Wer eine legendäre gelbe Familie in die Fernsehwelt hineingebärt, die seit nunmehr 29 Jahren erfolgreich läuft, hat einen gewissen Druck, was neue Projekte angeht. Doch Serienschöpfer Matt Groening lies sich bereits damals schon nicht beirren und brachte zehn Jahre nach der Premiere der ″Simpsons″ den Sci-Fi-Zeichentrick ″Futurama″ auf den Markt. Trotz einer deutlich holprigeren Zeit, als sie Homer und Co. je hatten, war auch die Geschichte rund um das intergalaktische Lieferunternehmen Planet Express erfolgreich und konnte die Kritiker einmal mehr davon überzeugen, dass Groening sein Handwerk versteht. Nun folgt mit der Netflix-Serie ″Disenchantment″ sein dritter Streich, der wahrlich riesige Fußstapfen zu füllen hat. Während er mit ″Futurama″ in das 31. Jahrhundert gereist ist, nimmt uns Groening nun mit ins mittelalterliche Königreich Dreamland.

Dreamland ist auf den ersten Blick viel weniger Dream, als vor allem Realität. Ob brutale Bürger, die Pest oder Zwangsverheiratungen, die im Zuge wichtiger Geschäfte entstehen – jeder Schreck der damaligen Zeit ist mit dabei. Der zwinkernde Blick ist aber nie fern, weshalb Pest-besessene ihr Leid einfach wegsingen und der zur Hochzeit erschienene Prinz mit einer klaren Beeinträchtigung vor den Altar steigt, weil seine Eltern Geschwister sind. In der Tat macht ″Disenchantment″ schnell klar, dass hier kein Kindergarten angesagt ist, sondern eine Zeichentrickserie für Erwachsene entworfen wurde. Diesmal war Groening so mutig wie noch nie.

Da verwundert es auch kaum, dass dies nun die erste Serie aus seinem Hause ist, die er nicht bei Fox präsentiert. Während ″Die Simpsons″ und ″Futurama″ leicht im regulären Programm ausgestrahlt werden können, da dort auch Oma und das kleine Schwesterchen jeden Witz verstehen, ohne dass Grenzen überschritte werden, ist ″Disenchantment″ mit Abstand die am wenigsten mainstreamige Produktion Groenings.

Kurz gesagt ist die ″Entzauberung″, so der Titel ins Deutsche übersetzt, eine Version von ″Game of Thrones″, wie sie Homer Simpson in einer seiner Geschichte erzählen würde. Doch anstatt Jon Snow steht hier Prinzessin Bean im Mittelpunkt. Als trinkende und rebellierende Tochter hat sie für das Königshaus nichts übrig, sondern spielt viel lieber Poker mit dem Pöbel und entblößt sich vor verunsicherten Menschenmengen. Um die politischen Interessen ihres Vaters zu unterstützen, soll sie verheiratet werden. Für eine Frau, die aus ihrem Heimatschloss einfach nur weg möchte, ist dies der Tropfen, der das Gin-Fass zum Überlaufen bringt. Mit ihrem persönlichen Dämon im Rücken, der ihr von einem mysteriösen Clan auferlegt wurde und einem Elf, der gleichermaßen keinen Bock mehr auf seine heile Elfenwelt hatte, flieht sie und möchte fortan die Welt erkunden.

Um eine der wichtigsten Fragen zu beantworten: Ja, ″Disenchantment″ hat trotz neu eingeschlagener Wege eine ordentliche Portion ″Simpsons″-DNA in sich. Die Zeichnungen erinnern stark an so manchen Springfield-Bewohner und Bean selbst oft an die altkluge Lisa Simpson. Die ersten Folgen fühlen sich noch deutlich zu unruhig an, in den "Simpsons"-Details soll Halt gefunden werden. Groening verpasst es hier, direkt mit all seiner individuellen Klasse, die er gar nicht aus den "Simpsons" ziehen müsste, in ein neues Abenteuer zu starten und mutet dem Zuschauer somit zu, dass anfängliche Chaos überstehen zu müssen. Doch wir erinnern uns: Auch ″Die Simpsons″ und ″Futurama″ haben mit stotternden ersten Staffeln begonnen. Das finale Endergebnis ist bekannt.

Empfohlener externer Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen externen Inhalt von Youtube, der den Artikel ergänzt. Sie können sich den Inhalt anzeigen lassen. Dabei können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Weitere Informationen finden Sie in unserer Datenschutzerklärung.

″Disenchantment″ bleibt dennoch auch mit seinen ersten Folgen unterhaltsam. Sieht man nämlich von der Hektik und manch liegen gelassenem Gag ab, kann man schon die Grundlage für ein potenziell tolles Geschichtsuniversum erkennen. Das liegt in erster Linie an all den schönen Klischees, mit denen gespielt werden darf.

Ein schönes Beispiel dafür ist Elfo, der Elf. Sein ganzes Leben hat der naive kleine Mann bislang im Elfenwald verbracht. Dort wird gesungen, getanzt und mit überschwänglich guter Laune Schokolade produziert. Alle sind glücklich, nur Elfo nicht. Ihm geht das Dauergegrinse auf den Keks, weshalb er sich dazu entschließt, abzuhauen. In der ″echten″ Welt angekommen wird er erst einmal von einem Greifadler geschnappt, ehe er kurz darauf bei armen Bauern schleimigen Fraß zu essen bekommt. Doch anstatt sich sein altes Leben herbei zu sehnen, genießt er diese neuen Erfahrungen, die so anders sind, als sein mediokres Leben im Wald. Mit nur wenigen Kniffs hat Groening das Elfendasein amüsant neu definiert.

Prinzessin Bean ist ein weiterer Kniff. Als starke weibliche Protagonistin, die sich nicht auf irgendwelche feministischen Grundsätze stützt, hat Groening die Tür zu einer endlosen Reihe an Witzen geöffnet, die mit alten Disney-Prinzessinen-Klischees aufräumen können. Nicht alles, was versucht wird, funktioniert. Doch es ist schön zu sehen, dass sich die Mühe gemacht wird, auf qualitativ hohem Level etwas neues auszuprobieren. Wenn ″Disenchantment″ sich in den nächsten zwei, drei Staffeln eingroovt, spricht alles dafür, dass Groening mit den ″Simpsons″ und ″Futurama″ ein denkwürdiges Tripple geschaffen hat.

Die zehn Folgen der ersten Staffel von "Disenchantment" sind ab sofort bei Netflix zu sehen. Eine zweite Staffel wurde bereits geordert.