Es ist ein zutiefst entspannendes Gefühl, das sich in einem breit macht, wenn der Abspann abläuft. Ob nun exzessiv die letzten drei Episoden "Stranger Things" gebinged wurden, oder weil der 210-minüter "The Irishman" bezwungen wurde. Die End Credits werden stets mit dem wohl besten Soundtrack der jeweiligen Produktion bestückt und laden dazu ein, die Macher hinter dem Projekt mit Namen kennenzulernen und – vielleicht noch viel wichtiger – endlich genug Ruhe dafür zu haben, darüber nachdenken zu können, was man gerade alles gesehen hat. Hier werden Emotionen sortiert und Szenen eingeordnet. Zumindest im Kino und bei sämtlichen Streamingdiensten, die nicht Netflix heißen.

Bei Netflix nämlich werden die Credits seit geraumer Zeit nach wenigen Augenblicken in ein kleines Fenster minimiert, um Werbung für eine zufällige andere Produktion zu machen. Wird händisch nicht eingegriffen, läuft der Trailer in weniger als zehn Sekunden dafür an. Bitte, was zur Hölle?

Liebes Netflix, eure Sparten auf der Startseite namens "Beliebt auf Netflix", "Derzeit beliebt", "Serien für einen Serienmarathon", und "Netflix Originale", die mir augenblicklich ins Gesicht springen, sobald ich dich öffne, reichen vollkommen aus, damit ich Bescheid weiß, was du zu bieten hast. Doch dass du mir meinen zen-mäßigen Moment mit den End Credits vermiest, geht schlicht zu weit. Bewegtbild sprintet so schnell wie nie zuvor über den Bildschirm, sodass immerhin dieser Moment erhalten bleiben muss, damit jeder von uns auch einfach mal durchatmen kann.

Außerdem: Ein kleiner Teil an Produktionen wartet ganz am Ende noch mit versteckten After-Credit-Szenen auf, wie beispielsweise die hauseigene Produktion "Disenchentmant" in der letzten Folge der ersten Staffel. Selbst hier wird das Ende abgekappt – bei einem Netflix Original. Tatsächlich variiert die Nutzererfahrung hier aber deutlich, wie in verschiedenen Foren gelesen werden kann. Deswegen scheint sich nicht jeder mit diesen Problemen in dieser Extreme herumschlagen zu müssen. Dass Netflix den Abspann mit der Minimierung des Fensters deutlich kürzen möchte, ist jedoch Fakt. Auch in den Einstellungen findet sich nichts, um das zu verhindern. So muss man sich also rechtzeitig mit der Fernbedienung bewaffnen, um nicht Opfer des Abspann-Gemetzels zu werden.

Auf der anderen Seite muss der ganzen Sache auch etwas Verständnis entgegengebracht werden. Während lineare Fernsehsender die Möglichkeit haben, immer mal wieder Trailer für kommende oder laufende Produktionen im Programm abzuspielen, muss ein Streamingdienst wie Netflix komplett neu denken, um sein Portfolio mit laufenden Bildern zu präsentieren. Doch dann geht es darum, dass sich die zuständigen Leute um Innovation kümmern und nicht um Kunstschmälerung. Übrigens: Dass die End-Credit-Situation im Fernsehen ebenfalls eine traurige Angelegenheit ist, sollte an dieser Stelle nicht unerwähnt bleiben.

Die "Erweiterung des maximalen Sehvergnügens" wird bei Netflix kein Ende nehmen, wenn sich niemand lauthals über solch freche Marketingversuche beschwert. Unser Sehverhalten wird auf diesem Wege lediglich dahin gepolt, dass wir mehr Stoff mit weniger Pausen dazwischen streamen. Und es soll noch schlimmer werden: Bereits vor ein paar Monaten hat Netflix auf einigen Accounts das Feature zum Testen freigegeben, die Geschwindigkeit des Streams erhöhen oder verringern zu können. Also eine ähnliche Funktion, wie sie auch Podcasts vorhanden ist. Damit soll der Zuschauer die Möglichkeit bekommen, langweilige Episoden leichter und schneller durchzustehen. Laut Netflix wurde dies von mehreren Nutzern angefragt. Zudem sei es schon bei alten DVD-Abspielgeräten eine gängige Funktion gewesen und von daher kein Novum. Doch auch da hat nicht der Künstler per se angeboten, seinen Film in vielfacher Geschwindigkeit abspielen zu können, was auf die gleiche Problematik zurückführt.

Schauspieler wie "Breaking Bad"-Star Aaron Paul stellen sich deutlich gegen diese Entwicklung: "Netflix übernimmt die komplette Kontrolle über die Kunst anderer Menschen und zerstört sie", fasst er es passend zusammen. Hätte der jeweilige Regisseur gewollt, dass der Film in 1,5-facher Geschwindigkeit abläuft, hätte er ihn auch so zusammenschneiden lassen. Noch ist das Feature nicht ausgerollt worden, was in der nächsten Zeit auch nicht der Fall sein soll, so beschwichtigt zumindest Keela Robison, Vizepräsidentin Produktinnovationen bei Netflix.

Noch agiert Netflix so, dass manche Dinge zwar ärgerlich, aber verschmerzbar sind. Man kann sich dran gewöhnen, die End Credits mit einem Klick wieder auf die volle Größe zu ziehen und den 10-Sekunden-Countdown zum herannahenden Trailer zu vermeiden. Doch wo hört das Ganze auf, wenn nicht hier schon der Missmut des Zuschauers zum Vorschein kommt?