Die große Ochseninsel ist ein kleines Stück Himmel auf Erden. Vom Wasser der Flensburger Förde sanft umspült, liegen zwar nur wenige Kilometer Ostsee zwischen dieser dünn besiedelten Wildnis und der Zivilisation am anderen Ufer in Sichtweite. Auf kaum elf Hektar Einsamkeit wirkt sie jedoch wie Lichtjahre davon entfernt; das wissen auch zwei Fernsehfamilien zu schätzen, die das ZDF dort zu einer deutsch-dänischen Kommune vereinigt: Sabine und Bernd Küster nebst Charlie und Jakob Jensen, befreundet seit Jugendzeiten, gesegnet mit vier Teenagern von schwungvoller Lebenslust. Alles selig, alles sonnig auf Store Okseø.

Soweit die Vorspann-Idylle.

Denn bald darauf schon versinkt sie in einer Tragödie, die der Achtteiler schon im Titel führt: "Tod von Freunden". Eben noch hat die verschworene Inselgemeinschaft ihr fröhliches Spätsommerfest gefeiert, da verschwindet Bines Ältester beim Segeltörn mit Jakob. Anfangs in Trauer vereint, entzweien sich die Familien zügig über Kjells Verlust. Jeder gibt jedem die Schuld. Zweifel und Zwietracht spalten das Kollektiv. Garten Eden brennt lichterloh. Und als das Gestern unvermeidlich vom Morgen Besitz ergreift, taucht auch noch der verstoßene Jonas auf und sagt Bruder Jakob, was alle längst ahnen: "Euer Scheißparadies ist eine einzige Lüge". Es steht auf einem Sumpf aus Untreue, Verrat, Rache, Drogen, Hass, Gewalt, gar Inzest. Das volle Programm menschlicher Abgründe.

Nach eigenem Drehbuch knüpft der Epen-Experte Friedemann Fromm seiner prominenten Besetzung also wie gewohnt ein ebenso engmaschiges wie durchlässiges Handlungsnetz, in dem jeder Knoten zählt. "Wir hatten uns ein Paradies erschaffen, aber die Wahrheit kam wie ein Bumerang zurück", sagt Sabine (Katharina Schüttler) zu Beginn des ersten Teils düster in die Kamera, während Jakob (Thure Lindhardt) den zweiten mit "ich dachte immer, Freundschaft sei wichtiger als Wahrheit, aber Wahrheit ist wie ein schlafender Drache, der aus dem Nichts zuschlägt" eröffnet. In diesem Tonfall geht es weiter. Folge für Folge. Offenbarung für Offenbarung. Zwist für Zwist.

Kunstfertig biegt Fromm den Spannungsbogen hoch über glaubhaft verkörperte Emotionen. Souverän macht er aus Einzelschicksalen komplexe Milieustudien. Virtuos spielt der Autorenfilmer dafür mit Licht und Schatten, Mimik und Sound, Bühnenbild und Sprache. Wie in vielen seiner Werke ist auch dieser achtstündige Nachtmarsch durch Hirn und Herz vertrauter Fremdlinge auf gehobenem Niveau ausdrucksstark. Leider etwas zu ausdrucksstark! Weshalb man sich unterm Gewicht ständiger Bedeutung spätestens am Ende der zweiten Episode in Writers Rooms von HBO bis Showtime wünscht, die Trübsal nicht so zwanghaft schwarz schraffieren und Nebel, Sonne, Wolkenbruch als Wetterphänomene begreifen, keine Gefühlsverstärker.

Beim schwäbischen Lehrersohn Fromm dagegen, der mithalf, die hiesige Saga mit "Weissensee" auf Weltniveau zu heben, werden selbst banale Wesensregungen so in Assoziationsketten verwickelt, bis sie zur lückenlosen Psychoanalyse chronisch außergewöhnlicher Charaktere taugen. Weil deutsche Unterhaltung gern Bruchbuden oder Luxusvillen möbliert, muss Katharina Schüttlers passiv aggressive Hauptfigur demnach Tanzchoreografin mit politisch aufgeladener Historie sein, deren Mann (Jan Josef Liefers) mit Nachbarin Charlie (Lena Maria Christensen) New Yorker Megaimmobilien baut. Dass auch die Kids dieser Provinzbohemiens bis auf den autistischen Karl (Anton Petzold) urbane Influencer sind, versteht sich da von selbst.

Schließlich leben sie in Elternhäusern, denen hierzulande drei Elemente fiktional fast nie fehlen: überbehütende Frauen, die an ihrer Mutterschaft leiden, aber auch wachsen. Unterbehütende Männer, die an ihrer Karriere wachsen, aber auch leiden. Dazu (meist männliche) Verwandte, die nach langer Abwesenheit auftauchen, tradierte Abstammungslinien infrage stellen und somit dunkle Erinnerungen ans Licht zerren, was Friedemann Fromm in ständigen Flashbacks illustriert. In seiner klischeehaften Diversität überzeichnet er sein Personal zudem so, dass (Achtung, wir sind hier in Dänemark!) ein Märchenbuch von Hans-Christian Andersen auf dem Nachttisch der deutschen Sabine liegt, die sich ständig ostentativ ihre (Achtung: inhaltsrelevante Verletzung!) OP-Narbe am Knie reibt.

In dieser Flut plakativer Dampfhammerdetails für Begriffsstutzige erzeugt Fromms latenter Konservatismus einer weiblichen Hauptfigur mit gefühlt 15 Jahre älterem Ehemann und Gören, die sie CSU-konform mit Anfang 20 gekriegt haben muss, da längst nur noch liberales Achselzucken. Umso erstaunlicher ist es, mit welcher Inbrunst die Darstellerinnen und Darsteller gegen den Holzschnitt anspielen. Dank ihrer glaubhaften Verzweiflung – allen voran die Verzweiflungsvirtuosin Katharina Schüttler – wird "Tod von Freunden" immerhin zum energiegeladenen Kammerspiel, in dem Dänen sogar Dänisch reden, anstatt wie üblich übersetzt zu werden.

Wer es also schafft, an der bedeutungsschwanger dräuenden Musik von Stefan Mertin und Mirko Michalzik vorbei über die aufdringliche Ästhetik hinwegzusehen und vier Sonntage nach dem "heute-journal" noch derart schwere Kost verdauen kann, kriegt also durchaus wuchtige Unterhaltung frei Haus. Wer hingegen findet, dass Paradiese auch mit etwas weniger Pathos zum Auszug einladen, wird bei Netflix – mal abgesehen von "Dark" – wohl eher fündig als auf dem Krimi-Platz des ZDF.

Das ZDF zeigt "Tod von Freunden" ab dem 7. Februar immer sonntags um 22:15 Uhr