Kinder sind die besseren Antwort-Entgegennehmer

Wenn man sich TV-Momente in Erinnerung ruft, die aus diesem Wahlkampf in Erinnerung blieben, dann stellt man fest: Erstaunlich häufig entstanden sie unter Mitwirkung von Kindern. Wer sonst hätte aus der AfD-Forderung, in der Schule sollten mehr deutsche Gedichte gelehrt werden, besser die Luft herauslassen können als der ZDF-Kinderreporter, auf dessen Nachfrage AfD-Chef Chrupalla kein einziges Gedicht nennen konnte. Klar, wenn Armin Laschet beim Tanzen des Fliegerlieds in "Kannste Kanzleramt?" ziemlich unbeholfen aussieht, dann ist das eher unterhaltsam als erhellend mit Blick auf die Wahlentscheidung, doch das Format bestand ja auch daraus, dass die Kinder zahlreiche wichtige Themen ansprechen konnten. Und obwohl die Fragen nicht ausgeklügelter gestellt waren als von Journalistinnen und Journalisten, hatten sie doch eine andere Wirkung.

Statt ihre im Wahlkampf schon hundertfach geäußerten Standardsätze abzusondern, galt es für Baerbock, Scholz und Laschet, die Antwort so einfach und kindgerecht aufzubereiten, dass die sonst so beliebte Ausweichtaktik, mit der gar nicht auf die eigentliche Frage eingegangen wird, schon wesentlich schwerer durchzuhalten war. Kinder mögen also vielleicht nicht unbedingt die besseren Fragesteller sein, sie sind aber in vielen Fällen die besseren Antwort-Entgegennehmer, weil sie die beiden Kandidaten und die Kandidatin zu mehr Klarheit zwingen als man das sonst gewohnt ist. Und man kann sich sicher sein: Wenn's die 10-Jährigen verstanden haben, dann vermutlich auch die meisten Erwachsenen vor dem Fernseher, die vom üblichen Polit-Sprech sonst auch nicht selten überfordert sind. Denn auch wenn es nicht auf alle komplexen Fragen eine einfache Antwort gibt: Den Kern der Aussage kann man immer kindgerecht aufbereiten.

Diese Erkenntnis gilt auch für die besonders stark diskutierte Reihe "Kinder fragen Kanzler:innen" aus "Late Night Berlin". "Unfair!" schallte es da aus dem Umfeld der Kandidaten, weil die Fragen und hartnäckigen Nachfragen offensichtlich unter kräftiger Mithilfe von Erwachsenen entstanden und Romeo und Pauline einen Knopf im Ohr hatten. Armin Laschet mag nicht damit gerechnet haben, dass sie so hartnäckig nach seiner Haltung zu Hans-Georg Maßen nachfragen und Olaf Scholz auch nicht damit, dass er sagen sollte, ob Putin nun ein Mörder ist - doch die Fragen wurden ihnen in etwas anderer Form ja auch schon von Erwachsenen zigfach gestellt. Sitzt man Kindern gegenüber, fällt der Versuch, sich aus einer Antwort herauszuwinden, nur um so deutlicher auf.

Das neu entflammte Polit-Interesse von ProSiebenSat.1 war ein Gewinn für diesen TV-Wahlkampf

Während ARD und ZDF in Sachen TV-Wahlkampf ihre Pläne im Wesentlichen auf Wiedervorlage legen konnten und auch RTL vor allem die bewährten Formaten an den Start brachte, war es vor allem Seven.One Entertainment, das für frischen Wind sorgte. Klar, beim "TV-Duell" war man schon immer dabei und auch Formate wie die "TV Total Bundestagswahl" gab's früher - doch so große Lust auf Polit-Fernsehen wie in diesem Jahr hatte man aus Unterföhring bislang nicht gekannt. Und das tat dem gesamten TV-Wahlkampf gut.

Nicht nur, dass das letzte "TV-Triell" auf ProSieben, Sat.1 und Kabel Eins gemeinsam mit dem von RTL deutlich besser war, als das, was die Öffentlich-Rechtlichen mit ihrem mit sich selbst kämpfenden Moderationsduo boten, dazu kamen auch neue Formate, die man so noch nicht gesehen hatte. "Kannste Kanzleramt?" gehörte natürlich dazu, eine positive Überraschung war aber vor allem auch Louis Klamroths "Bundestagswahlshow", die nicht nur gut aussah, sondern auch durch kluge Nachfragen, eine temporeiche und abwechslungsreiche Präsentation und eine gute Auswahl der Fragenden aus dem Publikum überzeugte.

Schon die Premiere mit Annalena Baerbock sorgte für ungewöhnliche Momente, etwa dann, als die Grünen-Chefin mit ihrem ehemaligen Chef, einem Bäckermeister, konfrontiert wurde und diesem erklären sollte, wie sich ein steigender Mindestlohn in seinem Betrieb umsetzen lassen solle. Baerbocks Antwort schien den Mann nicht wirklich zu überzeugen. Und während sich Klamroth am stets im Ungefähren bleibenden Olaf Scholz ein wenig die Zähne ausbiss, folgte an diesem Mittwoch noch das eigentliche Highlight.

In der dritten "Bundestagswahlshow" gehörte die Bühne besonderen Bürgerinnen und Bürgern, während zwölf Vertreterinnen und Vertreter der Parteien im Halbkreis vor eben diesen saßen und entweder zuhörten oder auf gestellte Forderungen reagierten. Themen wie die Situation im Flüchtlingslager in Moria oder die Lage von Obdachlosen in Deutschland, die sich nicht selten massiver Gewalt ausgesetzt sehen, waren zuvor im TV-Wahlkampf kaum bis gar nicht angesprochen worden. So intensiv wie diese 95 Minuten war eine Wahlsendung schon lange nicht mehr. Fast schon schade, dass einige Parteien, die Union etwa mit Philipp Amthor und Wiebke Winter, einzig die junge Garde statt zusätzlich auch die oberste Parteispitze schickten.

Es gibt mehr als drei: Die Kleinen kamen zu kurz

In den letzten Wochen war es ein bisschen wie im Märchen mit dem Hasen und dem Igel: Immer wenn man den Fernseher einschaltete, riefen Armin Laschet, Olaf Scholz oder Annalena Baerbock "Bin schon da!" Weil zumindest zu Beginn des Wahlkampfs mit Annalena Baerbock von den Grünen, Olaf Scholz von der SPD und Armin Laschet von der Union erstmals drei Personen gemäß Wahlforschung realistische Chancen hatten, letztlich ins Kanzleramt in Berlin einzuziehen, änderten auch die großen Sender ihre Strategie: War noch 2017 zu den wichtigsten Debatten neben Kanzlerin Merkel nur SPD-Herausforderer Martin Schulz eingeladen, mischten die Grünen in diesem Jahr prominent mit.

Das hatte auch zur Folge, dass verschiedene Konzepte aufgebläht wurden. Eine Sendung "Klartext" im ZDF mehr, eine zusätzliche "Wahlarena" im Ersten – hinzu kam die Tatsache, dass es nicht nur ein großes TV-Duell vor der Wahl gab, sondern gleich drei Trielle. Auch bei RTL und ProSiebenSat.1 bemühte man sich, alle seine Formate mit allen Kandidaten durchzuziehen. Das hatte zugleich zur Folge, dass es die kleineren Parteien umso schwerer hatten, bei dieser medialen Präsenz mitzuhalten. Dass Vierkämpfe mit Vertreterinnen und Vertretern von Die Linke, AfD, FDP und CSU sowohl im Ersten als auch im ZDF am gleichen Tag gesendet wurden, trug zudem auch eher nicht dazu bei, dass diese Fraktionen ein Mehr an Gehör fanden.

Mehr Zeit, weniger Themen? Sprecht euch ab!

Noch ein Eindruck der letzten Wochen: Quer über alle großen Sender hinweg nahmen die Wahl-Sendungen so viel Sendezeit wie nie ein - doch wer sie alle verfolgen wollte, dürfte es alsbald als ermüdend empfunden haben: Immer wieder nahmen die gleichen wiederkehrenden Themen den größten Platz ein. Am augenfälligsten war das sicherlich bei den TV-Triellen. Gab es vor der Wahl 2017 nur ein einziges, so standen diesmal gleich drei auf dem Plan, die unabhängig von RTL, ARD/ZDF und ProSiebenSat.1 durchgeführt wurden. Die Sendezeit hat sich dementsprechend von 90 auf 270 Minuten verdreifacht.

Um so tragischer, dass ein ganzes Politikfeld wie die Außen- und Europapolitik gar nicht stattfand. Nicht nur Beobachter im Ausland nahmen das befremdet zur Kenntnis. Auch Zukunftsthemen wie Digitalisierung und Bildung nahmen allzu wenig Platz ein. Problem war, dass hier jeder sein eigenes Süppchen kochte, jeder mit dem Anspruch, alles abdecken zu wollen. Aus Sicht des Publikums ist das nicht sinnvoll - für 2025 wäre es zu wünschen, dass man sich im Vorfeld zumindest ein wenig abspricht, damit nicht drei Mal alle ihre ohnehin weitgehend identische Position zum Thema Corona betonen müssen, die schon beim ersten Mal keinerlei Erkenntnisgewinn mit sich gebracht hat.

Auch die Jüngeren wählten eher die Öffentlich-Rechtlichen

Zumindest wenn man mal die ziemlich breit gefasste Altersgruppe der 14- bis 49-Jährigen zum Maßstab nimmt, für die die TV-Quoten einfach zugänglich sind, dann muss man festhalten: So sehr sich die Privaten auch anstrengten und mit innovativen Ansätzen auf Sendung gingen: Die meisten jüngeren Zuschauer erreichten trotzdem ARD und ZDF.

Das traf nicht nur auf die Trielle zu, wo ARD und ZDF gemeinsam einen Marktanteil von fast 40 Prozent bei den 14- bis 49-Jährigen erzielten, während die Privaten über ihre Sender hinweg bei etwas mehr als 25 Prozent lagen, auch der "Vierkampf" der kleineren Parteien am Tag nach dem ARD/ZDF-Triell bescherte dem  Ersten noch stolze 15,6 Prozent Marktanteil bei den 14- bis 49-Jährigen, die Schlussrunde holte bei ARD und ZDF zusammen fast 25 Prozent, die "Wahlarena" mit Olaf Scholz im Ersten 14,4 Prozent und auch die anderen "Wahlarenen" und das ZDF-Pendant "Klartext" lagen deutlich im zweistelligen Marktanteilsbereich beim jungen Publikum.

Vor allem bei ProSiebenSat.1 wählte man erstaunlich häufig ebenfalls den besten Sendeplatz um 20:15 Uhr für die Wahlsendungen, allerdings mit überschaubarer Ausbeute. Die "Bundestagswahl-Show" etwa pendelte zwischen guten 9,3 und ernüchternden 5,8 Prozent, "Kannste Kanzleramt" brachte es auf 9 Prozent Marktanteil bei den 14- bis 49-Jährigen - für Sat.1 alles andere als ein schlechter Wert, aber dennoch weniger als das, was die Öffentlich-Rechtlichen so einfahren konnten. Bei RTL lief beispielsweise "Am Tisch mit..." nicht um 20:15 Uhr, kam aber am Vorabend oder späteren Abend nicht über Marktanteile zwischen 5,3 und 8,6 Prozent hinaus.