Was Alteingesessene von Zugezogenen unterscheidet, beurteilen erstere oft ein wenig anders als letztere. Menschheitsgeschichtlich stammen Europäer und Amerikaner zwar allesamt von Afrikanern – also (sorry, AfD) Schwarzen – ab. Aber Alteingesessene setzen ihre Abstammungslinien nicht so gern in der Steinzeit an, sondern nach Massenbewegungen von Völkerwanderung bis Flüchtlingswelle. Wichtig ist ihnen nur, dass sie als Platzhirsche eben früher im Revier waren als Frischlinge. Zugezogene wie George und Bertha Russell – zwei zentrale Figuren der Historienserie „The Gilded Age“ und dennoch Außenseiter.

Da sie Jahrzehnte, wenn nicht Jahrhunderte nach den Urahnen eingeborener Familien im New York der 1880er angekommen sind, betrachten die Astors und Brooks, die Morris‘, Thorburns und ganz besonders die Van Rhijns sie abschätzig als Fremde einer ursprünglichen Oberschicht – was aber nicht am Reichtum der Neuankömmlinge gegenüber liegt; der ist sogar noch unermesslicher als bei den Reichsten der Reichen am Platz. Falsch wäre daher nicht deren Kontostand, falsch ist das Reisgefährt ihrer Vorfahren.

Die Astors oder Brooks, die Morris‘, Thorburns und ganz besonders die Van Rijns behaupten schließlich, ihre Verwandtschaft hätte Amerika auf der Mayflower erreicht. Ende Legende. Aber wenn wirklich alle, die es behaupten, auf dem berühmten Pilgerschiff westwärts gesegelt wären, veräppelt jemand aus dem Hause Russell die herkunftsstolze Nachbarschaft, „müsste die Mayflower so groß wie ein White Star Liner gewesen sein“. Also für Tausende von Siedlern gedacht, nicht schäbige 102, die am 21. November 1620 in Neuengland gelandet sind, um vier Jahre später New York zu gründen. Zu dumm, dass sich Legenden kaum je um die Wahrheit scheren.

Dafür kann uns das neunteilige Kostümfest des großen Historytainers Julian Fellowes eine Story auftischen, die der Gilded Age genannten Epoche massiven Wirtschaftswachstums nach dem Bürgerkrieg eine Extraladung „Dallas“ verpasst. Weil ihr Vater – ein hochdekorierter, aber bankrotter General – gestorben ist, flieht die mittellose Marian Brook (gespielt von Meryl Streeps Tochter Louisa Jacobsen) aus Pennsylvania ins brodelnde New York, wo sie bei ihrer mächtigen Tante Agnes Van Rhijn (Christine Baranski) unterkommt und zügig zur Hauptfigur einer Art „Romeo & Julia“ im Transportgewerbe wird.

Die angebliche Mayflower-Elite mag nämlich im selben Block residieren wie der neureiche Eisenbahn-Tycoon George Russell (Morgan Spector). Mangels Stammbaum verachtet sie ihn so sehr, dass eine Verbindung seiner minderjährigen Tochter Gladys (Taissa Farmiga) mit Larry van Rhijn (Harry Richardson) unstatthaft wäre. Um das zu ändern, versucht Mama Bertha (Carrie Coon) alles, um Teil der High Society zu werden. Leider vergeblich – wie üppig die Teepartys und Bälle der Emporkömmlinge auch sind. So folgt, was Shakespeare folgen ließe: das Imperium schlägt zurück!

Wäre George Russell Heinrich Haffenloher und das Amerika der 1880er ein München der 1980er Jahre, er hätte ihm wohl „Isch scheiß disch zu mit meim Jeld“ entgegengeschleudert. Anders als Dietls Kleberfabrikant in „Kir Royal“, kauft Fellowes‘ Bahnunternehmer in „The Gilded Age“ damit allerdings Aktienpakete aller Konkurrenten, entfesselt eine Eskalationsspirale des verletztem Stolzes. Und mit jeder Minute mehr wächst die Panik im Raubtiergehege, dessen Fleischfresser fürchterlich klingende Namen tragen.

Ebenso wie die Russells sind die Astors oder Brooks, die Morris‘, Thorburns und ganz besonders die Van Rijns schließlich Pseudonyme legendärer Öl-, Kohle- oder Stahlmagnaten von Vanderbilt über Carnegie bis Rockefeller. Oberflächlich kultivierte Großunternehmer einer kapitalistischen Plutokratie, die sich Land und Leute rücksichtslos Untertan macht, während ihre Frauen rührselige Charity-Events für Witwen und Waisen organisieren. Für dieses Spannungsfeld hat der Showrunner zuvor 52 Teile in der „Downton Abbey“ geübt. Jetzt siedelt er aus Yorkshire zur New Yorker East 61st Street über und inszeniert dort einen Mix aus „Game of Thrones“ und „Bridgerton“ – ersteres gut im Vorspann erkennbar, letzteres zu Beginn der Serie.

Wie im Reenactment dieser geschichtsverklärenden Bildgewalt üblich, schickt Julian Fellowes sein Personal also gleich mal geigenüberzuckert zur 5th Avenue, wo die Reichen & Schönen ihre Erhabenheit zelebrieren. Um vom Rassismus jener Tage nicht zu schweigen, hat er sich zwar noch die Schwarze Autorin Peggy (Denée Benton) ins Drehbuch geschrieben und für die Bigotterie den schwulen Rhijn-Erben Oscar (Blake Ritson). Standesunterschiede werden wie einst im „Haus am Eaton Place“ zudem von Horden Bediensteter verkörpert, während zwischen Romeo Russell (Larry) und Julia van Rhijn (Marian) die Mittelschicht in Gestalt des Juristen Raikes (Thomas Cocquerel) kurz reinschaut.

Am Ende aber sind sie bloß Staffage einer etwas glatten Kulisse für Kabale und Liebe rücksichtsloser Räuberbarone und ihrer Frauen – mit zwei Darstellerinnen, die brillant herausstechen: Carry Coon, Star der 3. Staffel „Fargo“, verleiht der ehrgeizigen Bertha eine Eleganz von so fragilem Trotz, dass man ihr stundenlang beim Ringen um Achtung beiwohnen könnte. Und Cynthia Nixons („Sex and the City“) tantenhafte Ada Brock wärmt die Beharrungskräfte vererbter Privilegien in der Leistungsgesellschaft mit affektierter Empathie, als sei sie Ende des 19. Jahrhunderts aufgewachsen. Alle anderen? Sind zumindest prachtvoll kostümiert.

Sky zeigt ab dem 22. April immer freitags um 20:15 Uhr eine Folge auf Sky Atlantic. Zudem stehen die Folgen auch via Sky Q und Sky Ticket zum Abruf bereit.