Was für eine Aufgabe! Das Leben des großen Bertolt Brecht in zweimal 90 Minuten auszuloten, seinem Genie, seinem Werk und auch seinen Abgründen gerecht zu werden, an solch einer Aufgabe kann man wegen ihrer Unfasslichkeit eigentlich nur scheitern, selbst wenn man 40 Jahre auf den Spuren des Dramatikers verbrachte, wenn man schon früh Zeitzeugen befragte, in einer Zeit, als viele noch lebten, die damals miterlebt haben, was Brecht tat und wie er es tat.

Heinrich Breloer hat sich dieser Aufgabe gestellt. Obwohl das vielleicht falsch ist. Vielmehr hat sich diese Aufgabe ihm gestellt. Nach Werken wie „Die Manns“, „Speer und Er“ und „Buddenbrooks“ wollte der Erfinder des Dokudramas noch einmal den ganz großen Aufriss machen, noch einmal das ganz große Rad drehen, quasi das öffentlich-rechtliche Fernsehen zurückführen zum Kern seiner Aufgabe, die Menschen zu erleuchten, sie klüger zu machen. 

Das Bemühen ist ihm hoch anzurechnen, auch die Tatsache, dass die ARD den Zweiteiler nach der Vorpremiere bei Arte prominent auf den 20:15 Uhr-Sendeplatz packt und ihm somit drei Stunden und dazu noch den Raum für eine selbstgefertigte Doku im Anschluss spendiert, zeugt von der Entschlossenheit, mit der man hier zu Werke geht. Da wird nicht gekleckert, da wird im Brustton der Überzeugung geklotzt, wird aufgefahren, was aufzufahren ist. Genau deshalb ist es so schade, dass das Werk letztlich als gescheitert zu werten ist.

Das liegt natürlich an Heinrich Breloer, von dem man nicht viel weniger als das perfekte Werk zu erwarten gewohnt ist. Käme dieses Doku-Drama von einem jungen Filmer würde man es sicherlich mindestens als beachtlich einstufen, aber von einem Breloer erwartet man nun mal mehr. Mindestens das Unmögliche, wenn nicht sogar mehr.

Breloer liefert zwei Teile, in denen er auf gewohnte Weise originale Filmdokumente mit Zeitzeugenbefragungen und Spielszenen kombiniert. Im Idealfall ist so etwas ein perfekter Mix, bei dem der gespielte Brecht das weiterführt, was der echte Brecht in wackeligen Schwarzweißbildern gerade vorgelebt hat, und die Zeitzeugen unterfüttern es hernach mit eigenen Schilderungen. Leider kann hier von einem Idealfall nicht die Rede sein, denn die einzelnen Bestandteile ergänzen sich nicht, sie stechen einander aus und stehen weiterhin als Solitäre verloren in der Landschaft herum. Immer wieder wird der Erzählfluss abgeleitet und mäandert mehr oder weniger beliebig in der Landschaft umher.

Der erste Teil zeigt das Leben des jungen Brecht bis zu seiner Flucht aus Nazi-Deutschland, der zweite setzt bei seiner Rückkehr an und begleitet ihn bis zu seinem Tod im Jahre 1956. Im ersten Teil spielt Tom Schilling den jungen Brecht, im zweiten Teil ist es Burghart Klaussner, der sich als Brecht versucht. 

Schillings Brecht bleibt ein Bübchen

Insbesondere Tom Schilling als junger Brecht darf getrost als Fehlbesetzung bezeichnet werden. Schilling hat seine Qualitäten, ohne Zweifel, aber in diesem Stück wird er sie nicht los. Sein Brecht ist zu glatt, als dass man an ihm hängen bleiben könnte. Er bleibt ein Bübchen, dem man niemals zutraut, dass in ihm große Gedanken auf Ausbruch warten.

Klaussners Erscheinung kommt Brecht da schon ein wenig näher, erschöpft sich aber leider zu oft in endlosem Zigarregekaue und diversen unwirschen Posen. Und immer, wenn man sich an Klaussners Brecht gewöhnt hat, kommt wieder ein Originalfilmdokument dazwischen und belegt, dass Brecht so viel anders war. In solchen Momenten stellt die Montagetechnik dem ganzen Werk ein Bein und lässt es stolpern.

Dieser Eindruck wird noch verstärkt, weil im selben Film der Gegenentwurf zu sehen ist. Adele Neuhauser spielt Brechts Frau Helene Weigel, und nicht eine Sekunde gibt es einen Zweifel an ihrer Darstellung. Neuhausers Figur braucht den Vergleich mit Originaldokumenten in keiner Sekunde zu scheuen. Sie ist es. Aber sie ist es auch, die durch ihre Erscheinung alle gespielten Brechts an die Wand verbannt.

Brecht© WDR/Michael Praun

Doch dieser „Brecht“ stolpert nicht allein über die Fehlbesetzungen. Es ist auch Breloers Entschluss, Brecht vornehmlich über dessen Frauengeschichten zu erzählen. Das kann man machen, aber dann sollte man im Film auch deutlich machen, was denn die Faszination des Mannes war, was ihn denn zum Menschenfresser, zum großen Bezauberer machte. Leider versäumt es Breloer, seine Brechts mit glaubhaften Erklärungen auszustatten. So bleibt ihre Anziehungskraft nur eine Behauptung, zu sehen, zu spüren, ist sie selten bis nie.

Auch das große Werk Brechts muss hinter den Frauengeschichten zurückstehen, es wird zur Kulisse der Liebschaftsgeschichten. Um die Brisanz der großen Werke weiß man wohl, aber in diesem Film werden sie schablonenhaft abgehandelt wie Positionen in einer Bilanz. Das korreliert sehr stark mit dem Buchhalterischen dieser Produktion, die verhindert, dass allzu viel Emotion einsickert. Aber genau darin liegt auch der Grundwiderspruch. Einerseits setzt Breloer auf die Frauengeschichten, andererseits verhindert er Gefühl, ob willentlich oder nicht, wer außer ihm selbst weiß das?

Als zu groß erweist sich letztlich Brechts Werk als dass man es je zu fassen kriegen könnte. „Er hat mich gekannt. Ihn konnte man nicht kennen“, sagt die Schauspielerinnen Regine Lutz in einem Zeitzeugeninterview ganz am Ende. Dazu passen die letzten Worte, die Brecht angeblich auf dem Sterbebett von sich gegeben haben soll. „Lasst mich doch in Ruhe!“ 

"Brecht" läuft am Freitag um 20:15 Uhr bei Arte sowie am kommenden Mittwoch um 20:15 Uhr im Ersten.

Mehr zum Thema