Es gab in meiner Kindheit nur selten Momente, in denen ich Strafen oder Verbote erteilt bekommen habe. Mir wurde nie Hausarrest gegeben oder das Fernsehen untersagt. Und doch erinnere ich mich an eine einzige Situation meiner Kindheit ganz genau, in der meine Eltern mal autoritär wurden: Als sie mir im Alter von 8 Jahren meine heiß geliebten "MAD"-Magazine genommen haben mit dem Hinweis, dass ich sie an meinem sechzehnten Geburtstag wiederbekommen werde. Erst dann sei ich alt genug, um die von pubertären Kalauern nur so strotzenden Witze im Heft zu verstehen. Zuvor hatte sich die Mutter eines Klassenkameraden bei meinen Eltern beschwert, dass ich die satirischen "Schmuddelhefte" mit zu ihnen nach Hause gebracht hatte.

Natürlich half das Verbot nichts. Ich hatte meine "MAD"-Hefte längst auswendig gelernt, die prägenden Zeichenstile der amerikanischen Künstler wie Don Martin oder Tom Richmond hatten bereits tiefen Eindruck hinterlassen und so illustrierte ich trotz der Beschlagnahmung meiner "MAD"-Sammlung in meinem Religionsheft der dritten Klasse die Jünger Jesu als Charlie Brown, Bugs Bunny und Biene Maja. Wie ich es aus "MAD" gelernt hatte.

Miguels Religion-Karikatur

Exklusiv aus Miguel Robitzkys ReligionsheftIn der letzen Woche wurde nun bekannt gegeben, dass aufgrund schwindender Auflage die Produktion neuer "MAD"-Inhalte nach 67 Jahren eingestellt werden soll, was nur als ein schmerzlicher Verlust einer humoristischen Institution gewertet werden kann. Man wächst schnell aus dem "MAD"-Humor heraus, weshalb auch ich lange keine Hefte mehr gekauft und zu "MAD" die gleiche Beziehung entwickelt habe wie zu einer Großtante, die seit Ende der 80er am anderen Ende Deutschlands wohnt: Man hatte lange keinen Kontakt mehr, aber jetzt, wo sie tot ist, trifft es einen doch.

Nun verlieren wir mit dem "MAD"-Magazin gleich die zweite humoristische Institution in kürzester Zeit: Vor einem Monat kündigte die "New York Times" an, keine politischen Karikaturen mehr drucken zu wollen, nachdem ein antisemitischer Cartoon zurecht eine Welle der Entrüstung hervorbrachte. Immer häufiger kommen Meldungen, dass Karikaturisten entlassen werden. Auch wenn es für diese Entwicklung unterschiedliche Gründe geben mag, verschwinden die alteingesessenen satirischen Formate in einer Epoche, die seit dem Einzug Trumps ins Weiße Haus eigentlich als eine "goldene Zeit für Satire" bezeichnet wird.

Wenn für dieses Phänomen ein Sündenbock gefunden werden soll, können sich die meisten Print- Leute schnell einigen: Das Internet ist schuld! "Heul, heul, das Internet macht unsere Auflage kaputt!" "Jammer, jammer, im Internet ist kein Geld zu verdienen!" "Schluchz, schluchz, das Internet mit seiner bösen Political Correctness kritisiert uns, wenn wir antisemitische Karikaturen veröffentlichen! Und deshalb veröffentlichen wir lieber GAR KEINE Karikaturen mehr, anstatt nur auf die ANTISEMITISCHEN zu verzichten!" Es ist sowas von zum Verzweifeln.

Bei der Verleihung des deutschen Karikaturpreises im letzten November plädierte einer der Gewinner des Abends, Achim Greser (vom Karikaturistenduo Greser & Lenz), an die jungen Leute, dass sie mehr Zeitungen kaufen sollen, da sonst der Berufsstand kaputt gehe. Doch leider ist das keine Einbahnstraße, denn ich habe eine schlechte Neuigkeit an alle Leute, die ausschließlich im kultigen Branchenzweig Print arbeiten: Das Internet geht nicht mehr weg! Nicht die jungen Leute müssen sich zu den Verlagen bewegen, sondern die Verlage müssen endlich im digitalen Zeitalter ankommen.

Auf die Gefahr hin, dass ich jetzt klinge wie ein TikTok-liebender Speaker auf der re:publica: Komische und satirische Formate müssen auch crossmedialer und in der Besetzung diverser gedacht werden. Um langfristig zu überleben, hätte "MAD" im Internet frühzeitig den Stellenwert einer Seite wie 9GAG einnehmen müssen, die im Besten Fall sogar als Community funktioniert. Komik muss da stattfinden, wo die Leute sind und es ist gerade für junge Medienschaffende so ermüdend, dass die allermeisten Verlage und Rundfunkanstalten dem Internet mit der Souveränität eines bekifften Pelikans begegnen.

Leider hängt die Internetpräsenz noch zu häufig am Engagement einzelner Künstler. Comiczeichner wie Alex Norris mit seinem "Oh no"-Strip oder Tommy Siegel machen es im englischsprachigen Raum vor, wie man eine nischige Kunstform über das Netz für eine breite Masse produzieren kann. In Deutschland sind Hauck & Bauer, Sarah Burrini und Ralph Ruthe beliebte Künstler im Internet. Doch alle machen es ohne eine Redaktion, einen Verlag oder eine Rundfunkanstalt im Hintergrund. Es ist ein zusätzlicher Job, der eigentlich nicht ihrer sein sollte, den sie aber meistern, um wahrgenommen zu werden.

Es müssen von Verlagen und Redaktionen Geschäftsmodelle für professionelle komische Kunst gefunden werden, die ausschließlich online stattfinden oder zumindest analoge wie digitale Medien gleichzeitig bedienen. Formate, die an das Tempo der heutigen Zeit angepasst sind, die das Internet nicht als Konkurrenz und Miesmacher, sondern als Chance und Teil von sich verstehen und nicht bloß geklaute Tweets auf Tafeln abschreiben, um sie dann auf Instagram zu posten.

Sonst enden wir noch wie die CDU und das kann nun wirklich keiner wollen! Aber wahrscheinlich ist das alles sowieso viel zu kulturpessimistisch gedacht. Zu idealistisch. Und von der eigenen Bedeutung eingenommen. Naja, auch egal jetzt. Mit hoher Wahrscheinlichkeit wäre es ausgerechnet das "MAD"-Maskottchen Alfred E. Neumann, das im Angesicht des Todes unter diesen Text bloß zwei Worte kommentieren würde. Und die wären schlicht und einfach "Na und...?"

Miguel Robitzky zeichnet seit fünf Jahren Karikaturen fürs Medienmagazin DWDL.de. Er ist Autor beim "Neo Magazin Royale".