"Ich habe es doch so gesagt." Claude Schmit hatte eine Souveränität im Umgang mit der Presse, die nicht vielen Führungskräften in der Fernsehwelt vergönnt ist, die im Nachhinein oft von der eigenen Offenherzigkeit überrascht und vom Respekt vorm eigenen Wort ergriffen werden. Der Geschäftsführer von Super RTL, wie wir das Unternehmen im Folgenden mal nennen wollen, gab sich hingegen irritiert, wenn man als Journalist bei nächster Gelegenheit anmerkte, wie überrascht man war, dass eigentlich alle Formulierungen eines Interviews auch nach der Freigabe erhalten blieben. 

Im positiven Sinne wirkte der gebürtige Luxemburger, der jetzt nach 22 Jahren als dienstältester Senderchef im deutschen Fernsehen seinen Posten räumt, wie aus der Zeit gefallen. Im Zeitalter der Manager trat er immer wieder auf wie ein Unternehmer, nahm sich Freiheiten heraus, die ihm die Gesellschafter zugestanden, weil er am Jahresende verlässlich Gewinne überwies. Die Patt-Situation zwischen Disney und RTL, die bis vor kurzem beide jeweils exakt 50 Prozent am Unternehmen hielten, sorgte mehr als zwei Jahrzehnte für Gestaltungsspielraum.

Claude Schmit © imago / Teutopress Claude Schmit, 2000: Gerade Senderchef geworden

Nachdem Claude Schmit 1999 die Führung des Senders übernahm, führte das Unternehmen keine zwei Jahre später die Programmmarke Toggo ein, was sich rückblickend als die wichtigste Entscheidung der Unternehmensgeschichte entpuppen sollte - war es doch die dringend benötigte Marke für die angepeilte Zielgruppe, für die der ohnehin irreführende Name Super RTL zu sperrig war. Die Kids gewöhnten sich an Toggo und Toggolino, was später diverse Geschäftsfelder ermöglichte. Nickelodeon war damals nicht on air in Deutschland, nur der öffentlich-rechtliche Kinderkanal ein Konkurrent aus programmlicher Sicht. Werbekunden, die Kinder erreichen wollten, kamen um Super RTL nicht herum.

Und Claude Schmit - als Chef des kommerziellen Kinderfernsehens - hatte keine Angst vor der Höhle der Löwen. Beim Grimme-Institut in Marl auf der Bühne zu sitzen und gegenüber einem skeptischen Fachpublikum kommerzielles Programm für Kids zu verteidigen, gar den Wert zu betonen - das ist ein Kampf, den man kämpfen wollen muss. Schmit machte in Marl, wie auch sonst, keinen Hehl daraus, dass seine Aufgabe natürlich darin besteht, zunächst einmal Geld zu verdienen. Mit Disney als Gesellschafter schwang unweigerlich immer ein bisschen diese unheimliche Globalisierung mit, wenn über den Kölner Sender diskutiert wurde.

Geschäftszahlen hatte er übrigens immer parat, scheute auch nicht sie zu nennen. In einer Welt der großen Konzerne, in der man zunehmend vage blieb, hatte Schmit kein Problem damit, Erfolg auch in Zahlen zu benennen. Und wenn jemand nach noch mehr Details fragte, aber die Mediengruppe RTL Deutschland es als der aktivere Gesellschafter und unmittelbare Nachbar in Köln-Deutz nicht ganz so gerne sah, wenn unnötig konkrete Zahlen bestätigt wurden, erinnerte Schmit gerne mal „so ganz grundsätzlich“ daran, dass Jahresabschlüsse vieler Firmen ja im Internet abrufbar sein sollen. Hätte er gehört, fügte er mit schelmischen Grinsen an.

"It's nice to be the president"

Am eigenen Programm hatte er Spaß, schüttelte die Hände wo es nötig war und pflegte persönlich auch internationale Kontakte. Doch die detaillierte Programmarbeit, das war nicht seins. "It's nice to be the president" ist eines der geflügten Worte, welches bei ihm häufig fiel. Verbunden mit einem Lachen. Gemeint war: Dafür hatte er ein starkes Team um sich, dem er vertraute und es walten ließ. Da muss der Chef nicht überall seine Finger im Spiel haben. Finale Kontrolle behielt er natürlich, war aber bei seinen flotten Freigaben im Sender bekannt für die knappsten eMails: "OK, MFG CS".

Frei von Sorgen war Super RTL in den 22 Jahren unter Schmit nicht. Eine Dauer-Baustelle blieb über viele Jahre das Primetime-Programm, wo sich der Sender mehrfach neu erfinden musste. Doch es fehlte lange das Rezept, um mit einem Sender, der sich tagsüber unter der Marke Toggo an die Kinder wendet, am Abend ein erwachsenes Publikum für sich zu gewinnen. Selbst recht spektakuläre Serien-Deals wie etwa die Deutschland-Premieren der damals gefeierten Musical-Serie "Glee" oder des Shonda-Rhimes-Hits "Scandal" floppten.

Und dann fiel Schmit und seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern auch noch der eigene Gesellschafter in den Rücken: Der Erwerb des glücklosen Fernsehsenders Das Vierte durch die Walt Disney Company im Herbst 2012 und der Wechsel des Disney Channels 2014 ins Free-TV, waren eine Kampfansage. Nicht nur um die Gunst bei den Kids, zunächst einmal auch um die Programminhalte. Bisher gut ausgestattet mit Disney-Programmen galt jetzt: „Rolle rückwärts, wir können auch ohne Disney.“ In Jeffrey Katzenbergs Dreamworks Animation sah man zwischenzeitlich einen Versorgungspartner für die Zukunft, doch die Liebe währte kürzer als erhofft.

Schmit Katzenberg © DWDL.de Claude Schmit und Jeffrey Katzenberg in 2013: Ein Deal gegen Disney

Auf die beruflichen Herausforderungen folgten Jahre mit privaten Schicksalsschlägen. Ein Ritual, mit dem sich der kleine Fernsehsender und seine Unternehmenssprecherin Sabine Kreft einmal im Jahr die ungeteilte Aufmerksamkeit von Fachjournalistinnen und -journalisten sicherten, war das Gänseessen, zu dem Geschäftsführer Claude Schmit jeden November in seine Villa im Kölner Westen einlud. Auf eine Präsentation zu kommenden Plänen folgte ein Austausch am großen Esstisch. Bei einem dieser Gänseessen im November 2014 ahnte jedoch niemand am Tisch, dass der Hausherr nur wenige Stunden später - am nächsten Morgen - zu einer geplanten, durchaus lebensbedrohlichen Operation ins Krankenhaus ging. Einige Monate zog Schmit sich daraufhin aus dem Geschäft zurück.

Gerade erholt davon, folgte ein Unfall - doch auch von dem kämpfte sich Schmit über die Jahre wieder zurück. Er suchte den Kampf, immer und immer wieder. Nicht nur persönlich. Als das Internet vor zwanzig Jahren erwachsen wurde, eroberte Super RTL mit kostenpflichtigen Club-Angeboten das Netz und das so erfolgreich, dass Bertelsmann später ein eingekauftes eLearning-Start-Up bei Super RTL ansiedelte, weil man dort die Kompetenzen sah. Schon 2002 etablierte Super RTL den "Toggolino Club" als Paid-Content-Angebot, später folgte der "Toggo Clever Club". Schmit war mutmaßlich der erste deutsche Senderchef, der im Netz Geld verdiente, auch wenn man im aufkommenden Zeitalter von Social Media und immer mehr Gratis-Angeboten später nicht mehr Schritt halten konnte.

Robustes Kerngeschäft verzieh manchen Flop

Überschaubare Abenteuer scheute Schmit auch danach nicht. Ob die Primetime-Sorgen teure Investionen nötig machten, Disney den Kampf ansagte oder auch SVoD-Portale das Wasser abzugraben drohten: Mit den stabilen Gewinnen wurde hier und da was ausprobiert. Vieles davon klappte letztlich nicht. Kividoo war beispielsweise der Versuch ein eigenes Kinder-SVoD-Angebot auf die Beine zu stellen - bewusst unter einer neuen Kunstmarke, um möglicherweise auch andere Partner an Bord zu holen.

Rückblickend ein bisschen größenwahnsinig, aber ein spannendes Experiment. Dann wurde eine enorme App-Offensive angekündigt, die aus dem Fernsehsender einen "Content Hub" machen sollte. Kaum eine der App-Ideen zündete jedoch. Glücklich für Super RTL, dass dies kaum auffiel. Zu erfolgreich war und ist dann doch noch immer das Kerngeschäft des Broadcastings, das 2020 um Radio ergänzt wurde. Die klare Marktführerschaft im Kinderfernsehen blieb das wichtigste Pfund, mit dem man wucherte. Dazu kam zuletzt ein stetiger Ausbau des lukrativen Lizenzgeschäfts, selbst für Marken von Wettbewerber Viacom („Spongebob“, „Paw Patrol“).

Ausgerechnet im Krisenjahr 2020 erklärte Claude Schmit übrigens schon im April, noch mitten im ersten Lockdown, selbstbewusst: Ein Jahr ohne Gewinn sei für ihn keine Option. Was für ein Statement. "In Krisenzeiten zeigt es sich, wie gut jemand wirtschaften kann. Jetzt ist es Herausforderung und Verantwortung", sagte Schmit. Wieder so eine ungewöhnlich offenherzige Ansage. Man spürte in Gesprächen immer wieder den Stolz auf das Erreichte in diesem gallischen Dorf des deutschen Fernsehens.

Ein Umstand, den Schmit über Jahre hinweg mit seinen Mitarbeitenden feierte, wie man es sonst von keinem Sender kennt: Mit der gesamten Belegschaft, abzüglich weniger, die den Sendebetrieb sichern sollten, ging es da für ein Wochenende u.a. nach Barcelona, Mallorca oder Paris. Das besondere Betriebsklima sei ihm zu verdanken, sagen viele im Sender. Nicht nur weil er feiern ließ und feierte. Auch weil er bei diesen Fahrten im Zweifel selbst dann für eine Mitarbeiterin als Dolmetscher über Nacht im Krankenhaus bleibt, selbst wenn es sein eigener Geburtstag ist. Schmit vermittelte oft ein ausgeprägtes Anstandsgefühl. Alte Schule, würde man heute sagen.

In jenem DWDL.de-Interview im April 2020, zum 25. Geburtstag des Senders, sagte der damals 59-jährige Claude Schmit zu seiner Perspektive im Unternehmen übrigens: "Ich will meinen Job hier richtig zu Ende bringen." Spätestens seit November letzten Jahres war dann auch klar, dass Thorsten Braun der Kronprinz ist. Mit der vollständigen Übernahme des Senders durch die Mediengruppe RTL Deutschland wurde daher erwartbar, dass sich die aktive Zeit des Claude Schmit bei Super RTL dem Ende nähern wird. Es sind nicht die Kämpfe, die Schmit scheut. Es ist eine Konzernstruktur, die er, der mehr als zwei Jahrzehnte wie ein Unternehmer agierte, sich nicht mehr antun will und muss. Braun kennt sich damit aus: Er hat die Disney-Schule hinter sich.