Nebenfiguren sind Nebenfiguren, weil sie am Rande stehen, Film- und Fernsehfiktionen – ob real oder fiktional – also weniger tragen als ihre Hauptfiguren, die auch deshalb Hauptfiguren sind, weil sie sich nun mal im Zentrum befinden. So simpel, so richtig, so falsch im Falle einer Lichtgestalt, die auf dem Gipfel ihrer Karriere alles überstrahlte und doch im Schatten anderer stand: Boris Becker.

Wenn RTL dem ehemaligen Tennis-Ass ab heute ein beachtliches Biopic widmet, wirken die ersten der 100 Minuten zwar so, als ginge es vor allem um ihn. Doch nach halbstündigem Abstecher in die Flegeljahre des cholerischen Superstars aus Leimen, der bei Pleiten ausrastet und zum Abreagieren Bälle aufs elterliche Garagentor drischt, betritt jemand die Szene, der zur Nebenfigur noch weniger taugt als Bonds Goldfinger oder Batmans Joker: Ion Tiriac.

Formell Beckers Manager, machte der Rumäne das deutsche Provinzgewächs 1984 zur globalen Marke. Und wie Mišel Matičević den schwarzgelockten Zampano des weißgekleideten Nobelsports verkörpert – das stellt sogar den imposanten Auftritt von Bruno Alexander als „Der Rebell“, wie RTL die Adaption von Fred Sellins Biografie „Ich bin ein Spieler“ betitelt, in den Schatten. Mit Biker-Bart und Balkan-Slang begleitet Matičević die frühen Jahre in Beckers Profileben ja mitunter, als wäre er kein Schauspieler, sondern Tiriac selbst.

„Schmeißt sich in Dreck, sieht aus wie Schwein, flucht ganze Zeit, neinnein, scheißescheiße“, klagt der Strippenzieher über Beckers Wutausbrücke und weist dessen Trainer (fabelhaft: Samuel Finzi) auf Managersuche ab – bis Günther Bosch eine Zuschauerin der Trainingseinheit fragt, was ihr an seinem Schützling gefalle, worauf sie hörbar antwortet, Tennis sei öde, aber „this Boy so entertaining, I love to watch him play“. Gefühlt blitzen flugs Dollarzeichen in Tiriacs Augen auf, als er zu Pink Floyds Konsumkritikhit „Money“ eine Businessbeziehung mit Bosch und Boris beginnt, die das Filmporträt zum bittersüßesten seit „Der Junge muss an die frische Luft“ macht.

Zwischen Starkult und Profilneurose

Und zwar nicht nur, aber besonders dank Matičevićs Tiriac – veredelt sein Feuerwerk bilingualer Sottisen, die ihm die Autoren Richard Kropf und Marcus Schuster geschrieben haben, doch einen Großteil dieser sehenswerten Charakterstudie. Wenn er Elvira (Christina Große) und Karl-Heinz Becker (Thomas Huber) im Spießerbarock ihrer Kleinstadtwohnung von Boris‘ Umzug nach Monaco überzeugt, schleudert ihnen Tiriac trocken „gebe 100.000 Mark im Jahr, aber ich habe control“ entgegen. Wenn der Turnierarzt dem verletzten Jungprofi nach dessen Wimbledon-Debüt zur OP rät, bürstet ihn der Manager mit „Drama is good, but not too much drama, fix it!“ ab. Ganz großes Tennis eines virtuosen Darstellers dieser gebrochenen Persönlichkeit – allerdings auch leicht schmutziges Tennis.

Denn als Tiriac bei der Siegerehrung im Jahr drauf einen Werbevertrag „für Onepointfivemilliondeutschmark“ aushandelt und Beckers nächsten Exklusivdeal mit den Worten „Boris hat Blase am Fuß, you call Bild-zeitung, Boris hat gut geschlafen, you call Bild-Zeitung, jeder andere Journalist kostet extra Money“ verkündet, mag Hannu Salonens „Rebell“ weiter von der grellsten Sportskanone im Rampenlicht der BRD handeln; Felix Cramers intime Kamera rückt dabei nicht nur einem Superstar auf die Pelle, sondern dem explodierenden Shareholder-Kapitalismus jener Tage insgesamt.

Der Rebell – Von Leimen nach Wimbledon © RTL / Wolfgang Ennenbach Boris Becker (Bruno Alexander), Ion Tiriac (Misel Maticevic, l.), Günther Bosch (Samuel Finzi, r.).

Nach anfänglichem Abstecher in Deutschlands Kehrwochengürtel nämlich, wo Regisseur Salonen seiner Zeitgeschichte ein Schlaghosenintermezzo mit der handelsüblichen Oldtimerparade gönnt, biegt er in die mittleren Achtziger ab, als der olympische Bombast von L.A. den Spitzensport endgültig aller Unschuld beraubte. Während sich der gutmütige Herr Bosch mit Brillantine im Haar wie ein Kindermädchen um den hitzköpfigen Boris kümmert, maximiert der dubiose Herr Tiriac mit Riesenhandy am Ohr die Rendite seines Investments. Wie gut ihm das gelingt, staffiert das Biopic mit spürbarer Lust am Kulissen- und Kostümdetail aus, zeigt aber auch die innere Zerrüttung des rothaarigen Goldesels.

Bruno Alexander dabei zuzusehen, wie der Hamburger dem Leimener zwischen Starkult und Profilneurose, Kreisstadt und Weltbühne, Pflichtgefühl und Hedonismus schlingern lässt, wie sein inneres Kind am maßlosen Ehrgeiz scheitert und umgekehrt, wie Boris Becker trotz sportlicher Erfolge an den menschlichen Abgrund rutscht – das ist noch glaubhafter als die verblüffend authentischen Tennis-Momente. Im Wechselschnitt mit Archivaufnahmen berühmter Matches bleibt der athletische Teil zwar wie so oft bei Echtsportfiktionen erkennbar laienhaft. Selten zuvor aber hat ein Kopist die Bewegungen des Originals plausibler simuliert als dieser und damit eine Authentizität oberhalb jüngerer Fußball-Porträts von Maradona bis Totti geschaffen.

Angesichts dieser Güte stellen sich nur zwei Fragen: Warum kriegt Mathias Döpfner, Chef jenes Springer-Verlags, dem Boris Beckers Würde noch unwichtiger war als jeder Pressekodex, eine Gastrolle als dpa-Reporter? Und warum hat RTL aus Sellins Vorlage keine fortsetzungsfähige Serie gemacht? Antwort a: weil er es kann. Antwort b: weil es nicht geht. Angesichts der steigenden Zahl justiziabler Skandale, würde ein Großteil des Budgets wohl bei Beckers Anwalt landen. Aus gleichem Anlass heißt das von Zeitsprung produzierte Biopic daher auch nicht „Der Choleriker“, geschweige denn „Steuersünder“ oder „Besenkammer-Hallodri“, sondern „Der Rebell“. Passt ja auch. So wie der Film.

"Der Rebell - Von Leimen nach Wimbledon", Donnerstag um 20:15 Uhr, RTL