Normal zu sein, ist mitunter hart und steinig. Die Reallöhne sinken, der Wohlstand verwittert, das einzige was verlässlich steigt, sind Mieten, Preise, Frustration. Wie angenehm wäre es da, so viel Platz, Mittel, Zeit und Hilfe zu haben wie die Lindemanns. Weil sie seit 100 Jahren erfolgreich Autos bauen, spielt Geld in deren Familie nämlich keine Rolle. Bei den Lindemanns hängen alte Meister im Schloss, bei den Lindemanns servieren Diener das Frühstück, bei den Lindemanns steht ein Fuhrpark im Keller und natürlich sitzen bei den Lindemanns Chauffeure am Steuer – wenngleich sie ihr Arbeitgeber gerade arbeitslos macht: um ihren Wohlstand weiter zu mehren, plant Konzernchef Benedikt Lindemann das führerlose Auto der Zukunft.

Spätestens an diesem Punkt des ZDFneo-Sechsteilers "Breaking Even" allerdings wirkt das schwelgerische Leben der oberen Zehntausend für Ottonormalverbraucher etwas weniger beneidenswert. Als die Tochter des CEO mit dem Prototyp des "Lind1" eine Radfahrerin tötet, zeigt sich mit jeder Serienminute mehr, wie unangenehm der Alltag ein paar Hundert Gehaltsstufen unterhalb des Geldadels trotz aller Probleme sein kann – öffnet der Unfall doch ein neofeudales Pandämonium, das man selbst mit Miesen auf dem Konto nicht bewohnen möchte.

Nachdem die Verantwortlichen das Opfer dank ihrer Beziehungen zur Täterin gestempelt haben, intrigieren Mütter gegen Söhne, Kinder gegen Väter, Untergebene gegen Vorgesetzte und umgekehrt, bis sich die Palastbalken biegen. Crashfahrerin Charlotte (Laura Berlin) ist schließlich ein psychisch fragiler Junkie, ihr Onkel Max (David Rott) ein machtgeiler Playboy, dessen Nichte Victoria (Sandra Borgmann) ein weltentrücktes Medium, während der gefallene Enkel Konstantin (Rafael Gareisen) Papa Benedikt (Justus von Dohnányi) sogar noch mehr verachtet als den Rest seiner Sippschaft.

Wenn sie alle trotzdem allabendlich mit Patriarchin Leonore (Nicole Heesters) dinieren, erinnert das Hauen und Stechen der Lindemanns folglich an die Tafelrunden von Dallas, bei denen ein entrüsteter Abgang ebenso zum texanischen Tonfall gehörte wie Bobby Ewings Keilereien mit J.R. oder Bourbon zum Mittag. Kein Wunder also, dass Nora Shaheen (Lorna Ishema) angesichts dieser Abgründe von "Wohlstandsverwahrlosung" spricht. Für kein Geld der Welt, das wird auch der Lindemann-Justiziarin bald klar, will man Teil dieser sozial degenerierten Bande sein.

Breaking Even © ZDF/Philipp Rathmer Jenny (Sinje Irslinger), Nora Shaheen (Lorna Ishema)

Während sie die Unfallfolgen so zu glätten versucht, dass kein Makel am Auto der Zukunft hängen bleibt, stößt Nora nämlich auf einen Sumpf aus Lügen, Rache, Hass und Verbrechen, gar Mord, der sie zur Öko-Aktivistin Jenny (Sinje Irslinger) führt, die noch eine Rechnung offen hat mit den Lindemanns. Alles ist also irrsinnig dick aufgetragen und reiht sich damit nahtlos ein in den Kanon deutscher Fernsehfiktionen vom "großen Bellheim" über Wagners, Krupps und Faber-Castells bis hin zum "Erbe der Guldenburgs". Dynastische Epen, die vor lauter Gravität gern mal ins Theatralische abgleiten.

Umso mehr ist hervorzuheben, was Regisseur und Headautor Boris Kunz aus der Milieustudie machen durfte. Denn anders als in öffentlich-rechtlichen Mehrteilern aus der Upper Class üblich, gelingt es "Breaking Even" locker, der leicht elitären Melodramatik Bodenhaftung zu verleihen. Hauptverantwortlich dafür sind die weiblichen Hauptfiguren vom Nebenkriegsschauplatz: der Politpunk Jenny, die früh erahnen lässt, dass sie den Lindemanns nicht nur aus linksautonomer Überzeugung ans Leder will. Und die Einser-Studentin Nora, deren Entlassung wegen Geheimnisverrats fatale Folgen für Familie und Firma Lindemann hat.

Erstere spielt die junge Kölnerin Sinje Irslinger mit einem glaubhaft jugendlichen Furor, an dem das hiesige Mehrgenerationenprogramm ansonsten verlässlich scheitert. Letzterer verleiht die gebürtige Lorna Ishema in aller Ruhe Selbstbewusstsein – und vollzieht nebenbei etwas, das hierzulande lange Zeit ausgeschlossen schien: trotz dunkler Hautfarbe ist Nora ein beruflich erfolgreiches, gut integriertes, aber nicht assimiliertes Mittelschichtkind ohne jeden Verweis auf Rassismus, Delinquenz, Armut oder Fluchterfahrung. Dass es die kurze Zeit der Arbeitslosigkeit mit Egoshootern vergeudet, macht ihre Authentizität nur noch eindrücklicher.

Wenn wir uns das pathetisch überfrachtete Staffelfinale also kurz wegdenken, in dem shakespearesche Kabalen, menschenfressende Greifvögel, überraschende Handlungssprünge wild durcheinandergehen wie im Bällebad von RTLzwei, hat es in der Geschichte wuchtiger Familiensagas selten welche gegeben, die wirtschaftsfeudalen Mystizismus und bürgerlichen Realismus so glaubhaft, unterhaltsam und spannend in Einklang gebracht haben wie "Breaking Even". Was übrigens "Gleichziehen" bedeutet. Ob der Unterschicht das im Ringen mit der oberen gelingt, könnte eine Fortsetzung zeigen. Der Cliffhanger deutet da so was an...

ZDFneo zeigt die sechsteilige Serie "Breaking Even" ab sofort immer mittwochs ab 20:15 Uhr in Doppelfolgen. Alle Episoden stehen ab 14.10. um 10 Uhr auch in der Mediathek online.