Wenn Verfassungsschützer planen, staatliche Verbindungen zur rechtsextremen Terrorszene aufzudecken, indem sie der Polizei einen Maulwurf unterjubeln, sollte ihr Kontaktmann drei grundlegende Voraussetzungen erfüllen: maximale Verlässlichkeit, minimale Durchschaubarkeit und am aller-, wirklich allerallerwichtigsten: ein Rücken ohne gehwegplattengroßes Hakenkreuz-Tattoo, das sich beim planmäßigen Sex mit der Zielperson unmöglich verbergen lässt.

Die auffallende Neonazi-Visitenkarte am Romeo-Agenten Nick, die Polizeischülerin Julia nach dem Beischlaf entdeckt, ist aber nur einer der vielen "Echt-jetzt?!"-Momente, die den sehr deutschen, weil sehr pathetischen Politthriller "Westwall" ins Lächerliche ziehen. Ex-Fascho Nick (Jannik Schümann), lernen wir zu Beginn des Sechsteilers, wird darin vom VS-Beamten Keppler (Devid Striesow) auf die Polizeischülerin Julia (Emma Bading) angesetzt, um auf Abzweigungen aller Art ins Nazi-Netzwerk von Ira Tetzel (Jeannette Hain) zu gelangen, deren Mann fürs Grobe (David Schütter) eine Straßenkinderarmee für den Endsieg drillt.

So knallt ein Stoff, mit dem der Bestsellerautor Benedikt Gollhardt das pluralistische System nach eigenem Drehbuch fiktional in die Luft sprengen will. Dass seine Regisseurin Isa Prahl trotz mehrerer Reihenbeiträge von "Marie Brand" über "Friesland" bis zum Kölner "Tatort" noch relativ fernsehunerfahren ist, merkt man ihr allerdings schon deshalb kaum an, weil sie die Klischee-Klaviatur beherrscht, als hieße ihr Langfilmdebüt nicht "1000 Arten Regen zu beschreiben", sondern irgendwas mit Edgar Wallace.

Dort hat sich das "Neoriginal" offenbar einiges an Inspiration zum Spannungsaufbau abgeschaut. Alle Stereotypen aufzuzählen, die Anfang Dezember bei ZDFneo und jetzt bereits am Stück in der ZDF-Mediathek Verwendung finden, würde hier den Rahmen sprengen. Deshalb nur einige der nervigsten: für ihr Ziel, Europa durch einen Terroranschlag politisch zu destabilisieren, bedient sich die ständig Kampfprosa proklamierende Revolutionsdomina Ira im olivgrünen Jumpsuit einer Schar Straßenkids zwischen Wiking-Jugend und "Herr der Fliegen".

Julias Vater (Karsten Antonio Mielke) ist ein kiffender Ex-Kommunarde im Rollstuhl, ihre Kollegin Lydia (Lorna Ishema) ein Schwarzes Topmodel und ihr Ausbilder Roosen (Rainer Bock) ein Beamter mit Prinzipien, aber erpressungstauglichem Familiengeheimnis. Seine Chefin Gräf (Suzanne von Borsody) trägt bei konspirativen Treffs in der Kirche stets Geheimdienstschlapphüte, deren Mitarbeiter Badtke (Kostja Ullmann) spielt ein doppeltes Spiel, das einen schon in der ersten Lagebesprechung anspringt wie Hakenkreuztattoos. Und überhaupt hängt alles mit allem so zusammen, dass die Knoten mit jeder Szene verworrener werden.

Von daher ist es auch keine Überraschung, dass Julia nicht die Tochter von irgendwem ist, sondern… Das wäre dann bei aller Erwartbarkeit doch ein bisschen viel des Spoilerns und würde überdies den einzigen Lichtblick dieser heillos überfrachteten Effekthascherei entwerten: Emma Bading. Nach knapp der Hälfte ihrer 23 Jahre im Filmgeschäft, schafft es das naturtalentierte Kind zweier Bühnenprofis nämlich spielend, selbst grobe Zumutungen des holzschnittartigen Drehbuchs auszugleichen.

Wie sie ihre Pendelbewegung zwischen Objekt und Subjekt dieser Verschwörungserzählung austariert, ist dabei so authentisch, wie die Serie gern wäre. Wenn sie in schwerer See artifizieller Charaktere den Kopf über Wasser hält, macht das sogar die Unglaubwürdigkeit der erwachenden Liebesbeziehung zum fadenscheinigen Nick einigermaßen erträglich. Und allein die Tatsache, dass Emma Badings Hauptfigur anders als ihr Lover jenseits herrschender Schönheitsideale besetzt wurde, macht "Westwall" gelegentlich beinahe sehenswert. Dabei zeigt ein vergleichbares Projekt an gleicher Stelle zum selben Thema, wie fiktionales Fernsehen der wachsenden Bedrohung durch den Rechtsterrorismus Tiefe verleihen kann.

"Furia", ein deutsch-norwegischer Politthriller im Gedenken an die verheerenden Anschläge von Utøya und Oslo zehn Jahre zuvor. Auch hier wollen desperate Neonazis die liberale Demokratie mit roher Gewalt gegen sich selbst aufbringen – wobei man den Achtteiler halbiert betrachten muss. In den ersten vier Episoden nämlich führt der norwegische Zombie-Experte Magnus Martens Regie, in den zweiten der deutsche "Tatort"-Experte Lars Kraume. Und beides sieht man der binationalen Einzelproduktion leider an.

Während Martens mit viel Gespür für menschliche Untiefen schildert, wie sich in den Fjorden der skandinavischen Einöde ein Terrornetzwerk formiert, bläst Kraume dessen Fronteinsatz in Deutschland zum starbesetzten Verschwörungsblockbuster auf, an dem alles perfektioniert und damit leblos wirkt. Womit wir wieder am Westwall wären, jener nationalsozialistischen Verteidigungslinie, die das kriegerische Reich seit 1940 vorm alliierten Einfall schützen sollte und nun das nächste Verschwörungsnetzwerk betitelt.

Ähnlich starbesetzt, aber ungleich aufdringlicher, versuchen uns alle sechs Folgen mit der famosen Filmmusik von Volker Bertelmann alias Hauschka davon abzulenken, wie dürftig, öde und konventionell komplizierte Handlungsfäden hier zu einer Geschichte verknotet wurden, die trotz toller Besetzung ungefähr so sehenswert ist wie selbstgemachte Knast-Tattoos.

"Westwall" steht ab Samstag, 20.11. um 10 Uhr in der ZDF-Mediathek zum Abruf bereit. Das ZDF zeigt die ersten beiden Folgen als Appetit-Häppchen am Samstag, 27.11. ab 21:45 Uhr auch im Hauptprogramm. ZDFneo dann alle sechs Folgen am 7. und 8. Dezember jeweils ab 21:45 Uhr in Dreierpacks.