Hass ist ein starkes Wort. Und dennoch kommt es sehr oft vor, dass man den Protagonisten und Vollzeit-Zyniker Larry David in "Curb Your Enthusiasm" ganz und gar verabscheut, ihn sogar zwischenzeitlich für seine egozentrischen Denk- und Verhaltensweisen abgrundtief hasst. Pro Folge kann das mehrfach möglich sein. Man begleitet die mehr oder weniger fiktionalisierte Version des Komikers, Drehbuchautors und Schauspielers in der HBO-Produktion dabei, wie er sein Umfeld mit Neurosen, Hypochondrie, Empathie- und Pietätlosigkeiten in den Wahnsinn treibt und einfach nicht raus kann aus seiner taktlosen Haut. Das tut sehr oft sehr weh und ist sozusagen Fremdscham in Reinform.

Ich erinnere mich an die Einordnung einer Freundin, die damals die erste DVD-Staffel von einem USA-Aufenthalt mitbrachte. Sie fand überhaupt keinen Zugang und konstatierte: "Er ist ein griesgrämiger, unlustiger, alter Mann. Ein richtiges Arschloch!" Die Box verstaubte nach nur zwei Folgen in einer Ecke und wenn der Name Larry David in unmittelbarer Folge fiel, schüttelte sie lediglich verständnislos den Kopf. Ein weiteres Date der beiden war gänzlich ausgeschlossen, nicht mal ein "vielleicht" hatte sie für ihn übrig. Bei mir sah das von Anfang an anders aus. Ich persönlich möchte ihn nicht missen in meiner eigenen Serienhistorie und gestehe: ich liebe diese Show! Auch wenn sich hier und da konträre Gefühle, wie Wut, Hass und Abneigung beim Zusehen untermischen. Verrührt wird das jedoch mit vielen Esslöffeln Amüsement plus Mitgefühl, zumindest in manchen Bereichen, und genau diese bunte Melange schätze ich.

Mit der Gewissheit des sicheren Abstands konnte ich mich dem cholerischen Misanthropen gut nähern und mein eigenes emotionales Wechselbad beim Zusehen mal genießen, mal als Herausforderung betrachten. Und das meine ich positiv. Unter all der zum Großteil von ihm selbst herbeigeführten Misere und meiner Fassungslosigkeit über die von ihm wieder in Gang gesetzte Spirale sozialer Hindernisläufe muss man aber außerdem sagen: manchmal hat er auch Recht damit, soziale Konventionen auflaufen zu lassen. Auf seine eigene Art und Weise. Und dabei zuzusehen, bereitet neben der Fremdscham und Hassliebe auch viel Freude.

Da wäre zum Beispiel eine Szene beim Edel-Italiener "Primo", die mich bis heute amüsiert. Zuvor wurde Larry David von seiner Frau Cheryl verlassen, nachdem ihn diese von einem Flugzeugtelefon aus anrief und von heftigen Turbulenzen und Todesängsten im Zuge eines fiesen Gewitters berichtete. Allerdings waren seine Probleme auf der Erde in Los Angeles wichtiger: die Fernsehbilder waren nicht störungsfrei. Deswegen war - nach für ihn ohnehin viel zu langer Wartezeit - ein TiVo-Techniker im Haus und diesen mit allen Informationen zu versorgen war aus seiner Sicht drängender, als ein vielleicht letztes Mal vor einem potentiellen Absturz mit seiner Frau zu sprechen und ihr zu sagen, dass er sie liebt. Nach der unfallfreien Landung verlässt sie ihn daraufhin völlig zurecht und so sitzt er also alleine mit finsterer Miene an einem Zweiertisch ohne weibliches Gegenüber beim Italiener seiner Wahl.

Neben ihm sitzt auf gleicher Höhe nicht mal eine halbe Körperbreite entfernt ein Mann im Anzug mit Headset im linken Ohr - ebenfalls ohne Tischpartner. Während David schweigt, spricht der Herr nebenan in seinem Solisten-Dasein während des Essens unüberhörbar laut ins Headset. Was dann folgt ist typisch Larry: er fühlt sich gestört und beginnt provokativ ein ebenso lautes Gespräch. Allerdings ohne Headset, nur mit sich selbst und mit Lust auf die absehbare Konfrontation. Für mich als Zuschauer sieht das aus Gründen der Situationskomik nicht nur witzig aus, sondern man denkt sich: warum auch nicht mal zurück nerven?! Recht hat er, auf seine eigene verschrobene Larry-Weise. Erwartungsgemäß meldet sich der irritierte Tischnachbar zu Wort und spricht ihm in der beiderseits wild geführten Diskussion zum Thema "Telefonieren beim Essen" und "Lautstärkepegel" seine Redeberechtigung ab.

Die gesellschaftliche Sicht: ein Zuhörer fehlt und Selbstgespräche sind sonderbar, zu verorten in den Kategorien "Demenz" oder "Alkohol". Larry hingegen spielt damit und scheut nicht davor zurück, die Grenzen sozialer Spielregeln auszutesten. Auch, wenn er sich damit zum Affen macht. Wer nun denkt, wow, man hat es hier mit einer festen moralischen Instanz zu tun, irrt. Denn Stringenz lässt er gerne vermissen. So sah man ihn kurz zuvor mit Freunden beim Essen und wie er unter Einsatz aller Kräfte davon abgehalten werden musste, einen Anruf während des Dinners entgegen zu nehmen. Im Zweifel immer für das eigene Bedürfnis.

So verstrickt sich der gern opportunistische Larry David seit acht Staffeln in Missgeschicken und scheinbar ausweglosen Alltagssituationen, wobei er selten wahrhaftig Reue zeigt, meist alles niederwalzt und dann wieder mit Befreiungsakten beschäftigt ist. Die einzelnen Folgen verlaufen nach einem narrativen Muster - der rote Faden ist deutlich erkennbar und musikalische Klammern unterstreichen dies gerne: vieles kehrt pro Episode immer wieder und alles hat seine Konsequenzen. Gemäß eines Boomerangs kommt der Großteil zu ihm zurück, ob er will, oder nicht. Und auch staffelweise kam zuletzt verstärkt das Prinzip des Loops in Form von staffelübergreifenden Handlungsbögen zum Einsatz. Die achte Staffel stand beispielsweise im Zeichen einer "Seinfeld"-Reunion.

Dass man es nicht aushält ihn dabei zu beobachten, wie er sich dem homo sociologicus fortwährend zu widersetzen versucht, kann ich nachvollziehen. Wie man es nicht ertragen kann, dass er das Rad immer wieder überdreht. Dass es wenig Lerneffekte zu geben scheint, kann ebenfalls auf Dauer frustrieren. Die von der polarisierenden Figur lebende Serie wird entweder geliebt oder gehasst, ein Graubereich ist schwer denkbar. Bei mir führt alles zusammen genommen dazu, dass ich die extrem kantige und komplexe Figur, an der sich der eine oder andere schneidet, so spannend finde, dass ich die Serie nicht nach zwei Folgen weggelegt habe. Ich mag es die neben den Episoden oder Staffeln auch in der Person Larry David aufgehende Kreislauf-Struktur immer wiederzuerkennen. Neue Situation, alte Probleme. Dann denkt man sich als Fan: "Larry being Larry" - und das ist auch gut so.

Nun kommt die Vorlage zu "Pastewka" nach sieben Jahren Pause auch in Deutschland bei Sky Atlantic HD zurück. Und diese neunte Staffel setzt in Stil, Tonalität und Ensemble eigentlich genau dort an, wo die achte Staffel endete. Zuletzt warf er der Figur Michael J. Fox gespielt von Michael J. Fox beim Staffelfinale 2011 vor, seine Parkinson-Krankheit bewusst gegen ihn einzusetzen, um ihn zu ärgern oder gar zu schädigen. Politisch inkorrekt, wie man ihn kennt. Allein darüber zu schreiben, lässt bereits ein Schamgefühl in mir hochkommen. Dass die HBO-Serie mit einer neuen Staffel wieder zurück auf den Schirm kam, hing ganz allein von Larry David und seinen Gefühlen der Show gegenüber ab. Der Pay-TV-Kanal gab ihm die Zeit. Der 71-Jährige gab dabei zu Protokoll, dass er genervt war von der Frage, wann die in Deutschland leider mit einem eigenen deutschen Titel "Lass es, Larry!" über den Sender laufende Serie sein Comeback feiern würde. Nach einer Ausstrahlung bei HBO im letzten Jahr, geht es nun auch in Deutschland mit zehn Folgen weiter. Und so sehen wir den alt bekannten, annähernd glatzköpfigen Larry David, als wäre er nie weg gewesen zu Beginn der neunten Staffel unter der Dusche mit einer Tube Reinigungsgel kämpfen. Die Alltagssituation als Herausforderung, wer kennt das nicht? Man muss ihn doch einfach gern haben...

Sky Atlantic zeigt die neunte Staffel am Dienstag um 21:25 Uhr, ab der kommenden Woche geht es schon um 20:50 Uhr los.