Der Sinn des Lebens – die Frage ist bekanntlich ebenso dringlich wie schwer zu beantworten. Auch Tilo Neumann setzt daher eine Erkenntnisstufe niedriger an. "Was habt ihr bei mir gelernt", fragt der 50-jährige Deutschlehrer kurz vorm Abitur seinen Grundkurs und erntet lautes Schweigen. "Es kann auch irgendwas sein, das ich nur so nebenbei gesagt habe", fleht er in die Stille hinein, der erst das Pausenläuten ein Ende bereitet. So sieht sie aus: die traurige Existenz der Titelfigur einer TVNow-Serie mit dem Zusatz "und das Universum".

Aus der nämlich erhält der geschiedene Alkoholiker Beistand, als sein Dasein im suizidalen Vollrausch zu enden scheint. Nachdem Tilo Neumann erfährt, dass seine Exfrau mit einem Esoterik-Influencer zusammen ist, schießt er sich mit Schnaps, Trips und dem Schweinerock seiner Jugend final die Lichter aus. Das gleißende Weiß im vermeintlichen Jenseits erweist sich allerdings nur als Nahtoderfahrung, während der ihm eine Frauenstimme anbietet: "Für jeden Menschen, dem du hilfst, helfe ich dir. Deal?"

Deal! Denn als er im Chaos seiner Junggesellenwohnung aufwacht und zwei Beweiswunder der himmlischen Übereinkunft erleben darf, bekommt sein Leben wieder einen Sinn. Zumindest vorübergehend. Anders als vereinbart, sitzt er 23 Monate später nämlich nicht im warmen Sessel einer sorglosen Existenz und alles ist wieder gut, sondern stinkbesoffen auf einer Parkbank und pöbelt die Welt dafür an. Warum genau, das zeigen die weiteren Folgen der achtteiligen Dramedy.

Wie fast immer nämlich, wenn Christoph Maria Herbst von der Partie ist, geht es auch hier ums letzte Gefecht tradierter Männlichkeit. Nur dass ihm die Fügung nach verlorener Schlacht am Ende der ersten 22 Minuten noch mehr letzte Chancen zur Lösung seiner Probleme bietet. Wer die neueste Hauptfigur des geborenen Bernd Stromberg an der Emanzipation zerschellen sieht, könnte sich da an den Hollywood-Klassiker "Der Himmel soll warten" erinnert fühlen. Ein Footballstar wird darin irrtümlich ins Paradies berufen, dank der Korrektur des göttlichen Fehlers jedoch reanimiert – wenngleich im Körper des damaligen Sexsymbols Warren Beatty.

Tilo Neumann und das Universum © TVNOW/Network Movie Film- und Fernsehproduktion GmbH/Martin Valentin Menke

Dummerweise kehrt Tilo Neumann jedoch in Christoph Maria Herbsts bevorzugtem TV-Look zurück ins Leben: Ein Mann mit Midlifecrisis, Haarausfall, Profilneurosen und Jugendfreund zum Biertrinken, der nach seiner Scheidung einen Sportwagen kauft, gegen den Baum fährt und mit keinem darüber redet. Fühlten sich selbst solche Typen in Warren Beattys Blütezeit anno 1978 als Herren der Schöpfung, sind sie im Zeitalter von Annalena Baerbock und Alexander Gauland bestenfalls deren Karikatur.

Aus Unterhaltungsperspektive mag Tilo Neumann demnach eine tragikomische Filmgestalt im Humorkosmos fiktionaler Fernsehzauberei sein. Aus soziokultureller Sicht hört ein selbstgerechtes Prachtexemplar des alten weißen CIS-Mannes Stimmen des Abgesangs auf die eigene Vergänglichkeit. Und der verleiht Elena Uhlig nicht nur einen angebracht sarkastischen Tonfall, sie liefert den gesprochenen Soundtrack der #MeToo-Bewegung. Für ein Format von Sonja Schönemann, die mit "Rentnercops" oder "Sekretärinnen" eher am unteren Rand cineastischer Tiefgründigkeit tätig war, mag das ein bisschen überinterpretiert wirken.

Unter der Regie von Julian Pörksen aber, dem wir die originelle Großstadtstudie "Aus dem Tagebuch eines Uber-Fahrers" verdanken, lässt Tilo Neumann durchaus Raum für philosophische Gedanken. Es bleibt nämlich nicht beim "kleinen Menschenhelfen", mit dem die Stimme ihren Vertragspartner beauftragt: hier Rentnern über die Straße helfen, dort Touristen den Weg erklären. Selbstverständlichkeiten des zivilen Miteinanders, für die es im Gegenzug mal ein Brötchen extra beim Bäcker gibt, mal einen Geldgewinn in Höhe der nächsten Schuldenrate; selbst sein eingeweihter Freund Siggi (Ronald Kukulies) ist gelangweilt von einem Pakt, der zur Routine wird.

Im Lauf der Serie muss Tilo Neumann daher dickere Bretter bohren. Wenn er seiner Ex-Frau Jana (Christina Große) oder imponierend glaubhaft: Hannah Schiller als gemeinsame Teenie-Tochter Alice das Leben erleichtert, geht es aber vor allem um einen: Tilo Neumann persönlich. Seine Unfähigkeit, Willen in Handeln zu verwandeln, Gedanken in Worte und Dasein in Leben. Dieser Prozess der Self-Awareness wird zwar mitunter leicht küchenpsychologisch verhandelt. Das Gefasel vom Leben, in dem es nur Schicksal, keinen Zufall gäbe, klingt zudem arg nach Lifestyle-Magazin für die achtsame Frau ab 45.

Das ändert aber nichts daran, wie gescheit und geistreich die Serie ein ernstes Problem amüsant macht, dessen Lösung womöglich alle Menschheitssorgen verkleinert: die Sprachlosigkeit des Mannes, sein destruktiver Hang, alles still in sich hineinzufressen und irgendwann abrupt zu erbrechen. Auch deshalb sehen wir diesem hier häufig beim Erbrechen zu – übersättigt von Alkohol, Drogen und Selbstmitleid, von Engstirnigkeit, Egoismus und fettem Fleisch. Obwohl sich bei Herbst abermals heimlich der Stromberg unter den Neumann mogelt, wird sein verwittertes Alphatier auf der Suche nach dem Sinn des Lebens glaubhaft. Und zwischen allerlei Slapstick und Pointen sogar ab und an lehrreich.

"Tilo Neumann und das Universum" steht ab dem 22. April bei TVNow Premium zum Abruf bereit.