Die Situation in der Pflege sichtbar zu machen ist ein heeres Ziel, das so ähnlich bereits bei "Prominent und Obdachlos" verfolgt wurde. Während es beim geistigen Vorgänger vor allem an den Promis scheiterte, kommt in "Prominent und Pflegekraft" sogar "Temptation Island"-Bekanntheit Calvin Kleinen zu einer Erkenntnis: Dafür, dass sein Job als "Reality-Schwachmat" aus kaum Verantwortung und "nur chillen" besteht, ist er ganz schön gut bezahlt – im Gegensatz zu Pflegeberufen. Um zu diesem Aha-Erlebnis zu gelangen, reicht es bei dem 29-Jährigen schon, das erste Mal in seinem Leben (im Ernst!) ein Bett zu beziehen und Hilfestellung bei der Morgentoilette zu geben. Bemerkenswert, angesichts seiner einzigen Angst, die er zu Beginn der 90 Minuten stolz verkündet: Der Umgang mit "Kotze, Kacke und Pisse".

Dass er zu dieser Einsicht kommen würde, war jedoch einigermaßen vorhersehbar, denn das von Good Times für RTLzwei produzierte Format hält sich strikt an die bekannte Reality-Entertainment-Formel. TV-Sternchen machen auf ignorante Macker, sind dann mit einer neuen Situation völlig überfordert, erhalten dadurch einen einzigartigen Einblick in sich selbst und rehabilitieren sich gegen Ende mit einer wohltätigen Aktion, die man ihnen zu Beginn der Sendung noch gar nicht zugetraut hätte. Ein Muster, dem auch das neue Format "Prominent und Pflegekraft" folgt, in dem drei mehr oder weniger bekannte Fernsehgesichter für 72 Stunden als Pflegekräfte in ein Seniorenheim gesteckt werden, nachdem Sat.1 vor einigen Monaten schon mehrere Promis, wenn auch weniger auf die Zwölf, zur "Herzblut-Aufgabe" in eine Klinik berief.

Bei RTLzwei sind es neben Calvin Kleinen nun das Ex-"Bachelorette" Melissa Damilia und die frühere Viva-Moderatorin Aleksandra Bechtel, die auf Station müssen. Oder um in den Worten eines Heim-Bewohners zu sprechen: "Das Gesicht kenn' ich schon, aber ich hab' keine Ahnung, wie sie heißen." Doch auch ohne viel Ahnung wird Melissa von einem Bewohner mit "Oh, die ist aber hübsch!" angekündigt und von der Postproduktion mit Alicia Keys' "This Girl is on Fire" besungen, während Aleksandra Bechtel nur mit verwirrten Augen angestarrt wird, nachdem sie vor Heim-Publikum ihren Viva- und "Big Brother"-Lebenslauf heruntergerattert hat.

Prominent und Pflegekraft © RTLzwei Weit entfernt vom Pflege-Alltag: Ex-"Bachelorette" Melissa Damilia beim "Spa Day" mit einer Seniorin.

Wirklich für Unterhaltung sorgen kann keiner der drei neuen Pfleger – auch wenn Calvin Kleinen  es mit allen Mitteln versucht. Der selbsternannte Frauenversteher versucht mit Witzchen und einem Senioren-exklusiven Rap-Konzert verzweifelt, "ein bisschen gute Laune ins Altenheim bringen". Dass die Folge davon statt guter Laune mehr entnervte Gesichter sein würden – sowohl vor dem TV als auch vor der Kamera – überrascht nur ihn selbst. Unterdessen schlägt sich die ehrlich empathisch wirkende Melissa Damilia unverhofft gut, während Aleksandra Bechtel zwar auch in der Show ist, aber schon vor ihrer ersten wirklichen Aufgabe so viele Tränen verdrückt hat, dass man mit dem Kopfschütteln kaum hinterherkommt.

Was die Teilnehmenden an Unterhaltung nicht liefern können, bringen die Nebenfiguren auf den Tisch – die Senioren selbst. Hier liegt der wahre Reiz von "Prominent und Pflegekraft": Es ist nicht die Prominenz, es sind die zu Pflegenden. Ihre oft trockenen und frechen Reaktionen auf dümmliche Auswüchse der Stars sind Gold wert, auch weil sie den Zuschauerinnen und Zuschauern häufig aus der Seele sprechen. Passender als mit "ich bin zu alt für dieses Hopplahopp" könnte man auf Kleinens Vorführung seines frisch produzierten Rap-Songs kaum reagieren, und die Frage "ja, und was soll das Ganze jetzt?" passt nicht nur auf die Rosen-Verteil-Aktion der Ex-"Bachelorette" auf dem Heim-Gelände, sondern auch auf genügend andere Reality-Formate an sich.

Für eingefleischte Reality-Fans kann "Prominent und Pflegekraft" nicht genug mitreißen – so ist Damilia ohne menschliches Trash-Beiwerk zu liebenswürdig, Bechtels gesamter Anteil an der Sendung zu gering und Calvin Kleinens Dummheitenkabinett zu nervig. Das ist aber gar nicht so schlimm: Für genügend Unterhaltung sorgen ohnehin die schlagfertigen und herzlichen Heimbewohner, die mit ihren Sprüchen für Lacher und mit ihren Geschichten sogar für rührende Momente sorgen. Dabei gerät auch der Pflegeberuf selbst bisweilen in den Hintergrund, etwa wenn Melissa Damilia mit einer Seniorin zum "Spa-Day" ins Schwimmbad fährt. In seinen besseren Momenten entwickelt sich "Prominent und Pflegekraft" aber immerhin zu einer Philosophie-Stunde über das Altern als solches.

Das Format gibt diesen Menschen eine überraschend einfühlsame Plattform – und gelingt damit besser als der Vorgänger "Prominent und obdachlos". Die Lektion für RTLzwei: Vielleicht braucht es in Zukunft mehr Senioren und weniger Reality-Stars.

"Prominent und Pflegekraft", dienstags um 20:15 Uhr, RTLzwei