Sydney ist zwar die Hauptstadt des australischen Bundesstaates New South Wales, jedoch nicht die des ganzen Landes. Irrtümlicherweise wird das immer noch oft gedacht. Auch die zweitgrößte Stadt des Landes, Melbourne, ist es nicht. Tatsächlich haben sich beide zu Beginn des 20. Jahrhunderts intensiv darum gestritten, wer sich diesen Titel einverleiben darf. Um diese Fehde zu beenden, entschlossen sich die Politiker 1908 dazu, das unscheinbare Canberra zur Hauptstadt zu ernennen. Jeder, der sich jemals dorthin verirrt, wird feststellen: Ziemlich langweilig dort. Nichtsdestotrotz siedelt sich die Foxtel-Produktion “Secret City” in der 300.000-Menschen-Gemeinde an, die nach ihrem Debüt beim australischen Sender Showcase nun auch auf den internationalen Bildschirmen bei Netflix zu sehen ist. 

Trotz der gähnenden Voraussetzungen macht “Secret City” schnell klar, dass es keine New Yorker Skyline benötigt, um die Aufmerksamkeit des Zuschauers für sich zu gewinnen. Mit gewissen technischen Handgriffen lässt sich offensichtlich auch ein Tupperfahrten-Ziel wie Canberra zu einem Ort inszenieren, den man gerne mal besuchen möchte. Allen voran wird das Parlament so eindrucksvoll in Szene gesetzt wie kaum ein politisches Gebäude. Die Macher von “Secret City” zerschießen diese wunderschöne Illusion, die von der Stadt aufgebaut wird, aber dennoch recht schnell von selbst.

Das liegt schlicht an der düsteren Polit-Thriller-Geschichte, die hier erzählt wird. Denn die eigentlich friedliche Stadt dient in der sechsteiligen Mini-Serie als Mittelpunkt eines Konflikts, der zwischen China und den USA herrscht. Düstere Geheimnisse dieser zu eskalieren drohenden Situation erfährt die Politikjournalistin Harriet Dunkley (Anna Torv, “Mindhunter”). Plötzlich steht nicht nur Canberra im Visier dieses Konflikts, sondern auch sie im Fadenkreuz der mächtigsten Menschen der Welt, die den Status Quo gerne unverändert sehen würden.

Die von Chris Uhlmanns Büchern (“The Marmalade Files” & “The Mandarin Code”) adaptierte Serie nimmt sich damit ein politisches Szenario zur Brust, das es in sich hat. Und dafür hat man sich tatsächlich keine Hilfe aus dem Ausland geholt, “Secret City” ist mit Anna Torv in der Hauptrolle sowie Foxtel und Matchbox Pictures als Produktionsfirmen ein durch und durch australisches Werk. Dennoch wirkt es auf den ersten Blick wie eine Serie aus dem Vereinigten Königreich. Damit ist die Klasse gemeint, die Serien wie "Broadchurch", "The Fall" oder "Happy Valley" versprühen. Es ist ein edler und feinzüngiger Geist, der durch die Charaktere und die Geschichte weht.

Und wie man es von britischen Produktionen kennt, kann auch "Secret City" erst einmal etwas erdrückend wirken. Mit doch recht vielen verschiedenen Figuren und Geschichten muss die Konzentration stets oben gehalten werden, um den Anschluss nicht zu verlieren. Gelingt das, wartet Canberra mit der wohl spannendsten Erzählung auf, die die Stadt seit langer Zeit zu bieten hat.

Nicht ganz reinpassen will da das Finale, das etwas zu viel Schwung aus dem Spektakel nimmt und den Zuschauer mit einem beinahe faden Beigeschmack zurücklässt. Wirklich bitter wäre es gewesen, wäre dies auch das komplette Ende der Serie gewesen. Doch wie bereits bestätigt wurde, geht die australische Mini-Serie mit Harriet in eine zweite Runde, die dann hoffentlich ebenfalls bei Netflix zu sehen sein wird. Es darf dann auch gerne erneut in die sonst so langweilige australische Hauptstadt gehen, die sich möglicherweise nicht für einen echten Besuch, aber immerhin für einen Auftritt im Fernsehen empfohlen hat.

Die erste Staffel von "Secret City" steht ab heute auf Netflix zum Streaming zur Verfügung.