Es gibt, grob überschlagen, drei Grundregeln für gute Filmporträts: Halte Distanz zum Porträtierten. Zeige ihn in seiner ganzen Vielfalt. Fördere dennoch Unbekanntes zutage. Wer heute auf Amazon Prime die Lebensgeschichte von Bastian Schweinsteiger sieht, wähnt sich da zu Beginn der knapp 120 Minuten durchaus dicht am Rande dokumentarischer Vollkommenheit. Nach mächtiger Vorstellungsrunde mäßig enthusiastischer Zeitzeugen, erleben wir den mäßig eloquenten Fußwerker beim mächtig emotionalen Abschiedsspiel, bevor mächtig misslungene Frisuren seiner Zweitkarriere zur mäßig erfolgreichen Erstkarriere des Oberbayern überleiten, der als Kind, kein Scherz, den späteren Weltstar Felix Neureuter mal auf Skiern besiegte.

Ja, Wahnsinn!

Dummerweise war genau das offenbar der ehrfürchtige Ausruf des Erstaunens, den die Macher von "SCHW31NS7EIGER" so oft im Kopf hatten, dass ihnen nicht nur beim Titel die Pferde durchgegangen sind. Denn je länger das Fernsehabbild eines fraglos außerordentlichen Spitzensportlers mit den Rückennummern 31 (lokal) und 7 (national) dauert, desto mehr entfernt es sich vom distanziert vielfältigen Filmporträt mit Überraschungseffekten in Richtung einer Jubelarie, die mit Rückgratlosigkeit noch freundlich umschrieben ist. Wobei wir beim eigentlichen Star des Films wären.

Hauptverantwortlich für "SCHW31NS7EIGER" ist nämlich einer, dem kaum zufällig nur die Mittelkombination aus Zahlen plus Ziffern im Namen fehlt: Til Schweiger. Und wenn der Donald Trump des hiesigen Massenentertainments im Hintergrund die Fäden zieht, kann sein überdimensioniertes Ego gar nicht anders, als sich ständig zum Bühnenrand vorzudrängeln. So stehen abgesehen von der Titelfigur drei Personen im Fokus dieser Dokumentation: Til Schweiger. Til Schweiger. Und Til Schweiger. Und das will schon was heißen.

Denn Schweiger wäre nicht Schweiger, würde seinem Ruf nicht flugs das Who-is-Who der behandelten Branche folgen. Neben Bastian-Til Schwei(nstei)ger sitzt also auch sonst nahezu alles vor Robert Bohrers Kamera, was hierzulande Fußballrang und -namen hat: Trainer wie Jogi Löw und Macher wie Uli Hoeneß, Vertraute wie Papa Schweinsteiger und Kollegen von Kahn über Klose bis hin zum sensationell jovialen Lukas Podolski. Gemeinsam verleihen sie dem unerschöpflichen Archivmaterial eine Mischung aus Glamour und Expertise, die ein Meilenstein des Genres sein könnte.

Schließlich bietet der Porträtierte alles, was Sport entgegen seiner Banalität bedeutsam macht. Aus bürgerlichen Verhältnissen eines lokalen Skiausrüsters zum globalen Star, ging es für den kleinen Basti auf dem steinigen Weg zum Ruhm zwar rasant bergauf; er vertrat sich dabei jedoch so oft die Gelenke, dass wenige Wochen vorm Weltmeistertitel ein Sturz ins Bodenlose näher lag als sein anschließender Gipfelsturm. Der talentierte Mr. Schweinsteiger, daran lassen Archiv und Interviews keinen Zweifel, verknüpfte das öffentliche Drama vom sympathischen Schmerzensmann früh mit den Fallstricken einer Branche, die Schwäche nicht duldet und dennoch dauernd zum Mythos aufbläht.

So kam es, wie es nicht nur, aber ganz besonders im Profifußball kommt: Ein obszön alimentierter Multimillionär, der im Monat mehr verdient als viele seiner Fans im Leben, der das vulgärkapitalistische Milliardenspiel ebenso unwidersprochen mitmacht wie Trainingslager in Diktaturen, der bei aller Freundlichkeit also das genaue Gegenteil von heroisch ist, dieser Bastian Schweinsteiger lässt sich auch hier wieder zum Volkshelden stilisieren. Ein Mythos, der nur die richtigen Jünger braucht, um ihm bedingungslos zu folgen. Jünger wie Til Schweiger.

Der Bayern-Fan aus Freiburg nämlich ist von einem sogar noch mehr ergriffen als sich selbst – eben Bastian Schweinsteiger, den er so unverkennbar anhimmelt, dass er es nun auch unablässig am Bildschirm tut und seinen Regisseur – bis dato eher durch Drogenmilieudokus bekannt geworden – zu einer Art Fanzine nötigt, das bis zur Selbstverblödung kritiklos mit Schweigers Lieblingsclub und dessen Lieblingsspieler umgeht. Dass man Fußballgöttern hier ausnahmslos zu huldigen hat, ist dabei allerdings nicht mal die größte Frechheit einer fußballhistorisch hochinteressanten Dokumentation. Schlimmer ist, dass "SCHW31NS7EIGER" andauernd Menschlichkeit suggeriert, wo nichts als Business ist und sich dazu dramaturgischer Mittel zwischen Pilcher und "Bunte" bedient.

Über Schweinsteigers massenmedial durchdrungene Celebrity-Ehe mit dem früheren Tennis-Star Ana Ivanović, der Robert Bohrer gefühlt ein Drittel seiner dokumentarischen Liebedienerei widmet, ergießt sich nämlich ein Geigenschleim, der jeden Anflug von Suspense verkleistert. Kein Schmerz, den Schweini erduldet, kein Tor, das er schießt, kein Kollege, der ihm huldigt ohne Klaviergeklimper im RTLzwei-Modus. Wer dagegen sieht, mit welch konstruktiver Entfernung die Netflix-Serie "The Last Dance" gerade der Basketball-Legende Michael Jordan begegnet, dem wird ganz schwummerig vor Fremdscham. Bastian Schweinsteiger, definitiv einer der Größten seines Berufes, hätte mehr verdient als SCHW(31NS7)EIGER.