Das fiktionale Fernsehen hält ein paar Gesetzmäßigkeiten bereit, auf die man sich – im Guten wie im Schlechten – verlassen kann. Werden Psychopathen im Horrorfilm getötet, stehen sie noch mal auf. Werden Singles im Liebesfilm verkuppelt, kriselt es vorm Finale mehrmals. Werden Spione im Agentenfilm gefangen, verrät ihnen der Bösewicht seine Welteroberungspläne. Und ganz wichtig: sagen Glücksritter in Abenteuerfilmen "jetzt kann uns nichts mehr aufhalten", ist es bis zum Ziel noch weit. In diesem Fall: neun beschwerliche Wochen.

So viel, besser: wenig Zeit bleibt Phileas Fogg in der neuen Fassung von Jules Vernes Roman, um 148 Jahre nach der Erstveröffentlichung „In 80 Tagen um die Welt“ zu reisen. Wenn der selbstgerechte Gentleman nach einem Viertel seiner Tournee verkündet, mit der Fahrt von Brindisi nach Suez sei sie vollendet, irrt er sich demnach gewaltig – so lautet die Regel eines der meistgelesenen, meistzitierten, meistadaptierten Bücher überhaupt. So wird sie auch in der gefühlt 139. Verfilmung seit der ersten von 1913 eingehalten. So ist es überraschenderweise abermals originell und fesselnd und sehr unterhaltsam.

Als zweite Produktion der European Alliance, die das ZDF 2018 mitgegründet hatte, um kontinentales Fernsehen gemeinsam mit France Télévisions und RAI global konkurrenzfähig zu machen, möbelt Ashley Pharoah den Besteller zum Achtteiler auf. Doch anders als jüngere Vorgänger – zuletzt Jackie Chans Kungfu-Interpretation von 2004 – gelingt ihm damit ein frisches Stück Familienfernsehen, das durchaus an die oscarüberhäufte Technicolor-Version von 1956 heranreicht. Und das liegt nicht nur, aber schon auch an David Tennant.

Während die Londoner Kinolegende David Niven seinen Landsmann vielleicht sachte ironisiert, aber nie grundlegend in Frage gestellt hatte, gräbt sein schottischer Kollege nun ungleich tiefer im Inneren von Phileas Foggs imperialistischer Arroganz. Bis zur Selbstentmündigung alltagsuntauglich, vertrödelt der aristokratische Feigling die Tage des geerbten Wohlstands im Herrenclub, als sein ähnlich blasierter Konkurrent Bellamy (Peter Sullivan) wettet, eine Weltumrundung in der titelgebenden Zeitspanne sei unmöglich. Der Rest ist Literaturgeschichte: Fogg nimmt an und stürzt sich ins größte Wagnis der immobilen 1870er Jahre.

In Ashley Pharoahs Deutung aber modernisieren die Regisseure um den früheren Musikvideofilmer Steve Barron tragende Figuren der antiquierten Geschichte. Tennants Stiff upper Lip überm Stock im Arsch mag da noch recht nah an Vernes Vorstellung vom Sesselfurzer fern seiner Komfortzone sein. Die restliche Besetzung dagegen weicht spürbar vom Original ab. Foggs französischer Dienstbote Passepartout zum Beispiel wird vom Schwarzen Ibrahim Koma verkörpert, zu dem sich in Gestalt der Zeitungsreporterin Abigail Fortescue – hinreißend feministisch dargestellt vom deutschen Shootingstar Leonie Benesch – eine Frau gesellt, deren Spitzname Fix kaum zufällig an jenen Polizisten erinnert, der die Globetrotter bei Verne verfolgt, nicht begleitet hatte.

Nicht nur divers, sondern auch zeitkritisch

Weil personelle Abzweigungen vom zeitgenössischen Mainstream jeder Folge emanzipierte Stempel aufdrücken, wird Vernes eurozentristischer Männerstoff demnach nicht nur außergewöhnlich divers, sondern zeitkritisch. Von der realexistierenden Jane Digby (Lindsey Duncan), die auf archäologischer Spurensuche in Syrien den verbürgten Scheich al-Mezrab (Faical Elkihel) kennen- und lieben lernte, bis zum wahrhaftige Bass Reeves, der unterdessen als erster Afroamerikaner des Wilde Westens zum Marshall aufstieg, trifft das Trio ständig auf Charaktere von historischer Tragweite.

Während Eingeborene in Vernes Clash of Civilizations allenfalls edle Wilde im strengen Kontrast zur selbsterklärten Überlegenheit der franko-britischen Reisegruppe waren, sind all die American, Asian und African Natives beim ZDF unterdrückte, aber ebenbürtige Opfer des westlichen Kolonialismus, die das Ausbeutungsverhältnis jener Tage fast ohne erhobenen Zeigefinger kommentieren. Doch obwohl Missstände von Rassismus über Misogynie bis zur Klassengesellschaft ihre Schatten tief in unsere Gegenwart werfen, nehmen sie dem Abenteuerstoff von heute zum Glück nie ganz das Fesselnde, Faszinierende, Unterhaltsame vor allem. Im Gegenteil.

Wenn Fix & Fogg mit Passepartout zu Lande, zu Wasser, in der Luft bildgewaltig die Welt umrunden, wenn sie dabei auf politische Wirklichkeiten wie die Spätfolgen der Pariser Kommune oder den Faschismus des Klu-Klux-Klan treffen, wenn ihre Erhabenheit mit jeder Begegnung fremder Kulturen mehr auf Normalmaß schrumpft, geht es zwar mehr als in jeder Adaption zuvor um die äußeren Umstände des Reisens. Pharaoh und Barron vergessen dabei hingegen nie, was „In 80 Tagen um die Welt“ bis heute ist: eines der tollsten Abenteuer aller Zeiten.

In einer Epoche, die das Weltreisen auf acht von einst 80 Tagen drückt, erzählt es uns am grandios dekorierten Drehort Südafrika aber auch noch was übers Wunder der Entschleunigung. Dennoch bleibt die Entdeckung der Langsamkeit achtmal 45 Minuten auf temporeiche Art humorvoll, garniert überdies mit Geschichten von Treue und Freundschaft, Liebe und Schmerz, Happyend garantiert – auch wenn Scheich Mezrab den Weltenbummlern auf Wüstentour schon zu Beginn von Folge 3 prophezeit, „in dieser Hitze sind sie ohne Kamele so gut wie tot“. Aber gut, derlei Naivität muss man ihm wohl nachsehen; anno 1873 kannte er halt die Fernsehregeln noch nicht.

Alle acht Folgen stehen in der ZDF-Mediathek zum Abruf bereit. Im linearen Fernsehen zeigt das ZDF die komplette Serie von Dienstag 21.12. bis Donnerstag 23.12., am Dienstag schon beginnend um 20:25 Uhr, am Mittwoch und Donnerstag ab 22:15 Uhr.