Homosexualität ist trotz bunter Fähnchen und Pixel auf Torwartarmen und Fußballarenen von vorbehaltloser Akzeptanz in etwa so weit entfernt wie Sat.1 von einem Nachmittagsprogramm ohne Blaulicht, also auch in Film und Fernsehen: Lichtjahre. Das gilt für schwule Männer, deren Bildschirmpräsenz seit der Hollywood-Hochglanzserie "Queer as Folk" vor 21 Jahren fast fortwährend gestiegen war; mehr aber noch gilt es für lesbische Frauen, deren Bildschirmpräsenz auch nach der anschließenden Hochglanzserie "The L Word" weit langsamer wuchs als zwischendurch erwartet.

Eine Mattglanzserie wie "Loving her", die heute mit dem gleichgeschlechtlichen Liebesleben einer sexuell aktiven Berlinerin in der ZDF-Mediathek startet, schien daher lange Zeit jenseits des Erwartbaren. Doch der Reihe nach. Vor knapp drei Jahren schaffte es auch die weibliche Form der Homosexualität einigermaßen klischeefrei aus den Schmuddelecken der Pornografie, wo sie seit jeher heterosexuelle (Männer)Lust befriedigt, an die Ränder der Massenmedien. Damals zeigte das öffentlich-rechtliche Online-Portal funk "Straight Familiy", in der die lesbische Hauptfigur ein queeres Café gründet und zwar wie immer im queeren Umfeld vergleichsweise schick ist, für Großstadtverhältnisse aber relativ normal.

Ausgerechnet während der Pandemie hagelte es dann anschließend von "Feel Good" (Netflix) über "Hightown" (Starzplay) bis hin zur bittersüßen LGBTQI-Selbstermächtigung "Work in Progress" (Showtime) von und mit der Standup-Komikerin Abby McEnany reihenweise Sexualität unter XX-Chromosomen fernab konservativer Stereotype, die vom historischen Sky-Biopic "Gentleman Jack" sogar rückwirkend perforiert wurden. Fast 30 Jahre nach dem Coming-Out des "Lindenstraßen"-Geschöpfs Tanja Schildknecht, schwimmen Girls ohne Crush auf Boys damit derart zentral im Mainstream der Mehrheitsgesellschaft, dass die Seitenarme abschätziger Fremdbeobachtung langsam austrocknen.

Und damit zurück nach Deutschland.

Denn zwei Monate, nachdem die ARD ihr Serienjuwel "All You Need" praktisch ausnahmslos schwul besetzt hatte, besteht das Hauptpersonal der sechs kurze Folgen umfassenden ZDF-Serie "Loving her"  praktisch ausnahmslos aus Lesben. Im Mittelpunkt befindet sich die feierfreudige Langzeitstudentin Hanna (Banafshe Hourmazdi), der zu Beginn ihre Ex Franzi (Lena Klenke) mit neuer Freundin (Jasmin Loreen Besemer) über den Weg läuft. Nach dem Abi hatten sich beide mangels kompatibler Freizeitgestaltung mehr oder weniger einvernehmlich getrennt, wie wir anschließend erfahren. Im Rückblick nun bandelt Hanna pro Folge mit einer weiteren Hauptstadtschönheit an, die den bestimmten Artikel des Serientitels jeweils vornamentlich ersetzt.

Loving Her © ZDF/Marcus Glahn Hanna (Banafshe Hourmazdi, 2.v.r.) hat endlich ihren Abschluss in der Tasche. Das feiert sie mit ihrer Freundin Sarah (Soma Pysall, r.) und ihren beiden Mitbewohnern Tobi (Leonard Kunz, l.) und Holly (Bineta Hansen, 2.v.l.).

"Loving Lara" zum Beispiel treibt sie in die Arme einer faszinierenden Partymaus (Emma Drogunova), die allerdings sogar für Hannas Geschmack zu flatterhaft ist. "Loving Anouk" treibt sie in die Arme einer coolen Künstlerin (Larissa Sira Herden), die jedoch gar keine Beziehung will. "Loving Josephine" treibt sie in die Arme einer wesentlich älteren Verlagsleiterin (Karin Hanczewski), die ihrer Praktikantin wiederum zu sehr klammert. Und nachdem "Loving Sarah" sie ebenso erfolglos in die Arme einer sexuell indifferenten Kommilitonin (Soma Pysall) getrieben hat, trifft die Hauptfigur in "Loving Hanna" (endlich) Franzi wieder und damit ein Stück weit sich selbst.

Einigermaßen stabile Felsen in der unablässigen Brandung dieser emotionalen Achterbahnfahrt, sind allein ihre zwei Mitbewohner und damit der einzige – zudem auch noch heterosexuelle – Mann von Belang dieses weiblich dominierten Liebesreigens. Ein Whirlpool der Gefühle, in dem Hanna jede Frau, die ihr schöne Augen macht, ausdrücklich "hot" findet und trotzdem nach spätestens zehn Minuten jeder Folge verlässlich im Eistrog abgekühlter Erwartungen landet. Was Regisseurin Leonie Krippendorff sich da gemeinsam mit Marlene Melchior ins Drehbuch raspelkurzer Episoden geschrieben hat, scheint also ein modernes Hipster-Märchen bindungsgestörter Großstadtgewächse auf der Suche nach Nestwärme zu sein, mit dem gerade Nischen-Kanäle und Streamingdienste zurzeit Quote machen.

Dass die Hauptcharaktere hier allesamt lesbisch und dennoch – pardon: ziemlich "normal" sind, gibt der Serie indes eine ganz andere, zutiefst emanzipative Wendung. Es mögen zwar durchweg viel zu heiße Frauen mit viel zu tollen Körpern in viel zu großen Wohnungen sein. Doch die enorme Bandbreite von Hannas Freundinnen erweitert das bürgerliche Zerrbild homosexueller Typologien um maximal diverse Lesben, die sich der Durchschnittshetero im Traum kaum vorstellen könnte. Von spießig über derbe bis ganz schön gewöhnlich ist alles dabei, aber nichts davon definiert sich allein über die sexuelle Präferenz.

Und so erzählt eine "Instant-Serie", die das ZDF zunächst online zeigt und wenig später auchin ZDFneo, sechsmal zwölf Minuten deutsche LGBTQI-Normalität, ohne deren Außergewöhnlichkeit zu verleugnen. Vielleicht sollte die Stadt München beim nächsten Länderspiel einer rechtspopulistischen Autokratie in München also "Loving her" auf ihre Allianz-Arena projizieren. Das wäre noch abwechslungsreicher als Regenbogenfarben und bei aller emanzipativen Wucht ganz schön unterhaltsam.

Alle sechs nur rund zehnminütigen Folgen von "Loving her" stehen ab sofort in der ZDF-Mediathek zum Abruf bereit, ZDFneo strahlt sie am Samstag, 3. Juli ab 21:40 Uhr in einem Rutsch aus.