Da sitzt sie nun also in einem tristen Verhörraum. Müde wirkt sie, ihr Blick ist leer. Freya Becker, die Frau, von der die Rede ist, ist jedoch keineswegs die Tatverdächtige. Sie arbeitet als Protokollantin beim Berliner Mordkommission und hat in all den Jahren in die tiefsten Abgründe menschlicher Seelen geblickt. Immer saß sie bei den Vernehmungen schweigend daneben, die Hände auf der Tastatur. Fragen stellten stets die anderen. Dabei quält auch sie selbst eine Frage: Seit elf Jahren möchte Freya wissen, wo ihre spurlos verschwundene Tochter Marie abgeblieben ist.

Die nicht enden wollende Suche nach der Antwort ist es, die ihr das Lächeln und den Schlaf rauben. "Es geht immer um Marie", sagt Freya. Auch, als es um das Schicksal der vermissten minderjährigen Sandra geht. Aus Mangel an Beweisen endet der Prozess gegen den mutmaßlichen Täter Thilo Menken mit einem Freispruch, dessen Aussagen Freya zuvor detailliert protokollierte. Von seiner Schuld überzeugt, beschließt sie schließlich, gemeinsam mit einem Helfer für das zu sorgen, was sie für Gerechtigkeit hält.

Dunkel kommt sie daher, die neue ZDF-Serie, von der man fast meinen könnte, es handle sich dabei um eine Nordic-Noir-Produktion. Tatsächlich aber spielt "Die Protokollantin" in Berlin und in der Hauptrolle glänzt Iris Berben, der es gelingt, die innere Zerrissenheit der nach außen so kühlen Freya Becker zu transportieren. Dass ausgerechnet Berben noch einmal in einem Samstagskrimi zu sehen ist, überrascht, schließlich verkörperte sie fast 20 Jahre lang die Kriminalkommissarin Rosa Roth in der gleichnamigen Reihe, bei der Oliver Berben ebenso wie nun bei der "Protokollantin" als Produzent fungierte.

Das sind dann aber auch schon die einzigen Parallelen zu all den Krimis, mit denen das ZDF seit Jahren sein Programm flutet. "Die Protokollantin" zeigt auf dem gut gewählten Sendeplatz am späten Abend, dass es sehr wohl noch möglich ist, das Genre mit neuen Ansätzen zu beflügeln. So wie es Oliver Berben in der Vergangenheit auch schon mit der Verfilmung der Schirach-Bücher gelungen ist. Im Falle seiner neuen Serie dauert es allerdings ein wenig, bis man sich hineinfühlt in die Geschichte, die erst nach einer geschlagenen dreiviertel Stunde Fahrt aufnimmt.

Die Protokollantin© ZDF/Alexander Fischerkoesen

Dann aber entwickelt "Die Protokollantin" eine Sogwirkung, der man sich als Zuschauer nur schwer zu entziehen vermag. Die größte Stärke der Serie ist zweifelsohne die Widersprüchlichkeit der Hauptfigur. Da sind einerseits die Momente, in denen man mit dieser älteren Frau mitfühlt; in denen man sie gerne in den Arm nehmen würde, weil es ihr nicht gelingt, sich vom Schatten der Vergangenheit zu befreien. Dann aber tritt plötzlich die dunkle Seite ans Tageslicht und ihre Ängstlichkeit weicht einer erschreckenden Rigorosität, durch die sie geltenden Gesetze vollkommen außer Acht lässt.

All das setzt Autorin und Regisseurin Nina Grosse nach einer Idee von Friedrich Ani zumeist gekonnt um. Störend ist allenfalls, dass die Serie an manchen Stellen visuell anstrengend ist. Weniger Weichzeichner und Gelbstich, vor allem aber ein etwas weniger aufgeräumtes Stadtbild hätten der spannenden Erzählung gut zu Gesicht gestanden. Abseits davon weiß "Die Protokollantin" auch mit der Besetzung abseits der großen Iris Berben zu überzeugen. Peter Kurth macht als Polizeichef eine ebenso gute Figur wie Moritz Bleibtreu, der Freyas nicht minder problembehafteten Bruder spielt.

Man kann sich das alles sehr gut am Stück anschauen – und vielleicht sollte man auf dem Sofa auch genau so verfahren. "Die Protokollantin" bietet jedenfalls bestes Binge-Watching-Fernsehen für kühle Herbstabende. Umso besser also, dass das ZDF sämtliche Folgen in der Mediathek anbietet.

Das ZDF zeigt "Die Protokollantin" samstags um 21:45 Uhr. Alle fünf Folgen stehen zudem schon in der Mediathek zum Abruf bereit.