Die Generation der Millennials ist zu gleichen Teilen dreigespalten. Links der Mitte befindet sich ein altruistisches Drittel, das SPD oder Grüne wählt und auf F4F-Demos geht. Rechts davon gibt es das egoistischere Drittel derer, die FDP oder AfD wählen und auf Querdenkerdemos gehen. Dazwischen hängen hedonistische 33 Prozent rum, die gar nicht wählen und falls doch, nur passgenaue Drogen oder den Fummel für die nächste Party. Um zu begreifen, wo Noah steht, reicht es da, seinen Körper zu bestaunen.

Eher aufgepumpt, als ausdefiniert, hat ihn sein Darsteller Emilio Sakraya mit viel Training, noch mehr Eiweiß und reichlich Sonnenbank zum Muskelgebirge aufgetürmt und agiert auch innerlich wie einer, dem alles außer der eigenen Physis egal ist. Noah will feiern. Fertig. Wenn er zu Beginn der testosterongeschwängerten Komödie „One Night Off“ beim Konzert der Dosenbier-Band Deichkind mit seiner Freundin (Milena Tscharnke) im Matsch tanzt, bis ihr die Fruchtblase platzt, wird somit nach nur einer von 104 Minuten klar: Dem vertraut besser niemand ein Baby an, nicht mal sein eigenes.

Dummerweise hätten Amazon damit Kernbestandteile der ersten deutschen Eigenproduktion in Spielfilmlänge gefehlt. Also kriegt Marie noch auf dem Festivalgelände ihr Kind und wird sogleich zur fürsorglichen Mutter, während Noah fünf Monate (und einen Schnitt) später das Klischee männlicher Unreife bleibt. Der Mittzwanziger, so lehrt uns Maries große Schwester Sarah (Carol Schuler) als argusäugige Babysitterin, hat zwar dicke Muckis, aber dürres Pflichtgefühl. Und damit ist Ärger vorprogrammiert.

Weil Mama über Nacht auswärts arbeitet, soll Papa den Säugling nämlich kurz mal alleinerziehen. Eigentlich kein Ding, denkt der flatterhafte Musikproduzent, hat die Rechnung aber ohne seinen noch viel flatterhafteren Kumpel Baumi (Helgi Schmidt) gemacht, der ihn gleich nach Maries Abreise vom letzten Konzert ihres Lieblingsclubs überzeugt. Um Sarahs völlig legitimes Misstrauen in Noahs Erziehungsfähigkeiten keine Nahrung zu geben, nimmt er seinen Sohn zum Feiern mit – hinein also in die handelsübliche Steigerungslogik spaßfiktionaler Eskalationsspiralen.

Alle Stereotypen abgegrast

Inszeniert vom aufsteigenden Genrefilm-Stern Martin Schreier („Traumfabrik“), grast „One Night Off“ fortan fast zwei Stunden praktisch alle Stereotypen ab, die männliche Adoleszenzverweigerer auf Bildschirm und Leinwand so vorsehen. Vom Baby, das seinem Vater beim Wickeln ins Gesicht pinkelt, über Drogenkekse, die dessen Tante versehentlich isst, bis hin zum Zündschlüssel, an dem der Säugling allein im verschlossenen Auto nuckelt: dutzendfach feuert „One Night Off“ Pointen auf jugendliche Lachmuskeln ab, die Filme wie „Hangover“ und „Babynator“ vorab erprobt haben.

Weil diese Version zudem das antiquierte Klischee vom Mann verfestigt, dem Frauen an Fürsorge und Empathie genetisch überlegen sind, hätte sie abzüglich von Mode und Frisuren gut ins sorglose Jahr 1994 gepasst, als Jeff Bezos gerade den elektronischen Buchversand Amazon aus der Taufe hob. 27 Jahre später hat ihn der diabolische Konsumdiktator zwar zur wertvollsten Handelsmarke aufgebläht, die auch hierzulande soziokulturellen Kahlschlag betreibt. Ausgerechnet sie allerdings sorgt dafür, dass der Ballermann-Stoff um den infantilen Nachwuchsvater für Genrefans sehenswert wird.

Hätte ihn, sagen wir: RTL produziert, wäre vieles daran kindischer Peniszoten-Humor auf Pocher-Niveau gewesen. Hätte ihn, sagen wir: das ZDF produziert, wäre vieles daran didaktischer Boomer-Humor auf Welke-Niveau gewesen. Weil Streamingdienste wie Amazon Prime dagegen eher bereit sind, ausgetretene Zielgruppenpfade Richtung kreativer Bild- und Ansprache zu verlassen, wirken die Punchlines von Murmel Clausen selten selbstreferenzieller als die Hauptdarsteller. Wie bei „jerks“ oder einigen seiner drolligen Weimar-Tatorte, kreiert der Autor schließlich Pointen, die den Protagonisten persönlich entspringen, also keinem doppelt so alten Lohnschreiber.

Der nämlich glaubt andernorts gerne mal, wenn 24-Jährige zweimal „Yo, Man“ sagen, sei das bereits Jugendkultur. Clausens Dialoge dagegen sind in ihrer Präzision oft auf dezente Art lustig. Etwa dann, wenn Sarah vor Noahs Partytrip zischt, „nichts macht Typen wie dir mehr Angst als Vater zu werden“. Oder Baumi – der bei RTL und ZDF definitiv kein kiffender Lehrer, sondern Loser wäre – auf dem Weg zum Club „cool, zwei Männer und ein Baby“ sagt, was Noah trocken mit „ein Mann, zwei Babys“ korrigiert.

Natürlich paart sich so etwas regelmäßig mit Blödsinn wie dem einer Gruppe Clankrimineller, die dem Trio nach kurzem Stress Beruhigungstipps gegen frühkindliches Zahnweh („SAB Simplex, Fencheltee oder Waschlappen in die Kühltruhe“) geben. Natürlich sind die Partyszenen schon pandemiebedingt eher zum Fremdschämen als Mitfeiern. Und natürlich wildern die Produzenten Christian Becker und David Gerson fröhlich im Filmfundus, weshalb ständig Teeny-Komödien à la „Ferris macht blau“ oder „American Pie“ aus „One Night Off“ grüßen.

Die Haptik aber orientiert sich von Clemens Nürnbergers zeitgenössischer Musik bis zur originellen Kameraführung von Christof Wahl am Erwartungshorizont echter Millennials, nicht ihrer Eltern. Alphabetisch bei Y eingeordnet also, um die 20 Jahre, einer ebenso homogenen wie diffusen Zielgruppe, die Amazon Primes erster deutsche Spielfilm bestens bedient. Ältere können ja Arte gucken.

"One Night Off" steht bei Amazon Prime Video ab Mittwoch zum Abruf bereit.