Welche Maßstäbe gelten für eine gelungene Premiere der inzwischen 15. Staffel von "Das Supertalent", der ersten nach der Ära Dieter Bohlen in der Jury? Ist Lob gerechtfertigt, wenn man als Zuschauender mindestens einmal in der Episode Gänsehaut hatte, mindestens einmal mitgelacht, sich einmal gewundert, einmal gestaunt hat? War die Show also gut, wenn man in diesen zweieinhalb Stunden nur selten nach Ablenkung suchte? Wenn das also die Messlatte für eine gute Show ist, dann haben RTL und UFA Show & Factual eine gute Premiere der neuen Staffel des RTL-Samstagabend-Dinos hingelegt – und das trotz des Chaos, das zu Beginn der Produktion ausgebrochen war.



Denn natürlich kam es ungelegen, dass ausgerechnet Jury-Star Lukas Podolski, das neue namhafte Gesicht des Formats, zu Beginn der Aufzeichnungen an Corona erkrankte, in Quarantäne ging und deshalb bis zum Halbfinale so gut wie raus ist. In einer einzigen voraufgezeichneten Episode, die im November laufen wird, findet Poldi Platz. Auf den Juryplätzen wird also weitaus mehr rotiert als man das gewohnt ist vom RTL-Samstagsformat. Einzig Michael Michalsky wird in jeder Episode mit dabei sein. Dass es aber gar nicht so sehr auf die Jury ankommt, zeigt der Staffelauftakt in diesem Jahr sehr deutlich. Weder Michalsky noch Motsi Mabuse, die Ehrlich Brothers oder Riccardo Simonetti, die in der Auftaktepisode die Jury bilden, vollbringen am Jurypult allzu besondere Dinge. Sie ordnen zwar ein, sie bewerten (oft sehr wohlwollend), sie sind gewissermaßen die guten Geister der Show.

Denn klar wird: RTL will mit dem "Supertalent" warmherzige Familienunterhaltung machen – nicht umsonst startet die neue Staffel mit einem rührenden Auftritt der zehn Jahre alten Elena, immer strahlend, immer lachend und stimmlich einfach umwerfend. "Wenn es nach Freunden ginge, würde ich niemals singen", sagt sie vor ihrem Auftritt und nur wenige Momente später vermag man sich als Zuschauender gar nicht vorstellen können, warum das so ist.

Supertalent © RTL / Stefan Gregorowius
 

Freilich: Viele der folgenden Acts sind mit Blick auf 14 bereits vergangene Staffeln von "Das Supertalent" nicht neu. Steptanzende aus Tschechien, eine Akrobatiknummer mit einem Einrad, ein Mix aus Magie und Hip-Hop-Tanz. Beeindruckend gestaltete sich eine eindringliche Bodypainting-Illusion, die zugleich auf den schlechten Zustand der Weltmeere hinweist. Der Mix funktioniert und er funktioniert auch, weil sich die Sendung selbst wieder ernster nimmt. Da steht inzwischen kein Mann mehr als Schlange auf der Bühne, dessen "Kunst" es ist, einen der Juroren zu verschlingen.

Die auf der bis jetzt 15 Jahre langen "Supertalent"-Reise zwischendurch scheinbar verlorengegangene Lust an gutem Fernsehen scheint wieder da zu sein. An vielen Stellen trifft die Sendung dabei bekannte Töne, wenngleich sich nicht abstreiten lässt, dass es insgesamt sehr um Warmherzigkeit geht. Wenn die Jury einen Auftritt kritisieren muss, dann wird eben diese Kritik gerne verpackt als Ratschlag. Es gehe dann um eine "weitere Inspiration". Die Ehrlich Brothers etwa sprachen sogar eine Backstage-Einladung zu einer ihrer nächsten Shows aus. Öffentliches Diffamieren von Auftretenden ist inzwischen Schnee von gestern.

Man möchte fast sagen, dass dazu auch gar keine Zeit mehr bleibt, denn wo eben noch gerappt wurde (sogar das familienfreundlich!), steht kurz später schon ein Fußballjongleur auf der Bühne. Das Tempo hat noch einmal angezogen, kaum ein Auftritt ist länger als zwei Minuten lang, sodass eine beachtliche Kunst- und Genrevielfalt geboten wird. Der Vielfalt sollten wohl auch andere Neuerungen dienen, zu denen die in einer "Supertalent-Loge" sitzenden Sylke und Gerd gehören. Die beiden sind auserwählte Zuschauende, die während der Auftritte sehr kurz, prägnant, aber auch überflüssig ihre Kommentare abgeben. Sie sind eine zusätzliche Bewertungsebene, die es neben der Jury aber nicht gebraucht hätte. Nicht gebraucht ist ein gutes Stichwort für die eingewobenen Backstage-Sequenzen mit eben jener Jury, in denen "die Ehrlichs" unter anderem schnell zaubern dürfen. Zweifellos die unwichtigste Änderung: Chris Tall moderiert nun an der Seite von Lola Weippert. Die komplette Ausgabe hätte ohne klassische Hosts genauso gut funktioniert.

Dass zum Ende sogar echte Spannung aufkommt, liegt schlicht daran, dass die konzeptuelle Änderung, dass zum Schluss jeder Episode festgelegt wird, welche Auftretenden es sicher ins Halbfinale schaffen.  Die wahrlich schlechten Zeiten scheint "Das Supertalent" also hinter sich gelassen zu haben, was vor allem daran liegt, dass eine neue Ernsthaftigkeit eingezogen ist. Die Tatsache, dass der einstige "Chef-Juror" Dieter Bohlen in diesem Text kaum vorkommt, verdeutlicht zudem, dass das Format früher vermutlich weder insbesondere an ihm krankte, noch dass der Pop-Titan nun schmerzlich vermisst wird. Die Stars stehen eben auf der Bühne – solange es welche sind und solange sie in ein angemessenes Rampenlicht gestellt werden, werden sich die Zuschauenden daheim entsprechend unterhalten fühlen.  

"Das Supertalent": samstags um 20:15 Uhr bei RTL.