Netflix ist mittlerweile wie ein großer Zoo, voll von diversen Attraktionen. Doch mit "Maniac" wird ein schwarzer Panther auf die Schaulustigen losgelassen, dem man nicht zu nahe kommen sollte. Er wird Ihnen so lange in die Augen schauen, bis Sie vollkommen hypnotisiert sind. Dann beißt er zu, so, als ob es keine Gitterstäbe geben würde. Sollten Sie also in die Nähe seines Geheges kommen: Gehen Sie weiter, schauen Sie weg.

Natürlich werden Sie nicht auf mich hören. Die leise Stimme in ihrem Kopf sagt, dass das irgendwie aufregend klingt, nach einem Serien-Abenteuer, dass Sie schon lange nicht mehr hatten. Um ehrlich zu sein: Wenn sie diese Stimme wirklich hören, könnte "Maniac" funktionieren. Die neue Netflix-Produktion könnte Ihnen dann nicht zum Verhängnis werden, sondern zum Retter ihrer Abendunterhaltung.

Auch Annie Landsberg (Emma Stone, "La La Land") hat Rettung bitter nötig. Die arbeitslose junge Frau muss sich Münzgeld ergaunern, damit sie wenigstens ab und zu ihre Wäsche waschen kann. Die Miete für ihre Absteige konnte sie dementsprechend seit Monaten nicht mehr bezahlen. Antriebslos driftet sie durch ihre sinnlosen Tage und das, obwohl der Zuschauer erahnen kann, dass sie nicht auf den Kopf gefallen ist. Owen Milgrim (Jonah Hill, "The Wolf of Wall Street") ist ähnlich verzweifelt, doch aus gänzlich anderen Gründen. Er kommt zwar aus reichem Elternhaus, doch kann das dank seiner Schizophrenie nicht ansatzweise genießen. Seine Familie amüsiert sich darüber, während sein unsichtbarer Freund ihm einredet, dass er der Auserwählte sei, der die Welt retten muss.

Annie möchte ihr Unglück endlich bekämpfen sowie Owen seine Krankheit. Und so treffen sie das erste Mal aufeinander, als sie sich beim Pharmaunternehmen Neberdine für eine Arzneistudie bewerben. Eben jene verspricht, dass der jeweilige Proband von allen psychischen und geistigen Belastungen und Krankheiten befreit wird. Versichert wird auch, dass es zu keinen Komplikationen oder Nebenwirkungen kommt.

Kurz darauf begeben sich Annie und Owen von einem Drogencocktail zum nächsten. Jeder schickt sie auf eine Reise in ihr Unterbewusstsein, lässt sie verschiedene Facetten ihrer selbst erleben und auf höchst philosophische Weise ergründen, wie sie zu ihrem Endziel der Glückseligkeit und Ruhe kommen können. Doch diese Erklärung allein wird "Maniac" nicht gerecht, klingt die 10-teilige Miniserie so noch wie ein mainstream-taugliches "Das erstaunliche Leben des Walter Mitty".

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"Hypothese: Alle Seelen sind auf der Suche nach einer Verbindung. Anmerkung: Unser Verstand ist sich dieser Suche nicht bewusst", heißt es in der Pilotfolge. Zitate wie dieses geben ein Gefühl dafür, was "Maniac" mit Ihnen machen wird. Nachdem Netflix bereits mit bravour den "Mindhunter" ins Programm gebracht hat, darf nun der Mindfucker willkommen geheißen werden. In einem abstrusen Look, der an einen Mix aus "Blade Runner" und "Black Mirror" erinnert, entführt die von Cary Fukunaga ("True Detective") umgesetzte Geschichte von zwei verlorenen Seelen in einen Fiebertraum, der scheinbar zu keinem Zeitpunkt ein Konzept verfolgt, nur um am Ende für eine Erleuchtung zu sorgen, die rückblickend bei jeder Szene vorhanden war.

Tatsächlich wird es anfangs aber drei Episoden dauern, bis Sie überhaupt verstehen, um was es im Kern von "Maniac" geht. In Zeiten von Serienüberfluss schreit dies förmlich nach vergeudeter Zeit, doch erinnern Sie sich: Sollten Sie einmal vor "Maniac" stehen, werden sie nicht mehr davon loskommen. Sie werden sich dann nämlich in einer Welt wiederfinden, die dafür sorgt, dass ein Roboter, der Hundekacke aufsammelt, ihr Herz erwärmt. Ein anderer Roboter, ein sprechender, violetter Koala fasziniert mit seinen Schach-Fertigkeiten. Details wie diese ploppen unermüdlich auf und lassen schnell vergessen, dass eine Serie normalerweise einen roten Faden liefern müsste.

Wenn "Love" dem Wahnsinn verfällt

Wenn verrückte Roboter Sie nicht überzeugen können, werden es spätestens Emma Stone und Jonah Hill tun, sowie eine dritte Person, mit der die Netflix-Produktion nicht geworben hat. Die Oscar-Preisträgerin und der Oscar-Nominierte stehen seit "Superbad" erstmals wieder zusammen vor der Kamera und zeigen mit ihrer verblüffenden Performance, wie eine richtig kaputte Liebesgeschichte auszusehen hat. In der ebenfalls von Netflix produzierten Serie "Love" geht es um ein Pärchen, das nur aus Gegenteilen besteht. Sie ist wunderschön, faul und frech, während er der Nerd ist, der sich immer an das Gesetz hält. "Maniac" überspitzt diese Beziehungskonstellation nur um einige Nuancen und zeigt durch diese grandiosen Schauspieler, wie schnell gesunde Liebe und Wahnsinn miteinander verschwimmen können.

Die dritte angesprochene Person im Bunde ist Justin Theroux, der Dr. James K. Mantleray mimt. Er ist der Doktor, der die Studie durchführt. Schien es im Vorhinein noch als gesetzt, dass Stone und Hill im Spotlight stehen, stellt er sich jedoch als eigentlicher Star heraus. Das liegt vor allem daran, dass er den ganzen Wahnsinn von "Maniac" in sich sammelt. Dieser Wahnsinn visualisiert sich unter anderem in drei Einführungssequenzen, die die Figur des Doktors genießt. An dieser Stelle soll nicht zu viel verraten werden, nur, dass eine absurder ist, als die andere.

Lob für ein vollkommen neues Serienerlebnis darf dem US-amerikanischen Streamingdienst jedoch nicht komplett alleine überlassen werden. So basiert die Erzählung auf der norwegischen Produktion "Maniac" aus dem Jahr 2014. In der zwei Staffeln langen Serie heißt Owen jedoch Espen und er muss ohne Annie an seiner Seite auskommen. Doch es ist schön zu sehen, dass "Maniac" zu keiner überflüssigen Kopie wurde, sondern zu einer der intensivsten Attraktionen, die Netflix in seinem Zoo versammelt hat. Seien Sie also vorsichtig.

Die erste Staffel von "Maniac" steht bei Netflix ab sofort zum Streaming zur Verfügung.