Ob Haus, Haare oder gleich die gesamte Person – wenn im Fernsehen das Umbau- oder Umstyling-Team anrückt, dann gibt es in aller Regel kein Zurück mehr. Da wird moduliert, gestrichen und gespachtelt, was das Zeug hält. Und weil sich die Unterschiede zwischen Vorher und Nachher so schön herausstellen lassen, gibt es vermutlich nur wenige Genres, die fürs Fernsehen derart gut geeignet sind wie Makeover-Formate. Daran hat man sich auch bei RTL und der Produktionsfirma Constantin Entertainment erinnert, weshalb der Sender bei seinem ganz eigenen Nachmittags-Make-Over neuerdings unter dem simplen Titel "Vorher Nachher" das Aufhübschen gewissermaßen zur Fließband-Arbeit erklärt hat.

Den Teilnehmern wird ein "großer Moment" versprochen und das Publikum kann zur Sicherheit schon mal die Kleenex-Tücher bereitstellen, weil das Format offenbar so etwas wie eine eingebaute Heul-Garantie besitzt. In leicht verdaulichen Häppchen werden in jeder "Vorher Nachher"-Folge gleich drei mehr oder minder schwere Fälle präsentiert, in denen Stylisten, Handwerker oder anderweitige Experten nach einem traurigen Hilferuf Hand anlegen, um besagten großen Moment zu erschaffen. Oder wie Moderatorin Janine Kunze sagt: "Die richtigen Profis für jedes Problem." Was Kunze mit alledem zu tun hat, bleibt allerdings zumindest nach der ersten Folge schleierhaft. 

In der ersten Folge ist sie einzig unterstützend dabei, als es gilt, eine tätowierte Jugendsünde verschwinden zu lassen. Ansonsten liest Kunze bedeutungsschwangere Moderationen ab in einer Kulisse, für deren Einrichtung sich das Produktionsteam offenbar an den Traumwelten der Candy Crush Saga orientiert hat. Und manchmal fragt man sich, ob Kunze bei der Produktion ihrer Aufsager überhaupt wusste, worauf sie sich gerade bezieht. "Wow, was für ein tolles Vorher-Nachher", spricht sie dann vielsagend in die Kamera. Wow, was für ein einfallsreicher Text. 

Vorher Nachher - Dein großer Moment© Screenshot RTL

Ansonsten funktioniert "Vorher Nachher" freilich gut, weil die Macher der Sendung auf Elemente zurückgreifen, die sich schon hunderte Male bewährt haben. Da wäre etwa die Tochter, die sich nichts sehnlicher wünscht als ihrem demenzkranken Vater Franz eine schöne Bleibe zu gestalten, woraufhin Schauspielerin und "Einrichtungsfee" Mimi Fiedler ("packt gerne selbst mit an") mit einem Schrankbett aus den 50ern um die Ecke kommt und die Wände in Olivtönen streicht - "damit du das Gefühl hast, dass du draußen bist", wie sie Franz erklärt. Nur die Sache mit den brennenden Kerzen auf der Fensterbank sollte die Fiedler-Fee angesichts der fortschreitenden Erkrankung des Vaters womöglich noch einmal überdenken.

Am Ende sind alle Probleme gelöst

Den Anfang aber macht eine junge Frau namens Bianca, deren Selbstwertgefühl nach der Trennung ihres Freundes ziemlich leidet, weshalb ein französischer Stylist jetzt bei seinem Hausbesuch Abhilfe schaffen und, wie er sagt, "mehr Feminität in ihre Persönlichkeit" reinbringen soll. Ein paar Extensions hier, ein Lidstrich dort, dazu noch ein Herzchen-Kleid – fertig ist das Umstyling, dessen Ergebnis standesgemäß mit den philosophischen Worten von Wincent Weiss untermalt wird: "Ey, es wähähähäär' schön blöhöd, nicht an Wunder zu glauben".

"Für Bianca wünsche ich mir, dass sie sich nur schönere Sachen aussucht in den Geschäften als sie schon zu Hause hat", hofft der zufriedene Stylist dann noch inständig und irgendwie ist jetzt, nur ein paar Handgriffe nach dem verzweifelten Hilferuf, alles gut. Zum Schluss noch ein Fotoshooting und sämtliche Probleme sind vollends gelöst. Gut, auch weiterhin wird Bianca vier Mal pro Woche nachts putzen müssen, um für sich und ihr Kind ein wenig Kleingeld zu verdienen, aber das sind allenfalls Randnotizen in dieser Sendung, an deren Ende Probleme schlicht nicht vorgesehen sind. Bianca jedenfalls ist glücklich und weint nun vor Glück ebenso wie die anderen Kandidaten, die im weiteren Verlauf der Stunde von RTL unter die Arme gegriffen bekommen.

Selbst der demenzkranke Franz mit seinem neuen Schrankbett muss sich keine Sorgen machen. "Ab jetzt wird alles besser, besser und besser", weiß Mimi Fiedler, und nach 60 Minuten sind also alle derart beseelt, dass man sich vor dem Fernseher für einen kurzen Moment bei dem Gedanken erwischt, Janine Kunze und all die anderen "Vorher Nachher"-Retter mögen sich doch bitte auch der anderen großen Probleme dieser Welt annehmen; dem Hunger, der Armut und der Tatsache, dass Dieter Bohlen im Herbst wieder Konzerte geben will. Warum sollte sie mit ihrem Team nicht auch das in den Griff bekommen und ein erleichtertes "Wow, was für ein tolles Vorher-Nachher" seufzen? Nur ein Traum, sicher, aber es wäre doch schön blöd, nicht an Wunder zu glauben.

"Vorher Nachher - Dein großer Moment" läuft montags bis freitags um 16:00 Uhr bei RTL.