wo David Lynch draufsteht, ist große Kunst.
Aber es war das Jahr 1990. Ich hatte seit zwei Jahren einen PC ohne Festplatte, dafür mit zwei Diskettenlaufwerken. Von Internet und Mobiltelefonie träumten nur sehr prophetisch begabte Menschen. Und ich saß in einem New Yorker Apartment und glotzte auf eine Serie, die mich sofort in ihren Bann zog, weil sie zeigte, wie der FBI-Agent Dale Cooper (Kyle MacLachlan) nach Twin Peaks kam, um den Mord an Laura Palmer aufzuklären, wie er aber immer weiter hineingeriet in ein Netz, das gestrickt war aus purer Verkommenheit. Jeder in diesem Twin Peaks hatte etwas zu verheimlichen, jeder war von irgendeiner Obsession geplagt. Das Böse lauerte nicht nur in den Twin Peaks umgebenden Wäldern.
Trotz oder vielleicht auch gerade wegen dieser Übermacht des Obskuren konnte ich nicht von der Serie lassen, schob eine VHS-Kassette nach der anderen in den Player. Ich wollte dabei sein, nichts verpassen. Schon bald interessierte mich der Ausgang des Mordfalles nicht mehr, ich wollte nur noch dort sein im beschaulichen Twin Peaks, wo alles so idyllisch wirkt, obwohl überall Abgründe lauern. Neues Fernsehen. Großartig.
Die wunderbare Musik von Angelo Badalamenti hypnotisierte mich, legte einen Schleier auf meine Augen, betörte mich und wies mir den Weg durch dieses große Werk, das niemals zu enden schien, das niemals enden sollte. Erst als sich RTL entschloss, die Serie zu synchronisieren und in Deutschland auszustrahlen, gab es in mir einen Knall. Auf einmal war der Zauber fort. Im Wust der wilden Werbung drum herum und auf Deutsch funktionierte auf einmal nicht mehr, was so lange so großartig gewesen war. Am Schluss irgendwann verschwand FBI-Agent Dale Cooper, aber da war eh schon alles egal.
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Jetzt ist Dale Cooper wieder da. Einmal als schmieriger Mörder im Tarantino-Stil, zum anderen als der Dale Cooper der Neunziger, allerdings gefangen in einer surrealen Zwischenwelt, umgeben von roten Samtvorhängen und Personen, deren rückwärts gesprochene Worte rückwärts abgespult werden, weshalb sie sehr spooky klingen und so unverständlich, dass sie untertitelt werden.
Draußen passieren derweil andere wirre Dinge. Ein junger Mann hockt in einem streng abgeschirmten New Yorker Loft und starrt auf einen von Kameras umgebenen Glaskasten, und in South Dakota machen Polizisten eine sehr grausige Entdeckung und verhaften einen bis dahin ehrenwerten Schulleiter. Nichts ist dabei wie es scheint. Alles sehr verworren. Wieder mal.
Gleichwohl schafft es Lynch, wieder einen Sog zu schaffen, der den Zuschauer anzieht und nicht wieder loslässt. Er kreiert eine Atmosphäre des Unwiderstehlichen. Man möchte dabei sein, wenn diese Menschen so betont langsam agieren, dass man ihnen gelegentlich in den Hintern treten und „Mach hinne“ sagen möchte. Wieder sind da Klänge, die schwellen, die magnetisieren.
Aber dann macht es Lynch den Zuschauern auch sehr schwer. Insbesondere in der zweiten und dritten Folge verliert er sich endlos in der Samtvorhang-Zwischenwelt und lässt Dale Cooper von einem Samtvorhangraum in den nächsten gehen. In einem Baumgerippe hängt derweil eine Art Hirn, das irgendetwas aussendet. Immer wieder geht Dale Cooper quer durch den Raum, durchquert einen Gang und landet wieder in einem Samtvorhangraum, wo jemand doppelt rückwärts kommuniziert.
Das ist, mit Verlaub gesagt, ganz große Kunstkacke, schlimmstes Stadttheatergehabe und sehr offenbar dem Umstand geschuldet, dass man solche Szenen kostengünstig fertigen kann. Der Serie tut das nicht gut, denn diese betont surrealistischen Ausflüge machen es sehr schwer, durchzuhalten.
Trotzdem lohnt es sich, weil es Dale Cooper irgendwann gelingt, dieser Zwischenwelt zu entkommen. Allerdings ergeht es ihm draußen nicht direkt besser. Er irrt herum wie eine Mischung aus E.T. und Schlaganfallpatient. Immerhin nimmt die Serie da wieder Fahrt auf und besinnt sich auf ihre Stärken. Sie zeigt ungewollt komische Menschen, die in ungewollt komischen Räumen ungewollt komische Sachen tun. Alles sehr langsam in Szene gesetzt. Lynch lässt sich so viel Zeit für Bilder, dass man sich gelegentlich fragt, ob die noch in Echtzeit ablaufen oder schon Zeitlupenerlebnis sind.
In Folge drei wird viel gekotzt, und zwischendrin wird sogar mal nach Twin Peaks geschaltet, wo die Log-Lady, die Frau, die mit einem Holzscheit spricht, dem Sheriff eine ihrer Eingebungen übermittelt, woraufhin plötzlich die Frage im Raum steht, was Schokoladenhäschen mit dem Erbe eines indianischen Polizisten zu tun haben.
Es ist eine wilde Mischung aus Mysterythriller und abstruser Seifenoper, aber man will, wenn man das Zwischenwelt-Gedöns in Folge zwei und drei überstanden hat, trotzdem dabei sein, da sein, mitbekommen, was vor sich geht, wenn böse Geister die Körper von Unschuldigen kapern. Man versteht nicht viel und manches überhaupt nie. Willkommen im Klub. Willkommen in Twin Peaks.
Sky Atlantic HD zeigt "Twin Peaks" donnerstags um 20:15 Uhr, die Originalversion gibt es jeweils parallel zur US-Ausstrahlung auf Abruf bei Sky On Demand, Sky Go und Sky Ticket.