Wenn es um die Größe des Bauchumfangs geht, haben es Männer deutlicher angenehmer, diesen auch einfach mal wachsen zu lassen. So scheint es immerhin. Ein nicht unerheblicher Anteil der Frauen beteuert nämlich immer wieder, dass eine kleine Wampe beim Kuscheln sogar recht angenehm sein kann. Frauen selbst aber müssen schlank sein, so will es die Gesellschaft, zumindest gefühlt. Auch Werbung ist immer noch überwiegend darauf ausgelegt, ein Körperbild zu vermitteln, welches für viele Frauen schwierig zu erreichen scheint. Aus diesen Gründen schämen sich viele für ihr Aussehen und stürzen sich in absurde Diäten, nur um dann festzustellen, dass der Jojo-Effekt noch drastischer zurückschlägt. "Dietland" geht sogar noch einen Schritt weiter und unterstellt der gesamten Fashion-Industrie, dass sie gezielt darauf ausgelegt sei, Frauen in Unsicherheiten schwelgen zu lassen, damit der Mann das starke Geschlecht bleiben kann. Ist AMCs Buchverfilmung damit schon zu harter Tobak für jeden, der sich nicht als Feminist sieht?

Tatsächlich sind die teilweise arg verstörend wirkenden Verschwörungstheorien ein großer Teil des Masterplans hinter "Dietland". Als Autorin Sarai Walker die Romanvorlage geschrieben hat, war sie nach eigenen Aussagen noch lange völlig fasziniert, was sie in David Finchers "Fight Club" gesehen hat. In der Adaption des Chuck Palahniuk Werkes geht es grob gesagt um die soziale Zwangskonstruktionen, in die wir Menschen uns selbst eingeschlossen haben und wie wir daraus ausbrechen können. Erzählt wurde dies vornehmlich aus der Sicht von Edward Norton und Brad Pitt – zwei Männern. Walker wollte eine weibliche Version schreiben. Während der Klassiker "Fight Club" natürlich nicht nur von Männern verstanden werden kann, gibt es nun also auch "Dietland", eine Serie die sich um die gesellschaftlichen Probleme der Frau kümmert.

Während es in "Fight Club" keinen Namen für den Protagonisten gab, wurde die "Dietland"-Dame auf Plum Kettle (Joy Nash) getauft. Kettle arbeitet als Ghostwriterin für die erfolgreiche und narzisstische Chefredakteurin Kitty Montgomery (Julianna Margulies). Für sie beantwortet Plum die zahlreichen Leserbriefe des Magazins "Daisy Chain", eines der angesagtesten Schönheitsmagazine aus New York. Die übergewichtige Schreiberin hat jedoch genug davon, mit welcher Abschätzung sie von ihrem beruflichen und privaten Umfeld behandelt wird, weshalb sie sich auf einen Selbstfindungstrip begibt, nachdem sie die rebellische Leeta (Erin Darke) kennenlernt.

Neben der Geschichte einer unsicheren Frau findet in New York gleichzeitig eine grausame Mordserie statt. Ein Mann nach dem anderen wird tot aufgefunden. Ihre Verbindung: Sie alle wurden in der Vergangenheit der sexuellen Belästigung und Vergewaltigung beschuldigt. Man muss kein Detektiv sein, um schnell zu durchschauen, dass die feministische Gruppe um Julia (Tamara Tunie) etwas damit zu tun hat, die dank Leeta auch Kettle in ihren Kreis aufgenommen hat.

Das macht "Dietland" leider auch etwas unnötig absurd. Während das große Vorbild "Fight Club" nämlich vor allem den Protagonisten in den Fokus gestellt hat, tänzelt Showrunner Marti Noxon ("UnReal") viel hin- und her, zwischen Kettle und der Frauenbewegungstruppe. Und verliert sich damit auch in einer Menge Feminismus, der schnell anstrengend wird. Kettles Geschichte alleine ist jedoch schon packend genug und würde für Menschen, die sich mit ihr identifizieren können, vollkommen ausreichen. Als eine Frau, die von einem "Waist Watchers"-Treffen zum Nächsten tingelt, weil sie sich in dieser Welt unsichtbar und nicht geliebt fühlt, präsentiert sie genug Berührungspunkte, die es zu ergründen gilt.

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Doch plötzlich wird sie aus dieser greifbaren Welt gegriffen und in einer Untergrundorganisation eingeladen, die sich "Jennifer" nennt und männliche Sexualstraftäter verfolgt, foltert und anschließend umbringt.

Diese Botschaft hat auch einen diskutablen Kern, könnte für so manchen Zuschauer aber zu viel des guten sein. Joy Nash als Plum hält das Ganze jedoch gen aller Widrigkeiten zusammen. Als leidenschaftliche Bäckerin, die obendrein eine Stimme hat, die Adele Konkurrenz machen könnte, wird sie als eine liebenswürdige Protagonistin eingeführt, mit der man gerne auf diese Reise namens "Dietland" geht. Ihre Geschichten über all die gescheiterten Diäten, die sie bereits hinter sich hat, den College-Jungen, den sie einst liebte und die unsäglichen Flaschendrehspiele aus ihrer Jugend sind beinahe unerträglich herzensbrechend erzählt.

Doch es ist nicht nur die einfache Erzählung einer traurigen Figur, die "Dietland" so sehenswert macht. Plum Kettle hasst sich selbst eigentlich gar nicht, sondern findet sich als Person toll. Jedoch glaubt sie, dass die ganze restliche Welt sie für das hasst, was sie selbst im Spiegel sehen kann. Deswegen lebt sie vorwiegend in ihrem Kopf, was die Macher unter anderem mit minimalistischen Animationen darstellen. Wo bereits Netflix' "Tote Mädchen lügen nicht" nicht nur Kummer und Depression verbreitet hat, sondern ebenso Hoffnung und Verständnis, kann auch "Dietland" ansetzen und Menschen in der gleichen Situation, mit der auch Plum zu kämpfen hat, wichtige Ratschläge mit auf den Weg geben. Es ist eine nicht zu unterschätzende Leistung Unterhaltung mit wichtiger, gesellschaftlicher Hilfe zu paaren. "Dietland" hat dieses Unterfangen gemeistert.

Dafür gebührt Marti Noxon Respekt, wie er auch schon Brian Yorkey von "Tote Mädchen lügen nicht" gebührte. Für den Netflix-Film "To The Bone" hat sich Noxon vor Kurzem bereits intensiv und zutiefst beeindruckend mit dem Thema Anorexia beschäftigt und hier nun einmal mehr gezeigt, welch Sensibilität sie für so etwas an den Tag legen kann. Es wäre mehr als interessant zu sehen, was aus "Dietland" geworden wäre, hätte sie die halbherzigen Verschwörungstheorien, die nicht annähernd an die Ideen von "Fight Club" heranreichen und den augenrollenden Feminismus einfach weggelassen. Jeglichen Diät-Witz verbitte ich mir an dieser Stelle.

Die erste zehnteilige Staffel von "Dietland" steht ab heute auf Amazon zum Streaming zur Verfügug.