Sie müssen sich Netflix neuesten Serienstreich "Locke & Key" wie das beste schlechteste erste Date überhaupt vorstellen. Sie machen es sich auf der Couch gemütlich und warten darauf, dass ihre Verabredung für den Serienabend durch die Tür kommt. Die Klinke wird bedächtig nach unten gedrückt und ihre hibbelige Vorfreude wandelt sich in ein breites Grinsen, als sie Joe Hills verfilmte Comicvorlage zum ersten Mal in vollkommener Schönheit zu sehen bekommen: Sie hat extra ihre Optik aufpoliert, eine aufregend mysteriöse Aura wird versprüht und die aufwendigen Effekte sorgen vollends dafür, dass Sie für diesen einen Moment alle anderen Serien vergessen. Doch dann öffnet "Locke & Key" zum ersten Mal den Mund und sorgt dafür, dass Sie voller Enttäuschung immer wieder gen Armbanduhr schielen, um abzuwägen, wann es gesellschaftlich korrekt ist, zu sagen, dass man müde wird und so langsam mal ins Bett gehen möchte.

Doch von vorne: So hat "Locke & Key" bei all der finalen Langeweile dennoch eine interessante Vorgeschichte. Nachdem Joe Hill, Sohn des berühmten Grusel-Schriftstellers Stephen King, 2008 den ersten Comic veröffentlichte, sollte bereits 2010 eine Serie entstehen. Fox und DreamWorks Television waren damals die treibende Kraft, die schnell verpuffte. 2014 übernahm Universal und kündigte eine Filmtrilogie an, aus der ebenfalls nichts wurde. Anschließend wollte der Streamingdienst Hulu das Projekt in Serienform zum Leben erwecken. Doch auch dieser Versuch sollte unversucht bleiben, ehe Netflix die Rechte erlangte und Carlton Cuse ("Lost"), Aron Eli Coleite ("Heroes") und Meredith Averil mit der Umsetzung einer zehnteiligen ersten Staffel beauftragte.

Während Cuse und Coleite bereits namhafte Produzenten sind, machte vor allem Averil Hoffnung auf eine erfolgreiche Adaption. Die Produzentin war schon bei der hervorragenden Netflix-Serie "The Haunting of Hill House" tätig und dort sogar an zwei Episoden als Autorin beteiligt. Doch all das, was "The Haunting of Hill House" abgeliefert hat, wird hier im dunklen Keller der Möglichkeiten verscharrt.

Das könnte in gewisser Weise sogar positiv verstanden werden, da "Locke & Key" mit ungefähr gleicher Prämisse aufwartet und ebenfalls einen gruseligen Keller zu bieten hat: Nachdem ihr Vater auf grausame Weise ermordet wurde, ziehen die drei Geschwister Tyler, Kinsey, und Bode Locke mit ihrer Mutter in das düstere Anwesen Keyhouse in Lovecraft, Massachusetts. Dort entdecken die Kids mysteriöse Schlüssel, die ihnen übernatürliche Fähigkeiten verleihen. Einer kann beispielsweise Türen zu allen Orten öffnen, die man sich im tiefsten Herzen ersehnt. Wie es bei den meisten guten Dingen der Fall ist, gibt es aber auch hier immer einen Haken. Einer sieht so aus, dass ein gemeiner Dämon alle Schlüssel einsammeln möchte und dabei nicht davor zurückschreckt, der Familie zu zeigen, wie bösartig er ist.

Verkörpert wird dieses grausame Wesen von der brasilianischen Schauspielerin Laysla De Oliveira ("Im hohen Gras"). Der Gruselfaktor wird alleine durch sie erheblich geschmälert, könnte sie doch mit Leichtigkeit als "Victoria's Secret"-Model engagiert werden. Nein, angsteinflößend ist das irgendwie nicht. Bereits bei der seichten Horroreinlage von Megan Fox in "Jennifer's Body" wurde gezeigt, dass es gar nicht so einfach ist, wenn eine schöne Frau effektiven Grusel erzeugen soll. Natürlich gibt es genügend Gegenbeispiele - so war "The Others" mit Nicole Kidman ein wundervoller Horrorfilm. Dank des Drehbuchs und der Einschätzung der Autoren, dass Kidman einiges abverlangt werden kann.

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Der Writers Room von "Locke & Key" hat sich mit seinem Mut dagegen extrem zurückgehalten. Aus der absurden Comicvorlage, in der auch schon mal eine Figur mit einer Schlittschuhkufe zu Brei geschlagen wird, wurde ein familientauglicher Gähner, der zu keinem Zeitpunkt zeigt, dass eine höhere Vision vorhanden ist. Viel zu egal sind die Charaktere, die durch ihr trauriges Schicksal deutlich vielschichtiger hätten inszeniert werden müssen. Auch hier muss wieder auf "The Haunting of Hill House" verwiesen werden, das für Netflix eigentlich als idealer Spickzettel hätte fungieren können.

Das war natürlich bewusst nicht gewünscht. "Locke & Key" soll das Publikum bedienen, dem "Spuk in Hill House", wie die Serie auf Deutsch heißt, in jeder Weise zu gruselig und dramatisch war. Entstanden ist somit eine zu glatt getrimmte Nachahmung, die viele Details des Comics vermissen lässt. Vor allem die Kreativität von Joe Hill musste der wohl gewünschten Altersfreigabe weichen, die Comiczeichner Gabriel Rodríguez noch detailliert ausleben konnte. Ein Sinnbild für all die wegkorrigierte Leidenschaft für Grusel und Fantasy, die trotz der schönen Optik deutlich zu spüren ist. 

Wie bei jedem miesen Date, bei dem die Erwartungen hoch sind, kann man sich also dazu entscheiden, ob man der Schönheit für einen Moment verfallen möchte. Doch wenn der Kopf eingeschaltet bleibt und die schnell der Gedanke reift, dass dieses Treffen inhaltlich kaum fordert und anstachelt, mehr herausfinden zu wollen, dann schweifen die Gedanken eben ab. Am Ende gibt es schlicht zu viele Serien, die viel schöner sind und eund die eigene Zeit nicht derart verschwenden wie es bei "Locke & Key" der Fall ist.

Die erste Staffel von "Locke & Key" steht ab sofort bei Netflix zum Streaming zur Verfügung.