Der Zeitraum von 100 Tagen ist eigentlich überschaubar, aber zumindest groß genug, um auf ein Ziel hinzuarbeiten. Kein Wunder, dass nach etwas mehr als drei Monaten gerne Bilanz gezogen wird: Wie schlug sich der Präsident im Amt? Hielt die bestellte Matratze, was sie versprach? Oder: Steigt die unter Flugangst leidende Caroline zusammen mit ihrer Familie in den Airbus, um ersehnte Traumreise nach Singapur anzutreten?

Zumindest auf die letztgenannte Frage kann Sat.1 eine Antwort geben. Für die neuen Doku-Reihe "Jetzt oder nie" hat sich die zweifache Mutter nämlich auf die Herausforderung eingelassen – oder wie es bei Sat.1 etwas hochtrabend im Untertitel zur Sendung heißt: Auf das "100-Tage-Experiment". Will heißen: Innerhalb des besagten Zeitraums will sie ihre Phobie vor Flugzeugen endgültig hinter sich lassen. Menschen über einen längeren Zeitraum zu begleiten, scheint derzeit ein wenig in Mode zu sein, schließlich plant RTL mit "This time nexy year" Ähnliches, wenn auch weit Show-lastiger als in diesem Fall.

Zu erzählen gibt's jedenfalls einiges. Im Falle von Caroline zeigt sich schnell, dass es gar nicht so einfach ist, die Flugangst hinter sich zu lassen. In den ersten Tagen läuft ihr schon ein kalter Schauer den Rücken herunter, obwohl sie sich lediglich das Foto eines Flugzeuges ansehen soll. Es anzufassen, bereitet ihr sogar noch größere Schwierigkeiten. "Das ist kein Schnupfen, das ist etwas Ernstes", sagt der gutmütige Verhaltenstherapeut, dem Caroline in den folgenden Wochen noch einige Male das Wort "Scheiße" zurufen wird. Wahlweise gibt sie ihm zu verstehen, wie sehr sie ihn hasst, wenn er sie mal wieder in die Nähe eines Flughafens bringt, um die Angst Schritt für Schritt zu überwinden.

Doch mit der Zeit nimmt Carolines Panik tatsächlich ab – an Tag 90 wagt sich die Frau sogar in ein kleines Flugzeug, dessen Motor noch vor dem Start für einen kurzen Moment zu streiken droht. "Das ist nichts Schlimmes", versichert der gelassene Pilot. "Das ist nur..." Dann endet sein Satz.

So viel sei verraten: Carolines Prognose, wonach nun alle sterben werden, tritt nicht ein – doch wirklich geheilt ist sie auch nach der Landung nicht. "Ist da nicht irgendwo ein bisschen Freude bei dir?", wird sie von einem ihrer Söhne gefragt, doch vom Fliegen hat Mama erst mal genug, zumindest für die kommenden zehn Tage. Caroline ist übrigens nicht die einzige, die sich auf das "100-Tage-Experiment" von Sat.1 einlässt. Da ist nämlich auch noch die 26-jährige Elli, die sich trotz ihres Handycaps, Trisomie 21, ebenfalls einen Traum erfüllen möchte: Einmal im Leben will sie als Westernreiterin bei einem Turnier teilnehmen und es allen zeigen.

Jetzt oder nie - Das 100-Tage-Experiment© Sat.1

"Ich bin fröhlich", sagt sie über sich selbst und attestiert sich einen starken Willen. Dass sie damit nicht falsch liegt, zeigt "Jetzt oder nie" außerordentlich gut. Ob beim Kauf von Reitstiefeln oder bei ersten Versuchen auf Pferd Balu – zu jeder Sekunde vermittelt die junge Frau den Eindruck, wirklich etwas erreichen zu wollen. "Sie macht sich gut in alles", lobt dann auch ihr Opa in schönstem Pott-Dialekt. Natürlich gibt’s ebenso wie bei Flugängstlerin Caroline auch bei Elli Rückschläge und natürlich verzichtet die Produktionsfirma Redseven Entertainment nicht darauf, all das zumindest an manchen Stellen noch etwas dramatischer wirken zu lassen.

Alles in allem ist Sat.1 mit "Jetzt oder nie" aber ein Doku-Format der besseren Sorte gelungen, was vielleicht auch an der guten Auswahl der Protagonisten liegt, denen man es von der ersten Sekunde an gönnt, ihre selbstgesteckten Ziele zu erreichen. Erzählt werden die Geschichten dabei mit größeren Zeitsprüngen – immer wieder werden mehrere Tage, manchmal sogar Wochen übersprungen, wodurch die Fortschritte noch etwas besser sichtbar werden. Ob Elli es schafft, beim Reitturnier zu bestehen, werden die Zuschauer allerdings erst in der kommenden Woche sehen, wenn die zweite Hälfte ihrer 100-Tage-Frist gezeigt werden.

Im Falle von Caroline gab's die Auflösung dagegen gleich in der ersten Folge. "Ihr werdet alle mit mir abstürzen", wimmerte sie kurz vor dem Abflug nach Singapur, der viel ruhiger verlief als in der klapprigen Maschine wenige Tage zuvor. Am Ende strahlt sie über beide Backen und ihr Therapeut muss gar die eine oder andere Freudenträne verdrücken. Auch vor dem Fernseher schleicht sich jetzt ein wohliges Gefühl ein. Vielleicht ist es auch bloß die schöne Gewissheit, dass 100 Tage reichen können, um sich selbst etwas zu beweisen.