Die Welt ist eine Straße voller Schlaglöcher, über die man nur hinwegfliegen kann, wenn der Rausch die Verantwortung nimmt. So ungefähr muss der von Jannik Schümann verkörperte Eric Stehfest sein Leben gespürt haben, als er freihändig und mit geschlossenen Augen auf einer Landstraße aufs Gas drückt. Auf dem Beifahrersitz liegt die Parabellumpistole seines Großvaters, mit der er früher im Wald Dosen durchlöchert hat. "Geil Geschossen, Genosse!", lobt er ihn. Es war mit die einzige Vaterliebe, die er je gespürt hat. Seinen Ersatz, wie auch für vieles andere, hat er in Crystal Meth gefunden. Eine Droge, die dein gesamtes Universum auseinandernimmt.

Für den echten Eric Stehfest hat Crystal in seinem Leben weitaus mehr bedeutet, als nur "9 Tage wach" gewesen zu sein. Seine Familie, seine Beziehung, sein Schauspielstudium – schlicht seine gesamte Zukunft war ihm für die nächste volle Nase scheißegal. Alles kann so verdammt anstrengend sein, doch sich seinen zwanzig Euro Schein zu einem Röhrchen zu drehen und zu ziehen gehörte nicht dazu. Ein schöner Spoiler, der bereits dadurch klar wird, dass im Zuge dieses Spielfilms auch die Dokumentation "Dropout" produziert wurde: Eric Stehfest steht heute fest im Leben. Nachdem er mit Leidenschaft Drogen konsumiert hat, verfiel er der Schauspielerei. Er schrieb voller Herzblut den gleichnamigen Roman, der nun in diesen Film mündet.

Im vergangenen Dezember ging der Privatsender mit dem Mystery-Film "Schattenmoor" ungewöhnliche Wege, und hat ihn online zunächst Stück für Stück gezeigt, ehe er an einem Mittwochabend in ganzer Länge eher mäßige Quoten einfuhr. Mit "9 Tage wach" entschied man sich für einen Sonntag – und für Konkurrenz wie den "Tatort" und "Kitchen Impossible". Diese Entscheidung beweist viel Vertrauen in den 100-Minüter, der Stehfests Karrierehigh erzählt. Die "Ich-fühl-mich-wie-Jesus-und-der-Terminator-gleichzeitig"-Phase des jungen Schauspielers, der später mal in RTLs "Gute Zeiten, schlechte Zeiten" mitspielen sollte.

Der von Andreas Bareiss und Sabine de Mardt (Gaumont) produzierte Film ist, ohne zu viel vorweg zu nehmen, ein Hass-Plädoyer von Anfang bis Ende. Ein Hass-Plädoyer, das von Schümann mit einer derartigen Intensität vorgetragen wird, dass es Stehfest unheimlich vorgekommen sein muss, mit welcher Hingabe er da sein altes Leben vorgespielt bekommt. Dabei ist der Aufbau der Geschichte die perfekte Vorlage für Schümanns grandiose Performance: Der anhaltende Lachanfall, während er seinen vollgepumpten Freund in die Badewanne trägt, der sich in die Hose geschissen hat, ist genauso grotesk und faszinierend, wie die totale Eskalation auf der Theaterbühne seiner Schauspielschule.

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"Sie haben so viel Potenzial", wird ihm immer wieder gesagt. Doch, und hier setzt der Film an einer wichtigen Stelle an, wird ihm nur selten die Hand gereicht, damit er dieses Potenzial auch erreichen kann. Alleine seine Mutter (ebenfalls perfekt gecastet: Heike Makatsch) beweist Herz und hilft ihm durch die ersten Entzüge. Die einzige andere Hilfe, die er geboten bekommt, präsentiert sich in Form von endlosen Partys. Der amerikanische Regisseur Damian John Harper schickt Stehfest durch exzessive Klobegegnungen und dramatische Abstürze und zeigt mit seinen eindrücklichen Bildern nur zu gut, warum gerade einmal einer von zehn Crystal Meth-Abhängigen wieder clean wird. Partys sind nunmal einfacher, als Entzüge voller Kotze.

Dass "9 Tage wach" das Thema so gut in Szene setzt, liegt übrigens nicht nur an der informativen und erzählerischen Dichte. John Harper, der mit "Los Ángeles" vor sechs Jahren seinen ersten Spielfilm inszenierte – das Drehbuch dazu entstand im Rahmen seines Studiums an der HFF München – tobt sich in seinem kreativen Rahmen so gut es geht aus. So zeigt er beispielsweise in der Gerichtsszene auf, was er von den gängigen, deutschen Schauspielmitteln hält: nämlich nichts. Er lässt Schümann so künstlerisch wertvoll wie möglich auftreten – eine Unart, die immer noch in vielen deutschen Produktionen an der Tagesordnung stehen. Im restlichen Film darf Schümann so schauspielern, dass er eben nicht wie ein Schauspieler wirkt. Sondern wie ein Mensch.

Abgesehen davon blitzen tarantinoeske Collagen auf, "Fight Club"-Anspielungen finden statt ("Du bist…") und es wird eine versöhnlichere Schüler-Lehrer-Beziehung geboten, als in "Whiplash". Außerdem: Jefferson Airplanes "White Rabbit"-Song, der den Drogenrausch schon in "Fear and Loathing in Las Vegas" ideal untermalte, kommt auch hier zu einem würdigen Einsatz. "9 Tage wach" ist möglicherweise nicht der entspannteste Inhalt für einen ruhigen Sonntag, aber sicherlich ein starker Film, der es mit jeder Konkurrenz aufnehmen kann.

"9 Tage wach" feiert am Sonntag, dem 15. März um 20:15 Uhr Premiere auf ProSieben. Parallel steht er auch bei der Streamingplattform Joyn zur Verfügung. Im Anschluss läuft die ebenfalls sehenswerte, komplett mit dem iPhone gedrehte Dokumentation "Dropout", in der der echte Eric Stehfest die heutige Crystal Meth-Szene untersucht.