Miss Marple lebt jetzt in Wien, in Gestalt einer Kneipenwirtin namens Gitti und mit der Statur von Doris Kunstmann. Dieses Eindrucks kann man sich nicht erwehren, wenn man "Prost Mortem – Die letzte Runde" schaut. Die Österreicher haben bekanntlich jede Menge Expertise in schwarzhumorigen Krimis, 13th Street bringt Erfahrung mit kleinen, abgeschlossenen Serien-Settings ein. Vom Beichtstuhl bei "Culpa" ins Wiener Beisl "Bierkavalier": Diese deutsch-österreichische Koproduktion mischt genau die richtigen Zutaten zusammen.

Es gilt einen Mord aufzukären, davon ist Gitti überzeugt. Schließlich wurde ihr schwer lungenkranker Ehemann Werner, vom eigenen Sauerstoffschlauch stranguliert, auf der Toilette der Wirtschaft aufgefunden. Obwohl die Polizei von einem Selbstmord ausgeht, stellt die resolute Wirtin ihre eigenen Ermittlungen an. Den drei Verdächtigen, die in ihre Fänge geraten, bereitet sie die wohl erschreckendste und chaotischste Nacht ihres Lebens.

Da ist Bernie, der alkoholkranke, leicht unterbelichtete Stammgast des "Bierkavaliers". Zwar war er Werners bester Freund, stand aber – Achtung, Mordmotiv! – mit weit über 2.000 Euro in der Kreide. Simon Schwarz spielt den tragisch-liebenswürdigen Loser mit größtem komischen Talent. Zoe (Janina Fautz), sarkastische Aushilfskellnerin im Gothic-Look, hat sich in Gittis Augen genauso verdächtig gemacht wie Werners jüngere Schwester Eva (Elke Winkens), die als abgezockte Politikerin auf dem Karrieretrip ist und mit ihrem servilen Assistenten Steven (Timur Bartels) im Schlepptau aufkreuzt. So ein starkes Ensemble ist die halbe Miete.

Wirklich getragen wird das Format jedoch von Doris Kunstmanns Gitti, bei der man nie ganz sicher sein kann, ob sie vor Trauer zerbricht, vor Wut kocht, vor detektivischem Spürsinn sprüht oder vor Mutterwitz bebt. Als wahres Stimmungswunder hat sie das alles in sich und holt es je nach Bedarf geschickt hervor – weitaus taktischer, als man es ihr zunächst zutrauen würde. Dieser Fehleinschätzung unterliegen auch die Verdächtigen, die Gitti zu Werners Gedenken in den "Bierkavalier" gebeten hat – und die sich bald betäubt und gefesselt im Verhör wiederfinden. Mit ihrer sympathischen Schrulligkeit bei gleichzeitiger Entschlossenheit und Kombinationsgabe macht Kunstmanns Gitti dem Vorbild Miss Marple alle Ehre.

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Mit einer Gesamtlänge von weniger als 90 Minuten, aufgeteilt in vier Episoden, ist "Prost Mortem" ein Kabinettstückchen, das dazu noch auf engstem Raum – in der Kneipe und deren Nebenräumen – spielt. Der österreichische Filmemacher Michael Podogil – durch seinen Sieg beim "13th Street Shocking Short"-Kurzfilmpreis 2018 ins Visier von NBCUniversal geraten – beherrscht die Konzentration aufs Wesentliche als Kunstform. Seine gemeinsam mit Matthias Writze geschriebenen Bücher sind Sternstunden des schwarzen Humors, seine präzise Inszenierung lässt die Stärken des Mikrokosmos glänzen. Krimispannung entsteht vor allem durch die mitunter manipulativ eingesetzten Rückblenden auf die Geschehnisse der Mordnacht, die Podogil in Gittis zusehends aus dem Ruder laufende Verhöre einstreut.

Ob und wie der Mord aufgeklärt wird, soll hier natürlich nicht verraten werden. Aber freuen darf man sich auf die eine oder andere ungeahnte – im Nachhinein logisch erklärte – Wendung. Bleibt als winziger Kritikpunkt, dass das österreichische Milieu ruhig ein bisschen österreichischer hätte klingen dürfen. Mit Blick auf die deutschen Zuschauer und um Untertitel zu vermeiden, hat man sich für allgemeines Hochdeutsch entschieden. Mit einer Ausnahme: Simon Schwarz' leicht wienerische Dialektfärbung genießen wir nun umso mehr.

13th Street zeigt "Prost Mortem – Die letzte Runde" am 9. und 16. Oktober jeweils ab 21 Uhr in Doppelfolgen.