Wer Kandidatin oder Kandidat von Fernsehformaten in Deutschland ist, muss meistens Witz, Spontanität, Grips, Sportlichkeit oder gutes Aussehen mitbringen – und wird dann im Idealfall mit der großen Liebe, Geld oder anderen schönen Dingen belohnt. Dass man zunächst einmal einen Batzen Geld gepaart mit großem Vertrauen mitbringen muss, das ist hingegen neu – und der Ansatz eines neuen RTL-Formats, das der Sender nun einmal ausprobiert hat. "Buying Blind" springt gewissermaßen auf den Flipping-Show-Trend auf. Nicht nur in den USA, sondern auch in Deutschland werden mit Umbau- und Hauskaufsendungen ganze Sender gefüllt.

"Buying Blind" ist ein Format von RedArrow und lief eine Staffel lang schon in Australien, jetzt hat Redseven Entertainment drei Episoden für RTL umgesetzt. Wer "Buying Blind" nun als eine Art Renaissance von Tine Wittler ansieht, greift aber zu kurz, denn der Neustart bedient sich an so mancher Stelle ganz neuen Elementen. In den zwei Stunden Sendungslänge wird die Arbeit von drei Experten gezeigt: Der Berliner Makler Michel Sawall, Unternehmer und Tischlermeister Simon Meinberg und Interior Designerin Annekatrin Brehm. Das Trio harmoniert und überzeugt on air auch deshalb, weil alle einen klar umrissenen Aufgabenbereich haben. Und in diese drei Experten setzt in der ersten Folge nun eine Kleinfamilie nicht nur ihr ganzes Vertrauen, sondern letztlich auch 350.000 Euro.

Julia, Julian und Tochter Lina wollen aus ihrer Wohnung an einer viel befahrenen Straße raus, sind aber auf der Suche nach einer Immobilie nicht fündig geworden. Jetzt beauftragen sie die Experten und schließen blind den Kaufvertrag ab, also ohne dass sie ihr künftiges Heim auch nur einmal gesehen haben. An diesem Vertrauensvorschuss hangelt sich die komplette Sendung entlang, denn auch wenn es am Ende natürlich das nicht ohne Freudentränen auskommende Happy End gibt, sorgt die erste Besichtigung des Gebäudes nach dem Blind-Kauf für wahrlich ungewohnt erdende Momente.

Großes Entsetzen

Mama Julias Gesichtszüge werden quasi von Raum zu Raum ernster. Zu dunkel, zu eng, mit unpassenden Dachschrägen. Stoischer bleibt da Julian, dem das Wort Fehlentscheidung aber ebenfalls herausrutscht. Natürlich: Das "Buying Blind"-Team spielt mit genau diesen Emotionen, man hat fast den Eindruck, für Simon und Annekatrin ist die Enttäuschung der Kleinfamilie ein zusätzlicher Ansporn. Rundgänge durch abgewohnte Immobilien gehören auch in US-Flipping-Formaten zum Standard-Repertoire. Eine derartige Ablehnung der Kaufenden hingegen jedoch selten.

Buying Blind © Screenshot RTL "Das sieht alles etwas kurios" aus, befindet Julia (r.) bei der Besichtigung ihres blind gekauften Hauses. Und auch Julian ist nicht gerade glücklich.

Sie verhilft "Buying Blind" zu einer angemessenen Fallhöhe. Während des danach gestarteten Umbaus hingegen dürfen Genre-Klassiker wie Computer-Animationen des Gestaltungsplans und das anständig inszenierte Anrücken des Bautrupps nicht fehlen. Ab diesem Moment macht "Buying Blind" dann nicht mehr viel anders als klassische Flipping-Formate. Von Minute zu Minute entsteht mehr, von Minute zu Minute wird aber auch der Zeitplan enger und das Finale gehört einer strahlenden Familie in einem ebenso strahlenden Eigenheim.



Dass mit dem eigenen Geld der Teilnehmenden gearbeitet wird, hat für die Produktion obendrein noch einen weiteren Vorteil. Frühere Formate, etwa "Einsatz in vier Wänden", hatten irgendwann auch deshalb Probleme, weil das Finanzamt den auf Senderkosten erfolgten Umbau von Eigenheimen als "geldwerten Vorteil" wertete und geraume Zeit nach der Produktion Steuernachzahlungen von Teilnehmenden gefordert hatte.

Ob all diese Justierungen aber ein Genre, das aktuell vor allem bei kleinen Nischensendern performt, so breit werden lassen, dass es RTL zu den wohl angepeilten zweistelligen Marktanteilen verhilft, ist fraglich – zumal die erste Sendung letztlich ja doch mit dem bekannten Happy End aufwartete. Ein Versuch ist es, nicht zuletzt mit Blick auf den Boom des Genres in Amerika, aber alle Mal wert.

Zwei weitere Folgen von "Buying Blind" sollen 2022 gezeigt werden. Einen exakten Sendetermin hat RTL noch nicht kommuniziert.